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European Championships Mit Mini-Olympia hat das nichts zu tun - zum Glück!
So ehrlich muss man sein: Für die Zuschauer im Berliner Olympiastadion und am Breitscheidplatz sowie für die meisten Zuschauer vor dem Fernseher war diese Großveranstaltung vor allem eines - eine Leichtathletik-EM. Für die Zugkraft dieser Woche in Berlin brauchte es kein BMX, keinen Triathlon, Turnen und Freiwasserschwimmen. Das neue Konzept der European Championships, bei denen erstmals sieben europäische Titelkämpfe fernsehkompatibel zusammengefasst wurden, hat vor allem den anderen Sportarten genutzt.
Einzig die Leichtathletik fand nicht in Schottland statt, sondern eben in der deutschen Hauptstadt. Allein dies hat die Veranstaltung schon herausgehoben. Zwar war auch in Berlin überall das Etikett der European Championships draufgeklebt, aber die TV-Quoten und den Zuschauerzuspruch hätte sich die Leichtathletik auch ohne die Unterstützung aus Glasgow geholt.
DLV-Präsident Jürgen Kessing hatte schon vor der EM deutlich durchblicken lassen, dass er zwar nichts dagegen habe, dass zur gleichen Zeit neben der Leichtathletik euch europäisch geschwommen, gegolft und geturnt wird. Aber auf seiner Prioritätenliste stand ganz klar, Berlin als internationalen Leichtathletikstandort bestmöglich zu verkaufen. Von den European Championships sprach er bewusst lediglich als einem "neuen Fernsehformat", das vor allem eines bewirken solle: dass alle von der Strahlkraft der Leichtathletik profitieren. Die Läufer, Werfer und Springer seien "die Lokomotive" dieses Konzepts. Und noch klarer gesagt: "Ohne die Leichtathletik läuft nichts."

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Das macht das Selbstbewusstsein des DLV deutlich, aber so ganz richtig lag Kessing mit dieser Einschätzung nicht. Die Fernsehsender freuten sich auch schon über starke Einschaltzahlen, als die Leichtathleten noch nicht in die Wettkämpfe eingestiegen waren. Am zweiten Finaltag mit der überraschenden Goldmedaille für die gemischte Freistilstaffel bescherten der ARD bis zu 1,38 Millionen Sportfans einen Marktanteil von bis zu 12,8 Prozent. Mit Beginn der Leichtathletik-Wettkämpfe stiegen die Einschaltquoten aber noch mal und lagen regelmäßig zwischen vier und fünf Millionen.
Das Gesamtbild einer zweigeteilten Großveranstaltung blieb durch die Trennung Glasgow-Berlin bestehen - so sehr ARD und ZDF als übertragende Sendeanstalten auch die Euphorie eines Mini-Olympias geschürt hatten und Leichtathletik-Weltverbandschef Sebastian Coe schon vom "Modell der Zukunft" sprach. Um es dazu zu machen, müssten die Spiele tatsächlich zentral ausgerichtet werden - das macht es allerdings auch deutlich teurer. Bisher, so der Geschäftsführer der European Championships, liege das Budget bei "unter zwei Prozent" des Finanzrahmens, der für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro und Tokio veranschlagt worden ist.
Clemens Prokop, der ehemalige DLV-Präsident und jetzige Organisationschef der Leichtathletik-EM, hat Berlin bereits als möglichen Ausrichter einer Neuauflage im Jahr 2022 ins Gespräch gebracht. Hamburg wollte ebenfalls ganz genau hinschauen, wie sich die Premiere macht. Auch Rom hat Interesse signalisiert. Prokop sieht sogar langfristig die Chance, so eine Kompaktveranstaltung auf Weltmeisterschaften auszudehnen: "Und dann ist ein Konkurrenzmodell für Olympische Spiele entstanden." Ob das dem IOC recht ist, ist allerdings fraglich.

Fotostrecke: Turnen, Laufen, Schwimmen
Wer diese European Championships in Glasgow erlebt hat, wird erkennen, dass eine Art Mini-Olympia ohnehin nicht unbedingt wünschenswert ist. In Schottland zeigte sich, wie es gehen kann, wenn eben nicht das IOC mit einem gigantischen Sportspektakel in einer Stadt einfällt, die meist überfordert ist von den infrastrukturellen Anforderungen, die das größenwahnsinnige Komitee ihr aufdrückt.
In Glasgow, 2014 bereits Gastgeber der Commonwealth Games, wurden keine neuen Sportstätten gebaut, wurde kein Athletendorf aus dem Boden gestampft. Die 3000 Athleten, zahlreiche Betreuer, Funktionäre, Medienvertreter und 4000 Volunteers wurden in Hotels und Studentenwohnheimen untergebracht. Und selbst, wenn die Zuschauerzahlen in Glasgow nicht annähernd mit denen im Berliner Olympiastadion mithalten können, so waren Schwimm- und Bahnradhalle stets gut gefüllt, waren Turnen und Radrennen ordentlich besucht, die kostenlosen Wettkämpfe sowieso.
Begeisterung in Glasgow - trotz Verkehrschaos und überfüllter Innenstadt
Glasgow zeigte zudem, dass Bewohner nicht per se gegen Sportveranstaltungen sind, so wie es anderen europäischen Städten ja schnell bescheinigt wurde, als es Absagen an Olympia hagelte. In der schottischen Hafenstadt wurde deutlich, dass man seine Bürger durchaus begeistern kann, dass man ihnen auch immenses Verkehrschaos und eine überfüllte Innenstadt zumuten kann, wenn man sie mitnimmt, sie beteiligt. Wenn man bunte Foodtrucks und Kaffeewagen vor den Hallen aufbaut statt die immer gleichen Sponsorenmeilen mit dem immer gleichen Angebot. Wenn man einheimischen Künstlern eine Bühne bietet, ja, wenn der Kinderchor von Balloch der Hauptact auf der Festivalbühne ist.
Nein, mit Mini-Olympia hatten diese European Championships in Glasgow nichts zu tun - zum Glück!
Wenn das Konzept also tatsächlich greift, wäre das wohl auch das Aus der ohnehin umstrittenen European Games, vom Europäischen Olympischen Komitee als kontinentale Spiele konzipiert und 2015 erstmals in Baku ausgetragen. "Ich glaube, dass mit den European Championships den Europaspielen der Boden abgegraben wird", sagte Prokop. Und es würde viele geben, für die das in Ordnung wäre.