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800-Meter-Star Semenya: Eine Klasse für sich

Foto: THOMAS LOHNES/ AFP

800-Meter-Star Semenya Eine Klasse für sich

Caster Semenya ist intersexuell. Sie wurde 2009 zum Star, als sie mit dem Testosteronspiegel eines Mannes den WM-Titel holte. Ist es fair, die Südafrikanerin bei den Frauen starten zu lassen? Jetzt geht sie in Rio als Favoritin ins 800-Meter-Rennen.

Caster Semenya wird in Rio über die 800 Meter starten und wahrscheinlich Gold gewinnen. Es wäre nach Silber in London ihr erster Olympia-Triumph und wahrscheinlich auch ein Erfolg für die Menschenrechte, ein Schritt zu mehr Inklusion und weg von alten Klischees, wie eine Frau bitte schön auszusehen hat.

Aus sportlicher Sicht aber stellt die 25-Jährige die Leichtathletik und den gesamten Sport vor ein großes Problem: Wo lässt man Athleten starten, die nicht ins klassische Schema von Mann oder Frau passen? Und lässt man sie überhaupt starten?

Bis vor Kurzem waren intersexuelle Athleten von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen, es sei denn, sie senkten ihren Testosteronspiegel auf ein für Frauen normales Niveau ab. Diese Regel hatte der internationale Leichtathletikverband IAAF 2011 eingeführt, der Internationale Sportgerichtshof Cas ließ sie im Juli 2015 wieder aufheben und verhängte zudem ein Zweijahresverbot für ähnliche Regelungen.

Extrem hoher Testosteronspiegel

Auslöser waren vor allem die Leistungen Semenyas, die 2009 in Berlin mit 18 Jahren völlig überraschend den WM-Titel gewonnen hatte. Ein junges Mädchen aus der südafrikanischen Provinz mit einem kantigen Gesicht, enormen Oberarmen und Weltklassezeiten. Sofort begannen die Diskussionen, Konkurrentinnen beschwerten sich und zweifelten am Geschlecht der Läuferin. Sie fühlten sich benachteiligt, verständlicherweise, doch am meisten litt vermutlich Semenya selbst.

Der Teenager musste sich plötzlich verteidigen wie eine Dopingverdächtige, die Welt diskutierte über ihre Identität, die IAAF ließ einen Geschlechtstest vornehmen. Das Ergebnis gelangte an die Öffentlichkeit. "Ich wurde Opfer einer ungeprüften Untersuchung der intimsten Details meines Ichs", sagte Semenya. Die Welt wusste nun, dass die Läuferin weder Eierstöcke noch Gebärmutter hat, stattdessen innen liegende Hoden. Und vor allem einen extrem hohen Testosteronspiegel.

Der Münchner Wissenschaftler Martin Bidlingmaier, Leiter des Endokrinologischen Labors am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität, sagte SPIEGEL ONLINE im vergangenen Jahr: "Aus hormoneller Sicht sind männlich und weiblich nur Extrempunkte. Alles dazwischen ist ein Kontinuum." Caster Semenya sagt, sie habe sich immer als Frau gefühlt, ihr Vater sagte 2009, für die Familie sei die Situation sehr schmerzhaft, "wir halten uns nur an die Regeln". Doch die Verbände haben es versäumt, für Fälle wie diesen Regeln zu schaffen, die die Würde aller Beteiligten wahren und gerechte Wettkämpfe erlauben.

Schon in der Vergangenheit hatte das IOC in Geschlechterfragen Mühe, eine Linie zu finden. 1966 führte die European Athletic Association erstmals eine verbindliche "Gender Verification" ein, seit den Olympischen Winterspielen in Grenoble 1968 bestand auch das IOC auf Geschlechtstests.

Biologischer Turbolader

1996 wurden acht Frauen bei den Olympischen Spielen in Atlanta positiv auf Y-Chromosomen getestet. Frauen haben typischerweise ein XX-Muster. Trotz der positiven Tests wurden allen Frauen aufgrund verschiedener wissenschaftlicher Erklärungen Zertifikate ausgestellt, die das Geschlecht verifizierten - alle durften starten. 2000 wurden die Geschlechtstests in Sydney wieder abgeschafft. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking standen Experten bereit, die bei Zweifeln Geschlechtstests durchgeführt hätten.

Doch seitdem die Regel abgeschafft wurde, tritt mit Semenya nun erstmals wieder eine Athletin mit so etwas wie einem biologischen Turbolader gegen Konkurrenz an, von der 99 Prozent diesen Vorteil nicht haben.

Sportler wie Michael Phelps, Usain Bolt oder LeBron James ragen alle durch besondere Voraussetzungen aus der Masse der Athleten heraus. Perfekte Körpermaße wie Phelps, optimale Muskelschnellkraft bei Bolt, die Vereinigung von Kraft und Schnelligkeit bei James, oder ein besonderer Ehrgeiz im Wettkampf, der allen drei gemein ist. Doch sie sind immer noch die Besten unter ihresgleichen, die Vorteile lassen sich in Hundertstelsekunden messen.

Semenya lief mit einem für Frauen "normalen" Testosteronspiegel die 800 Meter in rund zwei Minuten. Seitdem sie die Medikamente nicht mehr nimmt, ist sie sechs Sekunden schneller. Im April dieses Jahres gewann sie bei den Südafrika-Meisterschaften ihre Rennen über 400, 800 und 1500 Meter. Alle am gleichen Nachmittag. Im Juli lief sie in Monaco die 800 Meter in 1:55,33 Minuten, so schnell wie keine Frau seit 2008, im Halbfinale lief sie die schnellste Zeit aller 24 Starterinnen. Wahrscheinlich gewinnt Caster Semenya also auch in Rio de Janeiro. Der Erfolg ist ihr zu wünschen. Die Diskussionen, die ihn begleiten, nicht.

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