Boßdorf-Rausschmiss Desaster für die ARD
Berlin - Eigentlich mag man es kaum glauben. Die gleiche ARD, die seit mindestens einem Jahr durch Schleichwerbungsskandale, Korruptionsfälle und allzu große Nähe zu Sportlern für Negativschlagzeilen sorgt, muss nun erneut kleinlaut zugeben, dass in mehreren Fällen redaktionelle Inhalte und Werbung miteinander vermischt wurden.
Im Rahmenprogramm für eine Nordic-Walking-Veranstaltung unter dem Namen "Becel Deutschland Walk" ist es zu so genannten Themen-Placements gekommen. In elf jeweils zweiminütigen Beiträgen werben die ehemaligen Ski-Stars Rosi Mittermaier und Christian Neureuther für das Nordic Walking. Dass dabei auch Gesundheitsthemen wie Cholesterin und Ernährung zur Sprache kommen, ist ganz im Sinne des Sponsors Becel - und Bestandteil des Konzepts.
Als Konsequenz aus dem neuerlichen Schleichwerbungsskandal wird der Vertrag des ohnehin umstrittenen Sportkoordinators Hagen Boßdorf nicht über den 31. März 2007 hinaus verlängert.
Hagen Boßdorf ist ein eloquenter Sportjournalist, dessen rein fachliche Qualifikation kaum angezweifelt wird. Umstritten ist er wegen anderer Dinge: So soll er als "IM Florian Werfer" im Auftrag der Staatssicherheit der DDR Weststudenten bespitzelt haben. Weil die Birthler-Behörde im vergangenen Dezember neue Unterlagen zu Boßdorfs Stasi-Mitarbeit präsentiert hatte, legte der NDR dessen Berufung zum Sportchef auf Eis.
Sein Job als Sportkoordinator der ARD blieb ihm jedoch erhalten, die Anstalt begnügte sich mit einer Abmahnung des umstrittenen Mitarbeiters. Vor wenigen Wochen beschlossen die Intendanten sogar, Boßdorfs Vertrag bis 2012 zu verlängern, knüpften dies jedoch an die Bedingung, dass ein Ermittlungsverfahren der Hamburger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung gegen den 42-Jährigen eingestellt würde.
Große Nähe zu Sportlern und Sponsoren
Boßdorf hatte die Stasi-Kontakte zwar immer gegenüber seinen Vorgesetzten eingeräumt, bestritt jedoch, bewusst spioniert zu haben. Auf dem Höhepunkt der Stasi-Diskussion um seine Person witterte er eine Koalition zwischen Journalisten und der Birthler-Behörde, die er als "Jagdverein gegen Ostdeutsche" bezeichnete.
Zuvor war der Radsportexperte Boßdorf wegen seiner großen Nähe zum Sponsor Telekom und dessen damaligen Star Jan Ullrich in die Kritik geraten. Boßdorf hatte ein Buch über den Tour-de-France-Sieger geschrieben und mehrfach PR-Veranstaltungen des Sponsors moderiert. Zudem war bekannt geworden, dass die ARD für die Gewährung von Exklusiv-Interviews mit Jan Ullrich und Erik Zabel Honorare in sechsstelliger Höhe gezahlt hat.
Redakteure monierten unter der Hand, dass Boßdorf den anerkannten Doping-Experten Hajo Seppelt vom Schwimmsport abgezogen hatte. Seppelt hatte zuvor intern den laxen Umgang mit dem Thema Doping in der ARD kritisiert.
Image-Desaster in Serie für die ARD
Ein weiteres Image-Desaster erlebte die ARD durch die Ermittlungsverfahren gegen die beiden ehemaligen Sportchefs Jürgen Emig und Wilfried Mohren. Gegen Emig wurde wegen Betruges, Bestechlichkeit und Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt, Mohren wird vorgeworfen, an nicht genehmigten Nebentätigkeiten verdient und Spesenbetrug begangen zu haben. Beide wurden von ihren Sendern entlassen.
Doch die Vermischung von redaktionellen Beiträgen und heimlicher Geschäftstüchtigkeit geriet darüber hinaus noch an anderer Stelle zur Image-Katastrophe: Bei der ARD-Vorabendserie "Marienhof" wurden im vergangenen Jahr 117 Fälle von Schleichwerbung aufgedeckt - mehrere Verantwortliche der Produktionsfirma Bavaria mussten daraufhin ihren Hut nehmen.
Ohne diese Vorgeschichte könnte der neuerliche Fall von Schleichwerbung fast harmlos wirken - die Verfehlung mehrer Mitarbeiter, fahrlässig zwar, aber ohne System. Dass nach all den Turbulenzen der vergangenen Monate jedoch erneut Werbung nahezu ungehindert ins Programm sickern konnte, belegt zumindest eine große Kaltschnäuzigkeit im Umgang mit journalistischen Standards.
"Verstoß gegen Richtlinien" kostet Boßdorf den Job
Dass die Schleichwerbung für die Margarine, im redaktionellen Konzept "Integration von markenrelevanten Themen im Umfeld des Produkts Becel" genannt, von der ARD-Programmbeobachtungsstelle in Köln bemerkt wurde, feiern die Verantwortlichen als Beleg für die Selbstreinigungskräfte der skandalerprobten Anstalt.
Allerdings kann es mit dem Problembewusstsein nicht weit her sein, wenn ein Konzept, das auf den ersten Blick als mindestens fragwürdig zu erkennen ist, nahezu ungehindert den Weg auf den Bildschirm findet. Hagen Boßdorf kostet der "klare Verstoß gegen die Richtlinien der Trennung von Werbung und Programm" nun den Job. Der Sportkoordinator hatte die Produktion der umstrittenen Beiträge nicht verhindert.
Doch die Trennung von Boßdorf bringt der ARD ihre Glaubwürdigkeit nicht zurück, er trägt nicht einmal die redaktionelle Verantwortung für den jüngsten Fall von Schleichwerbung. Boßdorf habe "die in seiner Position notwendige journalistische Professionalität vermissen lassen", sagte Thomas Gruber, der Intendant des Bayerischen Rundfunks.
Rückkehr zum Heimatsender ist vertraglich garantiert
Boßdorf wird weich fallen: Sein Vertrag sichert ihm die Rückkehr zu seinem Heimatsender rbb zu. Pikant dabei ist, dass die rbb-Intendantin Dagmar Reim im September gegen eine Vertragsverlängerung für Boßdorf gestimmt hatte.
Über die Ursache von Boßdorfs mangelndem Problembewusstsein kann man nur spekulieren. War es Überheblichkeit oder Fahrlässigkeit, dass nicht sofort alle Alarmglocken läuteten, als das dubiose Becel-Konzept auf seinem Schreibtisch landete? Dass das Papier überhaupt den Weg zu ihm gefunden hat und nicht von vornherein im Papierkorb gelandet ist, deutet darauf hin, dass Partner aus der Wirtschaft bei der ARD nach wie vor offenbar nicht nur offiziell Werbezeit kaufen dürfen, sondern auch in mancher Redaktion gern gesehen sind.
Der neue Schleichwerbungsskandal ist ein Desaster für die ARD, daran ändert auch die Trennung von Boßdorf nichts. In der pointierten Sprache des Sports gibt es einen treffenden Begriff für Teams, die schwer zu führen sind, die Regeln nicht einhalten und nur noch durch Konflikte in den eigenen Reihen auffallen. Man nennt solche Mannschaften Sauhaufen.