Wurf-Blockade "Dartitis" "Das Schlimmste, was Dartern passieren kann"

Die Würfe bei der Darts-WM sehen so leicht aus. Was aber, wenn Profis den Pfeil nicht mehr loslassen können, aus Angst vor dem Versagen? Dann spricht man von "Dartitis".
Mensur Suljovic

Mensur Suljovic

Foto: Adam Davy/ dpa

Darts ist ein Präzisionssport. Es geht darum, einen wenige Gramm schweren Pfeil aus 2,37 Meter Entfernung auf eine Scheibe zu werfen - und dabei möglichst häufig die wenige Millimeter großen Doppel- und Triplefelder zu treffen. Nervenstärke spielt dabei eine große Rolle. Schon das kleinste Zittern reicht, um das Ziel zu verfehlen. Das Problem: Die Konzentration auf den "perfekten Wurf" kann zu einer mentalen Blockade führen - der Dartitis.

Was witzig oder wie Zahnschmerzen klingt, beschreibt ein psychisches Problem, mit dem viele Spieler in ihrer Karriere zu kämpfen haben. Dartitis hat unterschiedliche Ausprägungen - und eine Gemeinsamkeit: Die Spieler haben Schwierigkeiten, den Pfeil zum richtigen Zeitpunkt - oder überhaupt - loszulassen.

Bekannt wurde das Phänomen vor allem durch den fünffachen Weltmeister Eric Bristow bei den Swedish Open im Jahr 1986. "Das Spiel, das ich liebe, war so einfach. Auf einmal kann ich nicht mal mehr einen Dart werfen", sagte Bristow damals. Zwar lernte er mit der Zeit, mit seiner Dartitis umzugehen, zu seiner alten Form und einem flüssigen Wurfstil fand er aber nie wieder zurück.

Spieler bricht auf der Bühne in Tränen aus

Dartitis baut sich meist langsam auf. Es fängt oft mit einem leichten Abstoppen in der zuvor flüssigen Wurfbewegung oder einer verlängerten Konzentrationsphase an - erst dann folgt der Wurf. Nicht immer geht es über dieses Stadium hinaus: Im Extremfall kann es passieren, dass ein Spieler sich beim Wurfversuch so weit mitbewegt, dass er nach vorne umkippt und den Dart trotzdem nicht loslassen kann.

Erst vor wenigen Wochen rückte Dartitis wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Der 21-jährige Niederländer Barry van Peer eroberte die Herzen Tausender Dartsfans, als er beim Grand Slam of Darts auf der Bühne mit Dartitis kämpfte. Immer wieder ging van Peer an die Wurflinie, hob den Arm, setzte wieder ab, warf einen imaginären Dart, setzte erneut an, musste wieder abbrechen. Dieses unfreiwillige Ritual zog sich teils bis zu einer Minute hin, bevor der Niederländer den ersten Dart losließ.

War dieser erste Pfeil geworfen, die mentale Blockade für den Moment überwunden, folgten Dart zwei und drei meist schnell und ohne Probleme. Überwältigt von seinen Emotionen brach van Peer während seiner Partie gegen Gary Anderson in Tränen aus, wurde vom Gegner in den Arm genommen und vom Publikum für jeden losgelassenen Pfeil bejubelt.

Ein Weg könne sein, sich auszutricksen

Wissenschaftliche Studien nennen zwei mögliche Erklärungen für das Phänomen Dartitis: die Ablenkungs- und die Selbstaufmerksamkeitstheorie. Nach der Ablenkungstheorie können die Spieler unter Druck ihre Aufmerksamkeit nicht vollständig auf den Bewegungsablauf richten, da Ängste ihre Gedanken kontrollieren. Laut der Selbstaufmerksamkeitstheorie richtet der Sportler seine Aufmerksamkeit zu sehr auf die Bewegung und unterbricht diese dadurch in ihrem automatischen Ablauf.

Der Sportpsychologe Jürgen Walter sieht sportlichen Druck als Hauptproblem. "Wenn man es perfekt machen will, kann das zu Anspannung führen, auch zu körperlicher. Muskeln können verkrampfen", sagte Walter dem SPIEGEL. Ein Weg bei der Überwindung der Probleme sei, sich auszutricksen. "Man muss sich fragen: Wo tritt es auf und wo nicht? Man sollte versuchen, Wege zu finden, um auszublenden, dass man gerade auf der Bühne steht."

Mentaltrainer und Buchautor Richard Weese, der Coachings für Dartsspieler anbietet, empfiehlt bei akuter Dartitis unter anderem, im Training die Darts aufs Board zu werfen, ohne genau zu zielen, um wieder ein Gefühl für den Wurf zu bekommen. "Meist fällt Dartitis bei den Spielern auf fruchtbaren Boden, die sehr ehrgeizig sind", sagte Weese dem SPIEGEL: "Sie verzeihen sich kaum Fehler und erhöhen so den Druck bis zur Blockade und Verkrampfung. Physisch wie mental."

Auch die Nummer fünf der Welt, Mensur Suljovic, hatte mit der Blockade zu kämpfen und suchte einen Mentaltrainer auf. Wenn man sich den Wurfstil des Österreichers heute ansieht, erkennt man, dass er den Pfeil vor jedem einzelnen Wurf kurz mit dem Zeigefinger ein paar Mal in der Wurfhand dreht.

Das eint alle Spieler, die Dartitis überwunden haben: Sie mussten ihren Wurfstil neu erfinden, den Kopf austricksen. "Es ist das Schlimmste, was einem Darter passieren kann", sagte Suljovic dem SPIEGEL: "Du weißt, was du kannst, aber du kannst es nicht bringen. Das tut so weh - im Herzen, im Kopf, überall."

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