Doping im Boxen "Das Problem ist deutlich größer, als viele glauben"

Symbolbild
Foto: Hendrik Schmidt / DPASPIEGEL ONLINE: Dr. Goodman, seit die Voluntary Anti-Doping Association (Vada) 2011 begonnen hat, Dopingtests im Profiboxen durchzuführen, gibt es mehr positive Fälle als früher. Benutzen inzwischen mehr Boxer verbotene Substanzen, oder sind Sie einfach sehr gut darin, Dopingsünder zu überführen?
Margeret Goodman: Ich glaube, es ist eine Verbindung aus beidem. Wir haben Trainingskontrollen eingeführt, die es im Boxen vorher in dieser Form nicht gab. Früher gab es Tests nur am Tag des Kampfes. Inzwischen können Boxer jederzeit getestet werden. Das trägt sicher dazu bei, dass es mehr positive Fälle gibt.

Margeret Goodman ist die Präsidentin der Voluntary Anti-Doping Association (Vada), die sich auf Dopingkontrollen im Boxen spezialisiert hat. Goodman ist Neurologin und arbeitet seit den Neunzigerjahren im Boxsport, unter anderem als Ringärztin, medizinische Beraterin und TV-Expertin.
SPIEGEL ONLINE: Wie reagiert die Box-Branche auf Ihre Arbeit? Werden Sie unterstützt, gefürchtet oder gehasst?
Goodman: Von allem ein bisschen. Ich bin mir sicher, dass viele Promoter ein Problem mit den hohen Kosten haben. Aber ich glaube, die meisten Boxer sind sehr froh, dass es uns gibt.
SPIEGEL ONLINE: Profiboxen ist ein großes Geschäft. Wenn wichtige Kämpfe abgesagt werden, verlieren die Beteiligten sehr viel Geld. Werden Sie dafür verantwortlich gemacht? Wurden Sie schon auf Schadenersatz verklagt?
Goodman: Nein. Rechtliche Konsequenzen sind vertraglich ausgeschlossen.
SPIEGEL ONLINE: Unter Marketinggesichtspunkten sind positive Testergebnisse gut für die Vada, weil die Medien meistens nur dann über Doping berichten, wenn jemand erwischt wird. Je größer der Name, desto größer die Außenwirkung. Freuen Sie sich, wenn Sie Superstars überführen?
Goodman: Wir wollen nicht, dass irgendjemand positiv getestet wird. Wir machen auch kein Marketing - das ist nicht unsere Aufgabe. Die Vada will nur sauberen Sport und faire Kämpfe. Und wir wollen, dass die Verbände einsehen, dass wir gebraucht werden - genau wie die Promoter. Ich glaube, die Boxer sehen die Notwendigkeit. Ich wünschte, dass es für alle Boxer dieselben Tests gäbe.
SPIEGEL ONLINE: Wann hat die Vada ihre Arbeit aufgenommen, und was machen Sie anders als andere?
Goodman: Wir haben Ende 2011 angefangen. Im Gegensatz zu anderen Agenturen unterscheiden wir nicht zwischen Training und Wettkampf. Substanzen, die verboten sind, sind immer verboten. Außerdem haben wir die vielleicht besten Testverfahren. Ich glaube, dass wir strenger sind als alle anderen - und die Sportlerinnen und Sportler wissen das zu schätzen.

Kampfsport: Gedopte Boxer
SPIEGEL ONLINE: Warum hielten Sie die Gründung der Vada überhaupt für nötig?
Goodman: Ich wollte nie Dopingtesterin werden. Ich habe lange für den Boxverband in Nevada und den Box-Dachverband in den USA gearbeitet und war frustriert, dass Doping in unserem Sport nicht ernst genommen wurde. Wir haben die Vada gegründet, um auf ein offensichtliches Problem aufmerksam zu machen.
SPIEGEL ONLINE: Was unterscheidet die Vada von der Wada (Welt-Anti-Dopingagentur)?
Goodman: Die Wada führt selbst keine Tests durch, das überlässt sie ihren nationalen Mitgliedern - wie in Deutschland der Nada. Die testet aber nicht nur, sondern übernimmt auch die rechtliche Bewertung. Sie entscheidet, ob und wie lange eine Sportlerin oder ein Sportler gesperrt werden muss. Das tun wir nicht. Wir glauben, dass diese Entscheidung beim zuständigen Verband liegen muss. Wir führen nur die Tests durch und leiten die Ergebnisse an die Verbände weiter. So bleiben wir unabhängig.
SPIEGEL ONLINE: Wie bewerten Sie die Arbeit der Vada bis jetzt? Was funktioniert gut, in welchen Punkten müssen Sie sich verbessern?
Goodman: Ich glaube, dass wir die Sicht auf Dopingkontrollen nicht nur im Kampfsport, sondern ganz allgemein verändert haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch mehr in Aufklärung investieren müssen. Wir müssen Sportler und Trainer besser darüber informieren, was Doping überhaupt ist und wo die Gefahren liegen. Wir haben schon Webseminare zu dem Thema und bieten direkte Beratung für Betroffene an. Ich würde das gerne weiter professionalisieren. Aber genau wie das Durchführen von Tests ist das leider sehr teuer.

Margaret Goodman als Ringärztin bei einem Kampf von Wladimir Klitschko im Jahr 2004
Foto: Doug Benc/ Getty ImagesSPIEGEL ONLINE: Wie viele Tests führen Sie durch, und wie hoch ist der Anteil der positiven Befunde?
Goodman: Wir testen ungefähr 40 Sportler pro Monat. Der Anteil der positiven Tests liegt bei sechs bis sieben Prozent.
SPIEGEL ONLINE: Bisher wurden wesentlich mehr männliche Boxer des Dopings überführt als Boxerinnen. Woran liegt das?
Goodman: Leider haben sich erst sehr wenige Boxerinnen für unser Programm registriert. Ich glaube nicht, dass Frauen weniger dopen als Männer.
SPIEGEL ONLINE: Die mittlerweile zurückgetretene Ex-Weltmeisterin Mia St. John hat 2018 in der "LA Times" Doping zugegeben . Außerdem sagte sie, dass "jeder es macht und auch jeder im Boxen davon weiß". Stimmen Sie dem zu?
Goodman: Eins steht fest: Das Problem ist deutlich größer, als viele glauben. Und das, obwohl die Risiken und Nebenwirkungen des Dopings zu schwerwiegend sind, um sie zu ignorieren. Wenn wir uns einig sind, dass Fairness und Sicherheit wichtig sind, dann müssen wir Doping insgesamt ernster nehmen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es bestimmte Substanzen, die Sie bei Boxern häufiger finden als andere?
Goodman: Anabolika sind die am häufigsten genutzten und nachgewiesenen Substanzen.
SPIEGEL ONLINE: Boxen ist ein komplexer Sport. Man braucht Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Konzentration. Die meisten Mittel fördern nur einen dieser Punkte und haben vielleicht sogar negative Auswirkungen auf andere Bereiche. Manche Boxer behaupten deshalb, Doping würde kein Sinn machen. Was antworten Sie darauf?
Goodman: Die Einnahme leistungsfördernder Substanzen macht für jeden Athleten Sinn, der sich einen unrechtmäßigen Vorteil verschaffen will. Denn leider funktioniert das Zeug. Und tragischerweise werden die Langzeitfolgen und Nebenwirkungen ignoriert. Deswegen brauchen wir mehr Aufklärungsarbeit.
SPIEGEL ONLINE: Im Radsport wurden professionelle Dopingstrukturen aufgedeckt. Glauben Sie, dass es im Boxen vergleichbare Strukturen gibt.
Goodman: Ja, definitiv.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt Menschen, die sagen, man könnte das Dopingproblem ganz einfach damit lösen, dass man alle Substanzen legalisiert. Dann gäbe es keine Unfairness mehr, weil jeder alles nehmen dürfte.
Goodman: Das macht überhaupt keinen Sinn. Warum sollte man etwas erlauben, das so viel Schaden anrichtet? Und zwar sowohl für denjenigen, der es einnimmt, als auch für den Gegner.