Enthüllungsbuch Masseur wirft Team Telekom systematisches Doping vor
Hamburg - Der belgische Radsport-Masseur war von 1992 bis 1996 beim Team Telekom angestellt. In Auszügen seines Buches "Erinnerungen eines Radfahrer-Pflegers", die der SPIEGEL in seiner neuen Ausgabe veröffentlicht, beschreibt der Masseur, wie die Teamärzte von der Universitätsklinik Freiburg den Fahrern unter anderem das Blutdopingmittel Epo verabreicht haben sollen. "Morgens wurden die Blutwerte kontrolliert. Abends nach der Massage gab es dann im Hotelzimmer alle zwei, drei Tage neue Epo-Einheiten", sagt D'hont im SPIEGEL-Gespräch. "Die Fahrer wollten es, auch wenn der Teamarzt Andreas Schmid sich anfangs sträubte", so D'hont weiter. Auch der heutige T-Mobile-Teamarzt Lothar Heinrich habe den Rennfahrern Epo gespritzt.
Er sei 1992 von Teamchef Walter Godefroot verpflichtet worden, so der Belgier, um die Fahrer gemeinsam mit Teamarzt Andreas Schmid "flottzumachen". Er habe zu Beginn seinen selbst gemixten "Zaubertrank" aus Koffein und den Herzmitteln Alupent und Persantin eingesetzt. Doch der sei überflüssig geworden, als Epo in der Szene auftauchte. Olaf Ludwig sei durch die Teamärzte mit einem genau ausgetüftelten Epo-Plan auf die WM 1993 vorbereitet worden. Der Olympiasieger von 1988 holte damals Bronze.
Der Höhepunkt des planmäßigen Dopings sei bei der Tour de France 1996 erreicht worden. Damals holte das Team Telekom durch den Dänen Bjarne Riis und Debütant Jan Ullrich einen Doppelsieg. Riis habe während der Rundfahrt jeden zweiten Tag 4000 Einheiten Epo erhalten und dazu zwei Einheiten Wachstumshormone. Auch Ullrich sei während der Tour mit Epo und Wachstumshormonen behandelt worden. "In einem Feld ohne Doping hätte sie Ullrich alle geschlagen, und das auf Jahre", so D'hont.
Riis habe sich das Mittel selbst gespritzt. D'hont räumt mit dem Vorurteil auf, der Spitzname des Tour-Siegers 1996 sei damals wegen seines hohen Hämatokritwertes "Mister 60 Prozent" gewesen. Das sei schlichtweg falsch. "Er war Mister 64 Prozent", so der Belgier in seinem Buch. "Sein Blut war schleimiger Sirup. So dick, dass er jeden Augenblick an einem Herzstillstand sterben konnte."
Erik Zabel sei dagegen einer der "saubersten Fahrer seiner Generation gewesen", so D'hont. Ein einziges Mal habe sich der Sprinter vor und während einer Tour einer Epo-Kur unterzogen. "Danach wollte er noch nicht einmal die Minimumeinheiten haben", so D'hont. "Sein Kopf würde es nicht brauchen, sagte er."
Nach der Saison 1996 stieg D'hont beim Team Telekom aus, weil er nach eigener Aussage "den Stress und das Doping-System nicht mehr ertragen" konnte. Er wechselte zu La Française des Jeux. Im Jahr 2000 wurde er im Zuge der Festina-Affäre zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Kurz vor der Tour de France 1998 war ein belgischer Betreuer des Festina-Teams mit einem Kofferraum voller Doping-Mittel erwischt worden. Im Zuge der Ermittlungen geriet auch D'hont wegen anonymer Anschuldigungen ins Visier der Fahnder.
Seine Frau habe die Dokumente aus der Zeit beim Team Telekom während seiner Untersuchungshaft aus Angst vor einer Hausdurchsuchung vernichtet, deshalb könne er keine Beweise für die Ausführungen in seinem Buch liefern. Überhaupt herrsche im Radsport das "Gesetz des Schweigens", alle hielten zusammen, die Öffentlichkeit werde für dumm verkauft.
Die Mediziner Schmid und Heinrich weisen die Vorwürfe zurück. Der neuer Chef des Teams T-Mobile, Bob Stapleton, schließt eine Zusammenarbeit mit belasteten Medizinern für die Zukunft aus. "Wenn sich die Behauptungen über die Universität Freiburg als wahr erweisen, werden wir nach einer Alternative suchen", sagte Stapleton dem SPIEGEL. "Wenn sich herausstellt, dass es systematisches Doping gab, werden wir deutlich reagieren."