

Venus Williams hatte in den vergangenen zwei Wochen viele Rollen angenommen. Sie hatte gespielt, getanzt und philosophiert. Die Freude war expressiv, die Gedanken tief und der Siegeslauf erstaunlich gewesen.
Nach ihrem Halbfinalsieg saß die 36-Jährige im Bauch der Rod Laver Arena, sie blickte in den Pressesaal und beantwortete die Frage, ob Athleten denn wirklich inspirieren könnten, Vorbilder seien. Sie, eine Überlebende in der Welt sportlicher Schnelllebigkeit müsse doch eine besonders gute Antwort parat haben, vermutete die Journalistin. Williams nahm einen kleinen Umweg, dachte laut über die generelle Bedeutung von Profisport und dessen Anziehung nach und sagte mittendrin einen Satz für die Ewigkeit: "It's triumph and disaster witnessed in real-time." Sport ist die ultimative Bühne von Triumph und Desaster.
Venus Williams' Rede bei der Siegerehrung ihrer jüngeren Schwester Serena, gegen die sie gerade das Endspiel der Australian Open 4:6 4:6 verloren hatte, war also eine mit Vorlauf gewesen. Mit gehauchter Stimme sagte sie über den 23. Grand-Slam-Erfolg ihrer Schwester: "Ich bin während der ganzen Reise bei dir gewesen. Manche deiner Siege kamen direkt gegen mich", sagte Williams unter Gelächter des Publikums und Gekicher der Schwester über die siebte Finalniederlage im Hausduell und fügte an: "Deine Siege sind auch immer meine Siege gewesen. All die Male, die ich nicht da sein konnte, es nicht ins Finale geschafft habe, warst du da. Ich bin so stolz auf dich."
Vor fast 20 Jahren begann der Erfolgslauf
Die Familie Williams, sie hatte also wieder ein triumphalen Abend gehabt. Allerdings den ersten seit fast acht Jahren, den die beiden Hauptdarstellerinnen in einem Grand-Slam-Finale miteinander teilten. Nachdem Serena den ersten Familiensieg bei den US Open 1999 vor fast zwanzig Jahren holte, war die Schwester ihr noch mal kurz davongezogen. Aber über das letzte Jahrzehnt war die Familienangelegenheit Williams vor allem ein Solo-Akt gewesen: Venus kämpfte mit einer Autoimmunkrankheit, Serena jagte Rekorde.
Nach allem was man weiß, litt das Verhältnis der Schwestern nie. Während Serena die Siege holte, sprach Venus, immerhin auch siebenfache Grand-Slam-Siegerin, stets ausführlich über die Liebe zum Sport und belohnte sich in Melbourne mit dem ersten Grand-Slam-Finale seit 2009.
Auch dieser Sommerabend war lange vor der Pokalübergabe keiner für Fehden gewesen, sondern die von allen angekündigte Familienfeier. Der Applaus für Serena war freundlich, der für Venus enthusiastisch. Die Statistiken zeigten ein Match auf gutem Niveau. Drama gab es allerdings nur selten, und so zogen die 81 Minuten fast ereignislos vorbei. Die beiden Schwestern neutralisierten sich. Dabei mag der Familienaspekt eine Rolle gespielt haben. Doch auch dieses Mal war Serena einfach besser. Venus spielte flink und genau, das Resultat ihrer Schläge war ein Strahl. Das Offensivspiel der 36-jährigen ist weiter gut, die Technik elegant und leichtgängig. Doch das Spiel Serenas ist kompletter.
Steffi Graf in der Bestenliste überholt
Während des klaren Halbfinalsiegs gegen Mirjana Lucic-Baroni verglich der amerikanische Journalist Jon Wertheim die Aufgabe, gegen eine in Bestform spielende Serena Williams anzutreten, mit einem Menschen, der auf einen Schachcomputer trifft. Wertheim schrieb auf Twitter: "Du kannst nicht gewinnen. Es bleibt nur die Frage wie konkurrenzfähig du bist." Serena ist athletisch, taktisch flexibel und kann sich stets auf den Aufschlag verlassen. Wo Schwester Venus der Killerinstinkt fehlte, nutzte Serena auch dieses Mal ihre Möglichkeiten.
Mit ihrem Sieg ist Serena nicht nur die kompletteste, sondern auch die erfolgreichste Spielerin der Profi-Ära (seit 1968). Mit ihrem Melbourne-Sieg (jetzt 23 Major-Titel) ließ sie Steffi Graf (22 Major-Titel) in der Bestenliste hinter sich. All-Time-Spitzenreiterin ist weiter die Australierin Margaret Court mit 24 Siegen, die seit Beginn der Profi-Ära aber lediglich elf Grand-Slam-Turniere gewonnen hatte.
Williams, die zum sechsten Mal in ihrer Karriere ein Grand-Slam-Turnier ohne Satzverlust gewann, ließ sich Zeit, bis sie um kurz vor Mitternacht zur Pressekonferenz kam. "Es fühlt sich großartig an, den 23. Grand-Slam-Titel gewonnen zu haben. Das ist eine Zahl, der ich schon lange hinterherjage," sagte Williams. Zum Abschluss griff auch sie noch mal das Familenmantra des perfekten Abends ohne Verliererinnen auf: "Nach allem, was Venus durchgemacht hat, wäre ein Triumph für sie auch ein Sieg für mich gewesen. Die Motivation, die sie mir gibt, ist einzigartig."
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23! Serena Williams hat sich mit dem Triumph bei den Australian Open den 23. Grand-Slam-Sieg ihrer Karriere gesichert. Im Finale gewann sie gegen ihre Schwester Venus 6:4, 6:4.
Zwei, die sich verstehen: Seit zwei Jahrzehnten duellieren sich die Tennis-Schwestern, das Duell in Melbourne war der 28. Sister Act insgesamt, gelitten hatten das Verhältnis zwischen den beiden aber angeblich nie.
"Nach allem, was Venus durchgemacht hat, wäre ein Triumph für sie auch ein Sieg für mich gewesen. Die Motivation, die sie mir gibt ist einzigartig", sagte Serena nach ihrem Triumph. Nach 1:22 Stunden entschied sie das Spiel mit dem ersten Matchball.
Flinkes Spiel, starke Aufschläge, elegante Technik - Venus ist auch im Alter von 36 Jahren noch immer eine der stärksten Spielerinnen im Tennisgeschäft. Doch ihre 15 Monate jüngere Schwester ist halt noch einen Tick besser. Mit 35 Jahren und 124 Tagen ist Serena Williams die bislang älteste Major-Gewinnerin der Geschichte.
Der Triumph beschert Serena nicht nur ein Preisgeld in Höhe von etwa 2,6 Millionen Euro, er bedeutet auch die Rückkehr auf Platz eins in der Weltrangliste. Am Montag wird sie Angelique Kerber als Spitzenreiterin ablösen.
"Das ist ein Bonus, der sich gut anfühlt. Ich mag es, ganz oben zu stehen", sagte Serena Williams über die Rückkehr auf Platz eins.
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