
Bretonischer Messerwerfer Der Weltmeister im Eisenwarenladen
"Palim-Palim". Die Türglocke am Eckgeschäft von Callac, einem verschlafenen Ort im Herzen des bretonischen Departements Côtes-d'Amor, erinnert an vergangene Zeiten, genauso wie die knarzende Glastür und der altmodische Verkaufsraum.
Angeln, Bogen und Boomerangs hängen an den Wänden, in den Auslagen verstauben Terrinen aus Guss neben Tischschmuck und Porzellan. Hinter der mächtigen Theke auf ausgetretenem Holzdielen empfängt Pierre Cazoulat: Willkommen beim Weltmeister im Messerwerfen.
Der Eisenwarenhändler Cazoulat hat dem Ort internationalen Ruhm gebracht - jedenfalls unter den Anhängern einer Sportart, die weltweit zunehmend Beachtung findet: Messer- und Axtwerfen. Ansonsten hat Callac auf den ersten Blick wenig zu bieten. 2000 Einwohner leben hier, mehrheitlich Rentner. Die touristischen Highlights sind die Reste einer römischen Brücke und ein Hunde-Museum: Das "Haus des bretonischen Spaniels".
Und dann ist da noch Pierre Cazoulat. Er gehört zu der wachsenden Zahl von Aktiven, die ihre Leidenschaft in verschiedenen Disziplinen ausüben. Pierre, Karohemd und Cordhosen, sieht nicht aus wie ein bretonischer Ladeninhaber, sondern wie ein Leistungssportler: Mit Brille und gewelltem Haar, kommt schlank und jungenhaft einher - das Training braucht Kraft wie Konzentration.
Im Hinterzimmer des Verkaufsraums demonstriert er seine Kunst: Ein Bein vorgestellt, das Messer am Schaft gepackt, macht er ein paar tiefe Atemzüge. Dann, eine ausholenden Bewegung des Arms und das Messer bohrt sich in die dicke drei Meter entfernte Holzscheibe. "Die Konzentration vor dem Wurf gleicht dem Ritual beim Bogenschießen", sagt Pierre. "Man braucht die Ruhe eines japanischen Zen-Meisters."
Der Weltmeister begann sein Hobby schon mit fünf, sechs Jahren: Sein früh verstorbener Vater war ein Waffennarr und begeisterte ihn für die Jagd. "Mich haben Messer immer schon fasziniert, der stumpfe Ton, das 'Tack', wenn die Klinge sich in das Holz bohrt", sagt der 46-Jährige.
Praktisch für den Jungen, dass schon sein Großvater das Haushaltswarengeschäft besaß. "Auf dem Dachboden lagen jede Menge Messer, vor allem ausgemusterte Billigware. Ich warf auf alles, was nicht niet- und nagelfest war - Dachbalken, Türen, Schränke und Fensterläden, ich scheute vor nichts zurück."
Nach der Schule und einer Ausbildung in "Naturschutz und Wildtierbeobachtung", war Pierre ein Dutzend Jahre Jagdführer in Kanada. "Mal war es Jagd auf Niederwild, mal ging es um Karibus und Schwarzbären", sagt Pierre und zeigt auf das ausgestopfte Fell gleich neben dem Eingang.
Aus Pierre Cazoulat wird "Quick Pierre"
Zurück in Callac führte er ab 1997 den Laden mit seiner Mutter. "Vorn hatten wir Haushaltswaren und Dekoration, im hinteren Raum verkaufte ich Messer, Jagd- und Angelbedarf. "Eines Tages bot mir einer meiner Lieferanten Wurfmesser an. Aus purer Lust am Zeitvertreib begann ich wieder mit meinem alten Hobby und fing an, auf Holzscheiben zu werfen."
Der Zufall machte ihn zum Champion: Bei dem Besuch einer Fachmesse in Paris beobachtete Pierre erstmals eine Demonstration im Messerwerfen und erfuhr, dass in Frankreich, Europa und international Wettbewerbe existieren. "2008 habe ich teilgenommen und zu meiner Überraschung gleich im Weitwurf gewonnen." Noch im Oktober des Jahres reist der frisch gebackene Champion zur Weltmeisterschaft in die USA. In Austin, Texas, gewinnt er auf Anhieb die Duelle im "schnellen Werfen" und wird Zweiter über die Rekorddistanz von 18,5 Metern.
Zurück in Callac trainiert der Franzose nun fast täglich. Schon ein Jahr später holt er sich den Titel in der Königsdistanz, dem "Conventional Knives Throwing" - dem Werfen von 60 Messern über unterschiedliche Distanzen.
Erst nach dem Erfolg begann sich Pierre mit der Theorie des Sports auseinanderzusetzen: Der Haltung, an der Spitze oder am Griff, der Wurftechnik - ohne, mit halber oder mehreren Drehungen um die Längsachse. "Gleich, ob Messer oder Axt: Das Geheimnis besteht darin, eine regelmäßige Rotation zu trainieren, die dann nur der vorgeschriebenen Distanz angepasst werden muss."
Beim sportlichen Wettkampf werden Klingen von Längen zwischen 23 und 40 Zentimetern geworfen. Beim Präzisionswurf geht es über Entfernungen von drei, fünf und sieben Meter, in sieben Durchgängen werden je drei Messer geworfen. "Natürlich ist die Sportart noch immer weitgehend unbekannt", räumt der Champion ein. "In Amerika ist das anders, dort ist schon wegen der Hollywoodfilme das Messer- und Axtwerfen verbreitet. In Frankreich existieren bislang nur sechs Klubs, und selbst der Nationalverband ist noch im Aufbau."
In diesem Sommer könnte sich das freilich ändern, denn vom 22. bis 24. August wird die Weltmeisterschaft erstmals im bretonischen Callac ausgerichtet. Damit der Sport für die Zuschauer attraktiver wird, haben sich Pierre und seine Freunde neue Disziplinen ausgedacht: Schnelle Zweikämpfe oder ein Parcours mit Tierattrappen, bei dem auf wechselnde Ziele geworfen wird.
"Wir erwarten mehr als hundert Teilnehmer aus mehr als einem Dutzend Nationen - aus Frankreich, den USA, Russland und Deutschland", freut sich Pierre. Und ist sich sicher: "Callac wird endlich Schlagzeilen machen."