Dopingvorwürfe Mülleimerfund weckt Zweifel an sauberer Tour

Hematide, Aicar, orale Antidiabetika: Mehrere Dopingpräparate sind in den Mülleimern von Tour-de-France-Teilnehmern aufgetaucht. Laut Expertenmeinung handelt es sich um Leistungssteigerer der neuesten Generation - dem wichtigsten Radrennen der Welt droht erneut ein Doping-Debakel.

Hamburg - Die Tour de France 2009 ging am 26. Juli in Paris zu Ende - offiziell ohne einen einzigen Dopingfall. Wenige Tage nach dem Schlusssprint auf den Champs-Élysées sorgt jedoch die französische Anti-Doping-Agentur (AFLD) für Misstöne im Loblied auf den plötzlich so sauberen Radsport. Die AFLD-Beobachter hatten in den Mülleimern mehrerer Teams verbotene Substanzen entdeckt. Welche Mannschaften oder Fahrer unter Verdacht stehen, ist nicht bekannt.

Tour-de-France-Fahrer (in Paris): Verdächtige Müllfunde

Tour-de-France-Fahrer (in Paris): Verdächtige Müllfunde

Foto: Jasper Juinen/ Getty Images

Wenigstens zwei neuentwickelte Substanzen seien bei der Tour vermutlich verwendet worden, hatte AFLD-Chef Pierre Bordry der Zeitung "Le Monde" erklärt. Nach Informationen des Blattes handelt es sich unter anderem um ein sogenanntes Epo der dritten Generation, das dazu diene, den Hämoglobinspiegel zu erhalten. Das Präparat mit dem Namen Hematide soll erst 2011 in den Handel kommen, stehe aber bereits auf der Liste der verbotenen Substanzen der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada).

Mario Thevis stimmt nicht mit den Aussagen Bordrys überein: "Bei Hematide handelt es sich um eine Parallelentwicklung zu Epo. Die letztendliche Wirkung ist zwar gleich, mit einem herkömmlichen Epo-Test wäre Hematide aber nicht nachweisbar", sagte der Dopingexperte und Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln SPIEGEL ONLINE.

Vergleichbar sei das Prinzip mit Kopfschmerztabletten zweier Hersteller, die zwar chemisch unterschiedlich aufgebaut seien, aber letztlich denselben Effekt erzielten. "Man muss also strenggenommen nicht von Epo der dritten Generation, sondern von Hematide, einem Epo-Mimetikum der ersten Generation sprechen", so Thevis weiter. Derzeit arbeiteten zwei Labors parallel an einem Testverfahren zum Nachweis der Substanz.

Beim zweiten vermutlich verwendeten Präparat handelt es sich um die Gen-Dopingsubstanz Aicar. "Damit lässt sich die Ausdauerleistung steigern, zudem fördert es die Fettverbrennung", erklärt Thevis. Problematisch sei Aicar, da es auch als natürliche Substanz im menschlichen Körper vorkomme: "Wir arbeiten im Moment daran, einen Grenzwert festzulegen, ab dem man von einer chemischen Zufuhr ausgehen kann."

Die AFLD-Beobachter entdecken darüber hinaus auch ein Medikament in den Mülleimern einiger Teams, das Insulin produziert und normalerweise bei Diabetes eingesetzt werde, berichtete die dpa. "Dabei handelt es sich vermutlich um orale Antidiabetika", so Thevis. Bei einem Menschen ohne Diabetiserkrankung sorgten diese für eine erhöhte Insulin-Ausschüttung, eine schnellere Regeneration und wirkten dazu antikatabol. Dieses verhindert bei hoher Belastung den Abbau von Muskelmasse.

Nachprüfung für Teilnehmer der Tour von 2008

Die AFLD hatte bereits während der Tour bekanntgegeben, dass sie Blutproben von 15 Radprofis der Tour 2008 noch einmal auf den Epo-Nachfolger Cera untersuchen will. Dabei soll es sich um Fahrer aus den Top 20 der Gesamtwertung handeln. Bordry habe die betroffenen Fahrer vor dem Start der jüngsten Rundfahrt in Monaco über die Nachtests informiert.

Die Nachuntersuchungen auf Cera sollen im September und Oktober durchgeführt werden. Im vergangenen Jahr waren bereits die beiden Gerolsteiner-Fahrer Stefan Schumacher und Bernhard Kohl sowie die Italiener Riccardo Ricco und Leonardo Piepoli überführt worden. Aus finanziellen Gründen werden Nachkontrollen nicht bei allen Fahrern durchgeführt.

Erst weitere Tests, die über die angekündigte Nachprüfung der 2008er Tour auf Cera hinausgehen, können jedoch letztendlich offenlegen, ob die Tour 2009 tatsächlich so sauber abgelaufen ist, wie es die Veranstalter gerne hätten.

Mitarbeit: Florian Pfitzner
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