Doping-Experte Schänzer "Rusedskis Erklärung ist plausibel"

Der Dopingfall Greg Rusedski hat die Tennisszene in Aufruhr versetzt. Wenige Tage vor Beginn der Australian Open spricht Doping-Fahnder Wilhelm Schänzer im Interview mit SPIEGEL ONLINE über Nandrolon, verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel und die Einlassungen John McEnroes.

SPIEGEL ONLINE:

Herr Schänzer, der langjährige Turnierarzt des Düsseldorfer Rochusclubs, Hartmut Krahl, glaubt nicht an Doping im Tennissport, weil man sich damit eher die Leistung vermassele. Sehen Sie das auch so?

Wilhelm Schänzer: Natürlich überwiegt im Tennis wie auch im Fußball die technische Komponente. Aber Grundlage für diese Sportarten sind Kondition, Schnellkraft und Reaktionsvermögen. Deshalb können auch Tennisspieler von Dopingsubstanzen profitieren. Das lässt sich nicht ausschließen. Gerade bei Verletzungen könnten Sportler versuchen, durch die Einnahme von Dopingmitteln schnell wieder ihre vormalige Verfassung zu erreichen - oder sogar zu verbessern.

SPIEGEL ONLINE: Welche Art von Doping wäre Tennisspielern am nützlichsten?

Schänzer: In einem mehrstündigen Match könnten mit Stimulanzien vom Amphetamintyp Ermüdungserscheinungen überbrückt werden; Leistung kann länger auf hohen Niveau gehalten werden. In der Aufbauphase, wenn man Grundlagentraining macht, um Kraft und Schnellkraft zu verbessern, könnten Steroidhormone zum Einsatz kommen. Diese haben positive Effekte auf die Eiweißsynthese und die Blutbildung. Eventuell verbessern diese Steroide auch die Regeneration, aber das ist wissenschaftlich nicht abgesichert.

SPIEGEL ONLNE: Der Brite Greg Rusedski wurde wie in den vergangenen zwei Jahren sieben andere Tennisprofis positiv auf das anabole Steroid Nandrolon getestet.

Schänzer: Mit Nandrolon kann man in der Aufbauphase versuchen, die Muskelkraft als Basis für die Schnellkraft zu verbessern.

SPIEGEL ONLINE: Die Werte der positiv getesteten Spieler waren aber sehr deutlich unter der Marke, ab der Nandrolon die Leistung fördert.

Schänzer: Es ist auffällig, dass es sich bei den positiven Befunden um eine ganz niedrige Konzentration von Nandrolon im Blut handelte. Eventuell haben die Sportler mit dieser Substanz in der Trainingsphase gearbeitet und sie dann vor den Wettkämpfen abgesetzt. Gleichzeitig aber haben wir im Fall Nandrolon das Problem mit verunreinigten Nahrungsergänzungsmitteln. Da kann man nur ganz schwer differenzieren. Man bräuchte sehr aufwendige Untersuchungen, um zu klären, ob gedopt wurde oder die erhöhten Nandrolonwerte von kontaminierten Nahrungsergänzungsmitteln stammen.

SPIEGEL ONLINE: Letzteres behaupten die Spieler, die angeblich von der ATP verabreichte Elektrolyte zu sich genommen haben. Sind deren Aussagen glaubwürdig?

Schänzer: Ausschließen lässt sich das nicht. Man muss aber den Beweis führen. Die Gremien, die für diese Fälle zuständig sind, müssen alle Daten berücksichtigen und zu einer vernünftigen Entscheidung kommen. Merkwürdig ist allerdings, dass mehrere Spieler fast die gleichen niedrigen Werte hatten. Das deutet auf eine exogene Quelle hin. So etwas Ähnliches gab es vor etwa zehn Jahren, als einige Radsportler positiv auf das Kälbermastmittel Clenbuterol getestet wurden. Auch das waren minimale Konzentrationen. Hinterher stellte sich heraus, dass der Verzehr von verunreinigtem Fleisch der Grund dafür war.

SPIEGEL ONLINE: Sie halten die positiv getesteten Tennisprofis also für unschuldig?

Schänzer: Die Erklärung der Sportler halte ich für plausibel. Endgültig beurteilen kann ich das aber nicht, weil ich die Daten nicht habe.

SPIEGEL ONLINE: Ist die öffentliche Debatte, in die sich jüngst auch John McEnroe mit seinen Doping-Geständnis eingeschaltet hat, hilfreich in Ihrem Kampf gegen Doping?

Schänzer: Zwar regen solche Aussagen die Diskussion über Doping an, leider aber führen sie auch verstärkt zu Spekulationen - zum Schaden des Sports. Mir wäre es viel lieber, wenn solche Geständnisse im Rahmen einer Zusammenarbeit mit einer nationalen oder internationalen Anti-Doping-Agentur getroffen werden würden. Dort könnte dann erstmal die Zuverlässigkeit der Aussagen überprüft werden.

Das Interview führte Till Schwertfeger

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