Doping Die Überlegenheit der DDR im Sport beweisen

Am 2. Mai wird den DDR-Chefdopern Manfred Ewald und Manfred Höppner der Prozess gemacht. Das Berliner Landgericht wirft den beiden Sportfunktionären Beihilfe zur Körperverletzung vor. SPIEGEL ONLINE sprach mit Rechtsanwalt Jan Torsten Mohr, der die 30-jährige Nebenklägerin Catherine Menschner vertritt.
Von Hubertus von Hörsten

SPIEGEL ONLINE:

Herr Mohr, Manfred Ewald war langjähriger Chef des NOK der DDR und zugleich Präsident des Turn- und Sportbundes. Manfred Höppner war stellvertretender Direktor des Sportmedizinischen Dienstes. Den beiden werden 140 Fälle von Körperverletzung vorgeworfen, mindestens 14 Nebenkläger treten auf. Es ist aber nur ein Verhandlungstag angesetzt, am 3. Oktober 2000 sind die Strafen verjährt.

Jan Torsten Mohr: An einem einzigen Hauptverhandlungstag kann - selbst bei einem Geständnis - unmöglich das Maß von Unrecht und Schuld erfasst, bewertet und in einen angemessenen Strafausspruch umgesetzt werden: Zehn Jahre wurde ermittelt, allein die Anklage umfasst 180 Seiten, und mehr als 200 Zeugen sind darin aufgeführt. Es ist zu befürchten, dass im Rahmen eines Schnellverfahrens, an den Interessen der Geschädigten vorbei, unter den Komplex DDR-Doping ein Schlussstrich gezogen werden soll.

SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen von einem Justiz-Skandal.

Mohr: Gegen eine Verfahrensbeschleunigung ist grundsätzlich ja nichts einzuwenden, schon im Hinblick auf die Verjährungsproblematik. Aber das darf nicht dazu führen, dass nach vielen Pannen und Verzögerungen bei den Ermittlungen jetzt eine überlastete Justiz den bedeutendsten Prozess im Komplex DDR-Doping als lästige Pflicht abhandelt. Der Schaden für das Ansehen Deutschlands wäre ebenso groß wie die Enttäuschung der Opfer, wenn diese mehr als Störer, denn als Hauptbetroffene betrachtet werden.

SPIEGEL ONLINE: Sie vertreten Catherine Menschner, einst ein hochgeschätztes Jugendtalent im DDR-Schwimmsport.

Mohr: Sie war mit neun Jahren als Schwimmtalent ausgemacht worden, kam in die Kinder- und Jugendsportschule Dresden und wurde in die sogenannte "Experimentierklasse" aufgenommen. Diese diente unter anderem dazu, Erfahrungen mit sehr frühem Trainingsbeginn und den Einsatz von leistungsfördernden Mitteln bei Kindern auszuprobieren. Man zielte auf einen Leistungshöhepunkt von 16 bis 17 Jahren ab. Die Erfahrungen wurden dann gezielt für die Förderung von Spitzentalenten ausgewertet. Die Kinder waren Versuchskaninchen. Mit etwa elf Jahren bekamen sie von den Trainern und Sportärzten am Beckenrand Anabolikapräparate, erst Oral-Turinabol, später auch Testosteronspritzen. Den Kindern wurde erzählt, es handle sich um harmlose Vitaminpräparate.

SPIEGEL ONLINE: Was haben diese "Vitaminpräparate" bei Catherine Menschner bewirkt?

Mohr: Erst einmal gute Erfolge bei Schwimmmjugendmeisterschaften und Spartakiaden. Dann allerdings schwere Hormonstörungen, eine tiefere Stimme und Bartwuchs. Außerdem Unterleibserkrankungen mit der Spätfolge, dass Frau Menschner fünf Fehlgeburten erlitten hat. Durch die brutalen Trainingsmethoden erlitt sie obendrein mit 14 Jahren einen Zusammenbruch mit Lähmungserscheinungen und wäre fast im Schwimmbecken ertrunken. Noch heute hat sie schwere und schmerzhafte Schäden am Rücken, sowie erhebliche Schädigungen der Unterleibsorgane.

SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle haben die nun angeklagten Sportfunktionäre Ewald und Höppner im Fall Menschner gespielt?

Mohr: Keine direkte, sie haben nie selber Dopingmittel verteilt. Aber sie waren die Hauptverantwortlichen des Dopingsystems, die Manager sozusagen. Beide wußten von den schweren Folgen des Kinderdopings und haben sie dennoch in unmenschlicher Weise in Kauf genommen. Und das nur für das politische Ziel: die Überlegenheit der DDR im Sport zu beweisen. Manfred Ewald war der politische Verantwortliche, der gegen Höppners Bedenken rücksichtsloses Weitermachen angeordnet hat.

SPIEGEL ONLINE: Höchststrafe für Beihilfe zur Körperverletzung sind nach bundesdeutschem Recht drei Jahre und neun Monate, nach DDR-Recht zwei Jahre. Demgemäß wurde Anfang dieses Jahres der ehemalige DDR-Schwimmtrainer Lothar Kipke in Berlin zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die zur zweijährigen Bewährung ausgesetzt wurde.

Mohr: Alle bisher verhängten Strafen für Schuldige im Doping-Komplex sind ausgesprochen niedrig ausgefallen, Daran gemessen dürften auch Höppner und Ewald noch mit Bewährungsstrafen rechnen können. Für mich ist sehr zweifelhaft, ob eine Bewährungsstrafe der Schuld gerecht wird. Und meiner Mandantin geht es nicht in erster Linie darum, die Täter im Gefängnis zu sehen. Aber deren Schuld lässt eine Bewährung nicht zu: Nicht bei 140 Fällen von Körperverletzung mit all den daran hängenden schlimmen Schicksalen der gedopten Sportler - insbesondere der Kinder, die wider besseres Wissen für ideologische Staatsziele missbraucht wurden.

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