Doping im Amateursport "Viele Männer wollen einen Sixpack wie Ronaldo"

Schmerzmittel im Handball, Anabolika im Fitnessstudio - im deutschen Amateursport sind leistungssteigernde Mittel weit verbreitet. Warum die Wenigsten ein schlechtes Gewissen plagt, erklärt Sportpsychologe Ralf Brand.
Ein Interview von Benjamin Knaack

Wer Doping hört, denkt vor allem an gefallene Stars. An Lance Armstrong, Jan Ullrich, den großen Radsportskandal. Oder an das russische Staatsdoping, vielleicht auch an bulgarische Gewichtheber. Doch es sind nicht nur die Profis, auch bei den Amateuren ist der Griff zu leistungssteigernden Mitteln weitverbreitet - eine unterschätzte Gefahr.

Ralf Brand, Sportpsychologe von der Universität Potsdam , geht der Frage nach, mit welcher Motivation Hobbyathleten zu Dopingmitteln greifen. Mit seinen Kollegen hat er nahezu 1000 Amateursportler in fünf europäischen Ländern zu ihren Erfahrungen befragt . Mitfinanziert wurde das Projekt von der EU, die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada ist Partner in Deutschland.

SPIEGEL ONLINE: Herr Brand, Amateursportler werden weder reich noch berühmt. Warum nehmen trotzdem so viele leistungssteigernde Mittel?

Brand: Aus zwei Gründen: Manche wollen einfach länger laufen oder mehr Gewichte stemmen, das sind die Leistungsorientierten, oft Männer. Und dann gibt es diejenigen, denen es um die Veränderung des körperlichen Erscheinungsbilds geht.

SPIEGEL ONLINE: Wer ist das?

Brand: Beide Geschlechter. Seit Daniel Craig den James Bond mit ausgezogenem T-Shirt spielt, ist auch bei Männern der Wunsch nach einem austrainierten Oberkörper stark ausgeprägt. Was uns viele Interviewte unserer Studie als weiteres Motiv nennen, ist Zeitgewinn.

SPIEGEL ONLINE: Die Menschen sind ungeduldig und wollen ihren Traumbody so schnell wie möglich?

Brand: Genau. Getrieben wird das Ganze durch gesellschaftliche Ideale. Viele Männer wollen einen Sixpack wie Ronaldo, und wenn das nicht schnell genug kommt, greifen sie zu verbotenen Mitteln. Dabei wissen sie nicht, dass es ein Stückweit angeboren ist, ob sie einen solchen Sixpack überhaupt bekommen können.

SPIEGEL ONLINE: Wo gibt es die meisten "Amateur-Doper"?

Brand: Ganz klar im Fitnessstudio. Obwohl das nur Freizeit ist, gibt es oft einen Konkurrenzdruck, man will schwerere Gewichte stemmen als der Kumpel, mehr Wiederholungen schaffen als der Arbeitskollege. Manche motivieren sich aber auch ganz allein.

SPIEGEL ONLINE: Langfristiger Muskelaufbau erfordert eine hohe Selbstdisziplin, viele Menschen bleiben nach dem dritten Besuch im Fitnessstudio lieber auf der Couch. Wie passt es da, dass gerade die hochmotivierten, fleißigen Menschen abkürzen wollen?

Brand: Um Ergebnisse zu erzielen, braucht es systematisches Training über einen längeren Zeitraum. Dasselbe gilt auch fürs Doping: Dort genügt es nicht, nur einmal Anabolika zu probieren. Das muss diszipliniert über eine längere Phase angewandt werden. Eine ganz besondere Gruppe sind die Bodybuilder, die häufig außergewöhnlich gut informiert sind. Das sind oft regelrechte Experten.

SPIEGEL ONLINE: Solch ein Wissen haben aber wohl nur die wenigsten Amateursportler.

Brand: Die normalen Fitnessstudiobesucher sind meist sehr schlecht informiert. Das größte Problem ist das Internet, Google kann zu fragwürdigen Seiten führen. Weil Untersuchungen zeigen, dass viele übers Internet bestellte Produkte mit bedenklichen Inhaltsstoffen kontaminiert sind, ist das so gefährlich. Das gilt sogar für Proteinshakes.

SPIEGEL ONLINE: Die sind aber legal.

Brand: Ja, aber manchmal senken solche Ergänzungen die Hemmschwelle für andere Mittel. Und die Dunkelziffer ist riesengroß: Wenn man bedenkt, dass der Zoll innerhalb eines Kalenderjahrs an Flughäfen in Deutschland mehrere Tonnen verbotener Anabolika sicherstellt, dann weiß man, was Sache ist. Damit kann man sehr viele Sportler in Deutschland über einen langen Zeitraum hinweg versorgen.

SPIEGEL ONLINE: Ist es so leicht, an Mittel zu kommen?

Brand: Nach unseren Untersuchungen ist es sehr einfach. Uns wurde berichtet, dass man in nahezu jedem Studio Ansprechpartner finden kann. Mittlerweile haben immerhin einige Fitnessstudios die Gefahr erkannt und tun was dagegen.

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht es abseits der Fitnessstudios aus?

Brand: Sie können alle Sportarten durchgehen. Ob es Läufer, Radsportler, Kreisliga-Fußballer oder Handballer sind - überall gibt es Menschen, die leistungssteigernde Mittel nehmen.

SPIEGEL ONLINE: Was wird dort konsumiert?

Brand: Vor allem Schmerzmittel sind weit verbreitet. Die werden gerne im Vorwege eingeworfen, um sich härter belasten zu können. Läufer machen das, aber auch Sportler, bei denen es zur Sache geht, etwa beim Rugby, American Football oder Handball.

SPIEGEL ONLINE: Sind sich die Amateure der Gefahren bewusst?

Brand: Sehr viele Sportler, mit denen wir gesprochen haben, sind über die Risiken nicht ausreichend informiert. Sie vertrauen auf Empfehlungen von Freunden, Trainern oder des Dealers, der sagt: Das geht schon. Die Verkäufer wollen Geld verdienen und sind nicht daran interessiert, über Gefahren aufzuklären. Bei Hardcore-Usern ist es etwas anderes, die nehmen die negativen Seiten einfach in Kauf.

SPIEGEL ONLINE: Und wenn dann tatsächlich mal Komplikationen auftreten?

Brand: In unserer Umfrage hatten wir eine Person, die einen Hirnschlag erlitten hatte. Die hat nicht aufgehört, sondern nur ihre Medikamente anders zusammengestellt. Das hätte ich mir vor der Studie nicht träumen lassen.

SPIEGEL ONLINE: Haben die "Amateur-Doper" ein schlechtes Gewissen?

Brand: Unsere Probanden nicht, die sagen sich: Es ist zwar verboten, das zu nehmen, aber viele andere machen es ja auch, deshalb kann es ja nicht so schlimm sein.

SPIEGEL ONLINE: Klingt nach der Jan-Ullrich-Ausrede: "Ich habe niemanden betrogen."

Brand: Genau. Es wird oft auch gar nicht als Doping wahrgenommen. Nach dem Motto: Das ist zwar irgendwie falsch, aber ich mache ja keine Wettkämpfe - wem schade ich denn? Moral wird außer Kraft gesetzt. Allerdings: Wenn Sie in ein Fitnessstudio gehen und in den Raum fragen, wer was nimmt, dann wird sich garantiert niemand melden. Ein gewisses Unrechtsbewusstsein ist also wohl schon vorhanden.

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