Deutscher EM-Titel im Handball Unbesiegbar und überstolz
Als die ersten Emotionen unmittelbar nach dem Spiel abgekühlt waren und die Meisterschale sich in den Händen der neuen Europameister befand, saß Dagur Sigurdsson auf einem Stuhl und hatte Tränen in den Augen.
Es gehört zum Erfolgsmodell des Isländers, fast nie Emotionen zu zeigen, doch nun war alles anders. Der Trainer war stolz auf seine Mannschaft und das zeigten seine Tränen. "Ich bin überstolz, das ist ja fast nicht zu glauben", sagte der 42-Jährige. Sigurdsson musste ein neues Wort erfinden, um ausdrücken zu können, was er empfand.
Der Isländer hatte den perfekten Plan ausgeheckt, seine Mannschaft diesen in einem dominanten Spiel perfekt umgesetzt - und deshalb krönten sich die deutschen Handballer völlig verdient zum Europameister. Im Endspiel war Spanien chancenlos, die Deutschen siegten 24:17 (10:6) und demontierten ein Team voller herausragender Individualisten.

Das Beeindruckende an den 60 Minuten in der Tauron-Arena war nicht, dass eine Mannschaft über die komplette Spielzeit routiniert, ja geradezu abgeklärt auftrat. Damit hatten viele Experten gerechnet. Überraschend war, dass es die junge deutsche Mannschaft war, die dominierte. Die Spanier waren zu Beginn überrascht, später hilflos und am Ende frustriert, dass sie gegen ein Team chancenlos waren, das sie zwei Wochen zuvor noch im Griff gehabt hatten.
Doch die DHB-Auswahl vom Finale hatte nichts mehr mit der Mannschaft des ersten Gruppenspiels gemein - auch wenn das Personal beinahe unverändert blieb. Von Spiel zu Spiel wuchsen die jungen Spieler von Sigurdsson. Im Endspiel versprühten sie dann die Aura der Unbesiegbarkeit. In der Abwehr bejubelten sie gelungene Aktionen nicht euphorisch, sondern wie selbstverständlich. Schon in der Anfangsphase zeigten die Deutschen Gesten eines Siegers, sie transportierten den Glauben an sich selbst: Seht her, wir sind heute nicht zu schlagen.
"Ich hatte schnell das Gefühl: Das ist heute genau mein Spiel, da kommt keiner an mir vorbei", sagte Finn Lemke am Rande der Siegesfeier. Dieses Selbstvertrauen übertrug er auf seine Mitspieler. Der deutsche Abwehrchef vom SC Magdeburg stand wie in den Partien zuvor sinnbildlich für die Überzeugung einer Mannschaft, die eine ihr zunächst zugedachte Obergrenze Stück für Stück nach oben hievte.
Mehr erfolgreiche Blocks als Gegentore
Ohne jeden Zweifel an sich selbst traten die Deutschen von der ersten Sekunde an auf. Nach 30 Minuten gab es mehr erfolgreiche Blocks der Deutschen als Tore der Spanier. Vor allem vor der Pause verschmolz die Deckungsreihe mitsamt Torhüter Andreas Wolff immer wieder minutenlang zu einer Wand. Es gab keine Lücken und die Ballgewinne der Deutschen waren die logische Folge. Die Spanier waren bereit, sie waren voll da - und sie hatten dennoch keine Chance. Diese Tatsache machte das Endspiel von Krakau zu einem historischen. In der zurückliegenden Dekade war es nur den vielfach dekorierten Franzosen um Superstar Nikola Karabatic gelungen, ein Finale gegen einen starken Gegner derart zu dominieren.
Fünf Zeitstrafen kassierten die aggressiven deutschen Deckungsspieler in der ersten Hälfte, mussten deshalb knapp zehn Minuten in Unterzahl verteidigen - und trotzdem prallten die Spanier immer wieder an der deutschen Wand ab. "Wir haben auch durch unsere Gestik signalisiert, dass wir gewinnen werden. Bei uns ging die Brust raus, und die Spanier wurden immer kleiner", sagte Lemke.
Andreas Wolff wehrte fast die Hälfte der Würfe auf sein Tor ab und unterstützte seine Vorderleute imponierend. Der Keeper der HSG Wetzlar zeigte seine außergewöhnliche Klasse. Große Torhüter gewinnen große Endspiele - und Wolff war der beste Mann auf dem Feld. Schon das 10:6 zur Pause deutete den Weg in diesem überraschend einseitigen Finale, 16 Minuten vor Schluss traf Kai Häfner - mit sieben Toren bester Werfer auf dem Feld - zum 16:9 und sechs Minuten vor dem Ende war die Entscheidung beim 22:13 längst gefallen.
Mit dem ersten großen Titel seit dem WM-Sieg 2007 haben die deutschen Handballer nicht nur die Qualifikation für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr, sondern auch ein Ticket für die Olympischen Spiele im Sommer in Rio de Janeiro. Die deutschen Spieler waren sich dessen bewusst, doch nach dem Spiel war das nicht mehr wichtig. "Wir machen jetzt was Ungesundes", sagte Lemke. Und Carsten Lichtlein, der sich selbst als "Opa der Rasselbande" bezeichnet, kündigte vollmundig an: "Wir gehen heute Nacht nicht ins Bett."