Dopingskandal im olympischen Sport Vertuschung mit allen Mitteln

Die US-Justiz ermittelt gegen Russland, das IOC gibt plötzlich 31 positive Dopingproben aus Peking bekannt. Die Funktionäre wollen Besserung beweisen, doch echte Veränderung ist nicht in Sicht.
IOC-Präsident Thomas Bach

IOC-Präsident Thomas Bach

Foto: © Denis Balibouse / Reuters/ REUTERS

Es ist eine Flucht nach vorne. Der Vorstand des von spektakulären Doping- und Korruptionsfällen schwer erschütterten Internationalen Olympischen Komitees (IOC) geht nach einer Krisensitzung in die Offensive. Der Olympiakonzern unternehme alles, um "saubere Athleten zu schützen", heißt es in einer länglichen Erklärung. So teilte die IOC-Führung mit, bei Nachkontrollen eingefrorener Dopingproben von den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking seien 31 Athleten aus zwölf Ländern und sechs Sportarten des Dopings überführt worden. Namen wurden nicht genannt.

Es handelt sich nicht um die ersten Nachtests der Peking-Proben. Schon 2009 war einem halben Dutzend Sportlern die Verwendung des Blutdopingmittels Cera nachgewiesen worden. Allerdings war damals bei der Auswahl der Proben offenbar selektiert worden - so wie auch aktuell: Man hat sich auf die Proben von Sportlern konzentriert, die für einen Start bei den Sommerspielen 2016 im August in Rio de Janeiro in Frage kommen. Von einer transparenten, unabhängigen Nachkontrolle aller Proben kann somit keine Rede sein.

US-Justiz ermittelt gegen Russland

Bei den Heimspielen 2008 in Peking hatte China mit einer gigantischen Medaillenausbeute (51 Gold, 21 Silber, 28 Bronze) Rang eins der Nationenwertung belegt. Es gibt viele Parallelen zu den Vorgängen sechs Jahre später in Russland, die derzeit Schlagzeilen machen: Russland stieg durch ein ausgeklügeltes, staatlich sanktioniertes Betrugsprogramm bei den Winterspielen 2014 in Sotschi zur Nummer eins der Medaillenwertung auf. Dazu gehörte offenbar auch die gezielte Manipulation von Dopingproben im olympischen Labor in Sotschi, wie der inzwischen in die USA geflüchtete damalige Laborleiter Grigori Rodschenkow kürzlich detailliert beschrieb.

Mittlerweile ermittelt das US-Justizministerium laut "New York Times" wegen möglicher Verschwörung und Betrugs gegen Russland. Federführend für die Ermittlungen sei die Staatsanwaltschaft für den östlichen Bezirk von New York - dort, wo auch die Machenschaften des Fußball-Weltverbands Fifa aufgeklärt werden sollen. Der Druck auf das IOC wird erhöht.

Zurück nach Peking: Zahlreiche positive chinesische Dopingfälle darf man von den neuen Analysen gewiss nicht erwarten. Ähnlich wie die Russen im Winter 2014 dürften auch die Chinesen im Spätsommer 2008 alles unternommen haben, um das Ergebnismanagement in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der Prüfbericht sogenannter "unabhängiger Beobachter" aus dem Herbst 2008 liefert dafür zahlreiche Anhaltspunkte. Einige Beispiele:

  • Lediglich 102 der damals 205 Nationalen Olympischen Komitees kamen - ohne Sanktionen des IOC - ihrer Meldepflicht zu den Aufenthaltsorten der Olympiasportler nach.
  • Nur vier der 28 olympischen Sommersportverbände hatten ein vorolympisches Blutscreening-System - dazu gehörte ausgerechnet der Leichtathletikverband IAAF, wo sich Doper freikaufen konnten, wie man inzwischen weiß.
  • 300 von 4.770 Testergebnissen blieben zunächst verschwunden, nach öffentlicher Kritik erhielt die Wada erst zwei Monate nach den Spielen die Resultate - natürlich allesamt negativ.
  • Bei 140 weiteren Tests gab es auffällige Werte, die nicht gemeldet wurden. Nur ein Teil der Urinproben wurden auf das weit verbreitete Blutdopingmittel Epo (und verwandte Substanzen) überprüft.

In Peking wurden gemäß IOC-Angaben 3.801 Urin- und 969 Blutproben genommen. Sie wurden eingefroren und ins ebenfalls in negative Schlagzeilen gerückte Dopingkontrolllabor von Lausanne überführt. Das IOC hatte 2008 eine zeitnahe Überführung der Proben versprochen. Tatsächlich lagerten die Tests aber rund zwei Monate in China, auch deshalb ist Skepsis angebracht.

Aus der olympischen Geschichte sind etliche spektakuläre Vertuschungsaktionen bekannt: So wurden 1980 in Moskau viele Proben nicht untersucht, die eindeutige Spuren anaboler Steroide aufwiesen, wie sich bei späteren inoffiziellen Analysen zeigte. 1984 in Los Angeles verschwanden positive Testergebnisse auf mysteriöse Weise aus dem Hotelzimmer des IOC-Dopingchefs Alexandre de Merode.

In dieser Tradition steht der Umgang mit den Proben von Peking und Sotschi, wo die IOC-Führer Jacques Rogge und Thomas Bach als Juniorpartner gigantischer Propagandafeste agierten. Der Belgier Rogge stand 2008 felsenfest an der Seite des damaligen Staats- und Parteichefs Hu Jintao. Der Deutsche Bach demonstriert seit seiner Wahl im September 2013, die auch mit dem Wohlwollen Wladimir Putins erfolgte, bei jeder Gelegenheit seine Verbundenheit zum russischen Präsidenten. Putins Sotschi-Show lobte Bach stets in höchsten Tönen als "die Spiele der Athleten".

Nicht nur nach Darstellung des Whistleblowers Rodschenkow haben der russische Geheimdienst FSB und das russische Sportministerium die Ergebnisse der Winterspiele 2014 beeinflusst und dafür gesorgt, dass dreizehn einheimische Medaillengewinner nicht als Doper enttarnt wurden. Zur Aufklärung dieser Vorgänge versprach das IOC-Exekutivkomitee am Dienstag "schnelles und entschlossenes Handeln". Man vermied Aussagen zu den sich weltweit häufenden Forderungen, Russland von den Sommerspielen in Rio auszuschließen.

Bach gerät wegen Tokio unter Druck

Ähnlich zurückhaltend argumentierte man im zweiten Skandal, der die olympische Welt derzeit in Atem hält: der mutmaßlichen Korruption bei der Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2020 an Tokio. Tokio hatte 2013 insgesamt rund 1,8 Millionen Euro an eine dubiose Firma mit engen Verbindungen zu Papa Massata Diack gezahlt, Sohn des langjährigen IAAF-Präsidenten und IOC-Mitglieds Lamine Diack. Japans NOK-Präsident Tsunekazu Takeda, seinerzeit Chef des olympischen Bewerbungskomitees, bestätigte die Zahlungen inzwischen, weigerte sich aber im japanischen Parlament, Details dazu offenzulegen.

Die Vorgänge sind für den IOC-Präsidenten durchaus delikat, denn sowohl Diack als auch Takeda gehörten stets zu seinen engsten Verbündeten im IOC. Bach hat Takeda sogar zum Chef der IOC-Marketingkommission gemacht. Dessen Behauptung, bei den Zahlungen an Diack Junior, der in Frankreich per Haftbefehl gesucht wird und sich der Auslieferung im Senegal entzieht, handele es sich um legale Beraterhonorare, scheinen dem IOC-Exekutivkomitee offenbar schlüssig. Maßnahmen innerhalb der olympischen Jurisdiktion sind zunächst nicht angekündigt. Die IOC-Führung versprach, mit der französischen Justiz zu kooperieren.

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