Charr, Powetkin und Co.: Berühmte Boxer, die gedopt haben
Boxweltmeister
Was der Dopingbefund für Manuel Charr bedeutet
Seit ein neues Kontrollsystem eingeführt wurde, häufen sich die Dopingfälle im Boxen. Die meisten Täter stehen trotzdem schnell wieder im Ring. Bei Manuel Charr könnte das anders sein.
Zunächst war er am Boden zerstört. "Ich weine nur noch", sagte Boxweltmeister Manuel Charr dem Kölner "Express", nachdem er erfahren hatte, dass in einer von ihm Ende August abgegebenen Dopingprobe zwei anabole Steroide nachgewiesen wurden. Seine für den 29. September angesetzte Titelverteidigung gegen den gebürtigen Puerto-Ricaner Fres Oquendo wurde daraufhin abgesagt.
Ein paar Stunden nach der Nachricht klingt das schon wieder anders. "Ich arbeite mit Hochdruck daran, das Ergebnis der Dopingprobe und die Hintergründe aufzuklären und setze alles daran, meinen Weltmeistertitel zu verteidigen. Ich gebe nicht auf", schrieb Charr in einer Stellungnahme, die er über die sozialen Medien verbreitete.
"Ich war immer und bei allen Kämpfen clean und kann mir deshalb im Moment definitiv nicht erklären, wie dieses Ergebnis zustande kommt", so Charr weiter. Die Frage scheint berechtigt. Schließlich hat der Schwergewichtler in den vergangenen 13 Jahren 35 Kämpfe bestritten - darunter zehn Meisterschaften. Einen positiven Befund gab es bislang nicht.
Vada statt Wada
Das könnte daran liegen, dass er immer "clean" war, wie er schreibt. Oder aber daran, dass er bislang nicht richtig getestet wurde. Denn ein halbwegs koordiniertes und striktes Doping-Kontrollsystem gibt es im Boxsport erst seit wenigen Jahren. Ein Grund dafür ist die traditionell strikte Trennung von Amateuren und Profis. Den olympischen Richtlinien - auch und gerade im Antidopingkampf - unterliegen nur Amateurboxer.
Bei den Profis hat sich lange kein äquivalentes System durchgesetzt, weil es keine zentrale Kontrollinstanz gibt. Anstatt eines einzelnen Weltverbands, dessen Regeln sich alle Sportler unterwerfen, entwickelten sich im Verlauf der vergangenen 50 Jahre vier große Verbände, die in etwa die gleiche Bedeutung, aber unterschiedliche Regularien haben und in direkter Konkurrenz zueinander stehen. Einen Austausch über einheitliche Dopingkontrollen gab es nie.
Foto: Roland Weihrauch/ dpa
Fotostrecke
Charr, Powetkin und Co.: Berühmte Boxer, die gedopt haben
Besser wird es erst, seit die Voluntary Anti-Doping Association (Vada) an Bedeutung gewinnt. Die 2012 von Ringärzten gegründete private Organisation hat ihren Sitz im Box-Mekka Las Vegas. Das ist kein Zufall. Als Alternative zur 1999 auf Initiative des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ins Leben gerufenen Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) konzentriert sich die Vada vor allem auf den von der olympischen Familie ausgeschlossenen, aber sehr lukrativen Profikampfsport.
Auf ihrer Homepage bezeichnet sich die Vada als "unabhängige Organisation für effektive Anti-Doping-Programme im Boxen und Mixed Martial Arts" und rühmt sich, die modernsten Analyseverfahren einzusetzen. "Als wir angefangen haben, waren die archaischen Kontrollsysteme eins der größten Probleme", sagt die Vada-Vorsitzende Dr. Margaret Goodman. "Die Dopingmethoden werden ständig weiterentwickelt. Genau das müssen wir als Tester auch tun." Dazu arbeitet das Unternehmen laut eigener Aussage mit den besten Laboren zusammen.
Viele positive Befunde, kaum Konsequenzen
Mit Erfolg: Die Vada hat in den vergangenen Jahren zahlreiche namhafte Boxer überführt. Fast wöchentlich kommen neue Fälle hinzu. Unmittelbar vor Charr erwischte es den ungeschlagenen WBC-Champion im Supermittelgewicht David Benavidez. Der russische Ex-Weltmeister Alexander Powetkin wurde in den vergangenen drei Jahren gleich dreimal positiv getestet. Bei dem Mexikaner Saúl "Canelo" Álvarez, seit dem Rücktritt von Floyd Mayweather Jr. der vielleicht größte Star der Boxwelt, wurde allein in diesem Jahr in zwei Proben das verbotene Asthmamittel Clenbuterol nachgewiesen. Es sind nur zwei von unzähligen Beispielen.
Die Kontrollen sind besser geworden, ernsthafte Konsequenzen hat das in vielen Fällen aber nicht. Warum? Weil Powetkin, Álvarez und andere ähnlich prominente Dopingsünder zu wertvoll für die Branche und alle Beteiligten sind. Powektins Promoter Andrey Ryabinsky ersteigerte 2013 den WM-Kampf zwischen seinem Schützling und Wladimir Klitschko für mehr als 23 Millionen Dollar. Der Kampf zwischen Álvarez und Golowkin spielte einen dreistelligen Millionenbetrag ein.
Da die Verbände prozentual an den Kampfbörsen beteiligt sind, haben sie kein Interesse, Boxer zu bestrafen, von denen sie sich hohe Einnahmen versprechen. Charrs Problem: Für ihn gilt das nicht. Sein WM-Kampf gegen Oquendo brachte bei einer Versteigerung im Februar nicht mal das eigentlich festgeschriebene Mindestgebot von einer Million Dollar ein.
Wird Charr der nächste Sturm?
Der deutsche Boxmarkt, vor 15 Jahren noch einer der lukrativsten und bedeutendsten der Welt, liegt am Boden. Die großen TV-Sender haben sich zurückgezogen, dadurch fehlen den Veranstaltern Lizenzeinnahmen in Millionenhöhe, die benötigt werden, um Titelkämpfe zu veranstalten. Entsprechend winkt bei Charr-Kämpfen kein großes Geld. Zudem hat er keinen starken Promoter, der im Stile eines Don King beim Weltverband Lobbyarbeit für ihn machen könnte.
Deswegen könnte Charr eine härtere Strafe drohen als anderen überführten Boxern. Der WM-Titel wird ihm mit großer Wahrscheinlichkeit aberkannt, möglich wäre zudem ein Jahr Sperre. Dass er danach sofort wieder um die Weltmeisterschaft boxen darf, muss zumindest bezweifelt werden. Schließlich bekam er die Chance zum Titelgewinn im November 2017 gegen den Russen Alexander Ustinow ohnehin nur dank eines glücklichen Zufalls.
Aus der deutschen Öffentlichkeit darf Charr auch keine Rückendeckung erwarten. Er ist seit Jahren umstritten. Nachdem er gegen Ustinow gewonnen hatte, war das einzige Thema, ob er denn nun deutscher Staatsbürger ist oder nicht. Der Nochweltmeister könnte zum nächsten Felix Sturm werden, der sich komplett aus dem Boxsport zurückgezogen hat, nachdem er des Dopings überführt worden war.
Bevor es so weit ist, gilt es aber zunächst, die Öffnung der B-Probe abzuwarten. Um seine Unschuld zu beweisen, hat sich Charr laut eigener Aussage, "erneut einer unabhängigen freiwilligen Dopingprobe unterzogen". Dass er dadurch den vorangegangenen positiven Befund nicht entkräften kann, hat ihm anscheinend niemand gesagt.
13 BilderCharr, Powetkin und Co.: Berühmte Boxer, die gedopt haben
1 / 13
Box-Weltmeister Manuel Charr wurde bei einer freiwilligen Trainingskontrolle positiv auf die anabolen Steroide Epitrenbolon und Drostanolon getestet. Das gab sein Promoter kurz vor der geplanten ersten Titelverteidigung gegen den Puerto-Ricaner Fres Oquendo bekannt. Der Kampf ist abgesagt, Charr droht der Verlust des WM-Titels und eine Sperre.
Foto: Roland Weihrauch/ dpa
2 / 13
Wer ist Manuel Charr? Der 33-jährige "Diamond Boy" wurde in Beirut geboren, hat einen syrischen Pass und kam im Alter von vier Jahren als Kriegsflüchtling nach Deutschland. Er wuchs im Ruhrgebiet auf, zog später nach Berlin und fand schließlich in Köln seine neue Heimat.
Foto: Rolf Vennenbernd/ dpa
3 / 13
In 13 Jahren als Profiboxer hat Charr 35 Kämpfe bestritten. Am 8. September 2012 forderte er in Moskau den damaligen WBC-Weltmeister Vitali Klitschko heraus.
Foto: Sergei Ilnitsky/ dpa
4 / 13
Im Kampf gegen Klitschko zog sich Charr früh eine stark blutende Cut-Verletzung am rechten Auge zu. In der vierten Runde empfahl der Ringarzt, das Duell abzubrechen. Charr verlor durch technischen K.o., wollte das aber nicht wahrhaben und forderte Klitschko zum Weiterboxen auf. Ohne Erfolg.
Foto: Misha Japaridze/ AP
5 / 13
Immerhin wurde Charr durch den Klitschko-Kampf so bekannt, dass er ein Jahr später bei "Promi Big Brother" teilnehmen durfte. Dabei traf er unter anderem auf David Hasselhoff und Pamela Anderson.
Foto: Timur Emek/ Getty Images
6 / 13
In der Nacht zum 2. September 2015 wurde Charr in einem Essener Döner-Imbiss in den Bauch geschossen. Der Täter stellte sich zwei Wochen später und wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Prozess verzichtete Charr auf ein ihm angebotenes Schmerzensgeld.
Foto: Maja Hitij/ dpa
7 / 13
Nach den Schüssen musste der Schwergewichts-Boxer notoperiert werden, wenig später wurden ihm zudem zwei neue Hüftgelenke eingesetzt. Charr ließ sich von diesen Rückschlägen nicht davon abhalten, wieder in den Ring zu steigen. Im November 2017 feierte er den größten Triumph seiner Karriere: Mit einem Punktsieg gegen den Russen Alexander Ustinow krönte er sich zum WBA-Weltmeister. In Folge des positiven Dopingbefunds muss er den Titel vermutlich wieder abgeben.
Foto: Guido Kirchner/ dpa
8 / 13
Charr ist kein Einzelfall. Es gibt einige prominente Boxer, die in den vergangenen Jahren des Dopings überführt wurden. Schwergewichtler Alexander Powetkin wurde insgesamt dreimal positiv getestet, unter anderem auf Meldonium und Ostarin.
Foto: ANDREW COULDRIDGE/ REUTERS
9 / 13
Von 2011 bis 2013 hielt Powetkin den Titel, den später Charr gewinnen sollte. Er war WBA-Weltmeister im Schwergewicht, bis er in Moskau zur Titelvereinigung gegen Wladimir Klitschko antrat und einstimmig nach Punkten verlor.
Foto: Gero Breloer/ AP
10 / 13
Trotz seiner Doping-Vergangenheit boxt Powetkin weiter. Am 22. September 2018 fordert er in London Vierfach-Weltmeister Anthony Joshua heraus. Joshua hatte im April 2017 Wladimir Klitschko besiegt und damit die Karriere des Ukrainers beendet.
Foto: Frank Augstein/ AP
11 / 13
Ein weiterer prominenter Dopingsünder ist der Mexikaner Saúl "Canelo" Álvarez, der seit dem Rücktritt von Floyd Mayweather jr. als größter Star der Szene gilt. Im April 2018 wurde Álvarez bei zwei separaten Kontrollen positiv auf das verbotene Asthmamittel Clenbuterol getestet.
Foto: JOHN GURZINSKI/ AFP
12 / 13
Keine sechs Monate später stand "Canelo" wieder im Ring, besiegte den bis dahin ungeschlagenen Gennady Golovkin und krönte sich zum Weltmeister im Mittelgewicht. Der offizielle Grund für die milde Strafe: Clenbuterol wird in Mexiko in der Rindermast eingesetzt. Álvarez sagte, er habe nicht gedopt, stattdessen seien die erhöhten Werte durch kontaminiertes Fleisch zu erklären. Die Sperre wurde verkürzt, um den Kampf gegen Golovkin nicht zu gefährden, bei dem ein dreistelliger Millionenbetrag umgesetzt wurde.
Foto: Isaac Brekken/ AP
13 / 13
Auch Ex-Weltmeister Felix Sturm wurde Doping nachgewiesen. Im Rahmen seines WM-Kampfes gegen den Russen Fjodor Tschudinow wurde der Mittelgewichtler positiv auf das anabole Steroid Hydroxy-Stanozolol getestet. Daraufhin beendete Sturm seine Karriere und tauchte ab.