Doping-Fiasko Winokurow überführt - Tour-Chefs versprechen Revolution im Radsport
Es brach gerade der Abend über der Tour de France herein, da kam schon wieder eine Doping-Schlagzeile, wie die Organisatoren des Rennens sie in den vergangenen Tagen zu hassen gelernt hatten. Alexander Winokurow, kürzlich in der A-Probe positiv auf Fremdblut-Doping getestet, wurde endgültig des Sportbetrugs überführt. Die Nachrichtenagentur AFP meldete, dass nun die Gegenanalyse in der B-Probe dasselbe Ergebnis hatte. Ganz klar: Winokurow - ab sofort ein offizieller Dopingfall.
Auf der 13. Etappe am 21. Juni, nach seinem Sieg im Zeitfahren, war er getestet worden. Jetzt steht dem Kasachen nach den Regeln des Weltverbands UCI eine zweijährige Sperre bevor. Mit Winokurow hatte sich nach Bekanntwerden der A-Probe in der vergangenen Woche das ganze Team Astana von der Tour zurückgezogen.
Laut der französischen Sporttageszeitung "L'Equipe" soll auch noch eine weitere positive A-Probe von Winokurows Etappensieg am 23. Juni in Loudenvielle-le-Louron existieren. Doch er selbst lässt kein Schuldbewusstsein erkennen. Er sagt, er habe nicht betrogen. "Man soll nicht annehmen, dass das Labor alles korrekt gemacht hat", ergänzte heute (schon vor Veröffentlichung des B-Probenbefunds) Maurice Suh, der Anwalt, den sich Winokurow genommen hat. Der Radprofi will gerichtlich gegen das französische Anti-Doping-Labor in Chatenay-Malabry vorgehen, wo die Probe untersucht worden war, und das Testverfahren anfechten.
Endlich Schluss mit Fällen wie Winokurow, Rasmussen & Co
Genau solche Meldungen, solche Fälle wie Winokurow und Astana sind es, die bei den Tour-Chefs von der Amaury Sports Organisation (Aso) inzwischen auf schieres Entsetzen stoßen. Die Tour de France 2007 ist zum Doping-Fiasko geworden, den Veranstaltern ist jetzt klar, dass etwas passieren muss - dafür hätte es den Dopingbefund bei Winokurows B-Probe schon gar nicht mehr gebraucht. Dass der umstrittene Kasache unschuldig ist, hielt ohnehin keiner mehr für wirklich wahrscheinlich.
Nur: Was muss jetzt eigentlich passieren?
Um auf diese Frage eine Antwort zu geben, hatten Aso-Chef Patric Clerc und Tour-Organisator Christian Prudhomme heute schon vor dem Start des letzten Zeitfahrens und weit vor der Bekanntgabe von Winokurows B-Proben-Befund zu einer Pressekonferenz geladen. Ein außergewöhnlicher Termin, zu dem nicht jeder durfte. Ein Herr im dunklen Jackett stand etwas verloren vor dem Eingang des "village étape" - jenes provisorischen Dorfes, das am Start jeder Etappe aufgebaut wird. Eintritt nur für geladene Gäste und Akkreditierte. Der Mann im Jackett, Pat McQuaid, Präsident des Weltradsportverbandes UCI, gehörte weder zur einen noch zur anderen Kategorie. Er war unerwünscht.
Er musste draußen bleiben und sich aus zweiter Hand berichten lassen, wie drinnen gerade seine Kontrahenten deftig über die UCI herzogen. Clerc und Prudhomme verkündeten, dass es die Tour de France, so wie man sie bisher kannte, nie mehr geben soll.
Erster Schritt zur Veränderung soll der Rausschmiss der UCI sein - des Präsidenten und vor allem des ganzen Verbandes. Prudhomme hatte die Zusammenarbeit schon in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" aufgekündigt. Er will Dopingtests in Zukunft direkt von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) durchführen lassen.
Nun legte der 46-Jährige nach. Im Hinblick auf die viel zu späte Veröffentlichung der Dopingprobe von Patrik Sinkewitz sagte er: "Wir haben das Gefühl, dass uns die UCI die Resultate nicht vorher geben wollte." Was das lange Verschweigen der verpassten Tests von Michael Rasmussen betrifft, urteilte Prudhomme: "Entweder ist die UCI unfähig oder sie will der Tour schaden." Sein Vorgesetzter Clerc fasste das ganze Elend - aus Sicht der Aso - zusammen: "Die UCI hat sich nicht sehr professionell verhalten. Wenn man anderswo solche Fehler macht wie die UCI, dann wird der Verantwortliche normalerweise entlassen."
Die UCI darf mitmachen - kann es aber auch gern lassen
McQuaid, dem diese Attacke galt, stand derweil draußen vor dem Zaun und beschwor gegenüber Reportern, dass die Tour keine Alleingänge versuchen sollte: "Die Radsportfamilie muss ihre Probleme gemeinsam lösen." Er würde nie etwas tun, was der Tour de France schaden würde. Er nannte es "skandalös", wenn die Aso dies andeute. Die Aso hingegen scheint wild entschlossen, die UCI loszuwerden. Für die kommenden Monate wollen die Tourveranstalter laut Clerc "mit den Teams, den Sponsoren, den nationalen Verbänden und auch internationalen Organisationen reden", um einen Katalog zu erstellen, in dem definiert wird, wer künftig noch bei der Tour mitfahren darf.
Die UCI, klang zwischen den Zeilen durch, darf sich durchaus an diesen Gesprächen beteiligen. Sie kann es aber auch lassen. Zu oft hatte der Weltverband schon in der Vergangenheit den Eindruck erweckt, Doping-Vergehen lieber unter den Tisch zu kehren statt sich offensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Clerc nannte die UCI "zutiefst gewissenlos".
Auch bei den Tour-Teilnehmern wollen Prudhomme und Clerc einen klaren Schnitt machen. Künftig, so ließen sie verlauten, sollen eher ethische als sportliche Höchstleistungen zum Start berechtigen. Wer den Kriterien, die bis Ende Oktober festgelegt werden sollen, nicht genügt, muss zu Hause bleiben.
Das dürfte nach heutigem Stand der Doping-Diskussion und der Spaltung der Rennställe im Umgang mit dieser Frage zwangsläufig dazu führen, dass erheblich weniger Teams starten. Clerc bestätigte: "Wir haben keine Probleme mit einem verkleinerten Peloton" - selbst wenn dies bedeutet, dass dann weniger Gelder von Sponsoren fließen.
Wenn man sich künftig nicht mehr auf Tests und Einschätzungen des Weltverbandes verlässt, könnten der Tour nicht nur unsagbare Peinlichkeiten wie der Fall Rasmussen erspart bleiben, sondern auch zweifelhafte potentielle Sieger wie Alberto Contador. Selbst bei ihrer heutigen mitunter arg pathetischen Ansprache mussten sich Clerc und Prudhomme Nachfragen wegen Contadors möglicher Fuentes-Vergangenheit und angeblicher neuer Beweise gegen ihn gefallen lassen.
Doch darüber wussten beide vorgeblich so wenig Bescheid wie McQuaid, der eingestand, nicht alle Dokumente des Falles zu kennen - inklusive jener, die der UCI vorliegen. Angesichts solcher häufig vorkommender kollektiver Ahnungslosigkeit musste sich nicht nur der Weltverband, sondern auch die oft zögerliche Aso einige Kritik gefallen lassen.
"Vielleicht wird sich der gesamte Radsport zweiteilen"
Rolf Aldag, Sportlicher Leiter des T-Mobile-Teams, hörte sich die Ausführungen von Clerc und Prudhomme interessiert an. Ginge es nach ihm, sollte das Umdenken allerdings bereits morgen einsetzen. "Muss man die drei Ersten der Tour de France morgen wirklich ehren? Muss man sich da wirklich hinstellen und sagen, das sind die Besten und wir ehren unsere Helden wie immer?", sagte Aldag SPIEGEL ONLINE. Seine Alternative: "Da soll man lieber die letzten Drei ehren. Oder alle, die sich bis Paris durchgekämpft haben, das ist ja genug Quälerei." Aldag wartet auf ein klares Zeichen der Veranstalter, befürchtet aber, "dass es wieder an den Fahrern hängenbleibt". Ein möglicher Protest auf der Zieletappe morgen könnte darin bestehen, einen Meter vor dem Ziel abzustoppen oder den traditionellen Nichtangriffspakt der Teams aufzukündigen. Aldag: "Es herrscht schließlich kein Frieden im Peloton. Warum sollte man dann so tun?"
Hans-Michael Holczer, Teamchef von Gerolsteiner, warnte: "Man sollte das Thema Doping nicht als Waffe instrumentalisieren, um Machtkämpfe auszutragen. Es ist schon absurd: Wenn ich in unserem Team-Begleitwagen durch Frankreich fahre, sehe ich Millionen von Zuschauern, die uns an der Strecke begeistert anfeuern. Und es geht alles kaputt. Der Radsport ist sehr verrückt."
Die ständigen Querelen der Verbände, sagte Holczer SPIEGEL ONLINE, seien einer der Gründe, warum sich nicht nur die Tour de France von Grund auf ändern müsse: "Es brodelt mit einem solchen Druck unter der Oberfläche, dass es vielleicht bald eine Explosion gibt, die mehr spaltet als nur die Teams. Vielleicht wird sich der gesamte Radsport zweiteilen in zwei unterschiedliche Organisationen, die ihre eigenen Rennen austragen. So wie bisher kann es nicht weitergehen."