Faustball in Deutschland Die stillen Weltmeister
Können Sie sich noch daran erinnern, wie die überragende Sonja Pfrommer im Finale von Dresden den Matchball zum 15:13 verwandelte, das ganze Team jubelnd zu Boden sank und die deutschen Frauen zum vierten Mal den Weltmeistertitel feierten? Ausgerechnet bei der WM im eigenen Land, ausgerechnet gegen den Dauerrivalen Österreich? Nein?
Der große Erfolg der deutschen Frauen ist gerade drei Monate her. Auch für den Nachwuchs war 2014 ein tolles Jahr, die Nationalmannschaften der Jugend wurden ebenfalls Weltmeister. Den Männern gelang übrigens 1972 und 1982 ebenfalls ein Erfolg bei einer WM in Deutschland, es waren zwei von insgesamt zehn WM-Titeln. Aber das wissen Sie wahrscheinlich auch nicht (mehr)?
Wie auch: Wir sprechen schließlich über Faustball, das zwar zu den erfolgreichsten Mannschaftssportarten in Deutschland gehört - aber doch mittlerweile nur noch eine Randerscheinung ist, ein gewaltiges Imageproblem und eine rückläufige Mitgliederentwicklung inklusive.
Was ist passiert? SPIEGEL ONLINE hat den Ursachen für den Niedergang einer Sportart nachgespürt, bei der internationaler Erfolg und öffentliche Wahrnehmung in einem ungewöhnlich krassen Gegensatz stehen.
Die Zahlen der Deutschen Faustball-Liga (DFBL), die SPIEGEL ONLINE vorliegen, zeigen einen erschreckenden Trend: Vor 30 Jahren gab es bundesweit noch 4000 Mannschaften, heute ist es weniger als die Hälfte. Auch die Mitgliederzahl ist von 41.000 aktiven Faustballern im Jahr 1995 auf aktuell rund 28.000 gesunken. Angesichts der Tatsache, dass es kein zentrales Meldeverfahren gibt, wurden die Mitgliederzahlen geschätzt.
"Man kann davon ausgehen, dass es noch eine beachtliche Zahl passiver Faustballer gibt", glaubt DFBL-Präsidiumsmitglied Bernhard Hoffrichter. Aber wie lässt sich der Rückgang der aktiven Spieler erklären? Hoffrichter liefert einen möglichen Grund: "Die Sportler wollen sich nicht mehr so stark an einen Verein binden und wenden sich lieber anderen Angeboten zu."
Die Folgen zeigen sich besonders deutlich im mittelhessischen Biebertal, Heimat der SKG Rodheim-Bieber. Dort spielte Hoffrichter einst selbst Faustball; zu Glanzzeiten in den Siebzigern und Achtzigern glänzte der Verein in der Bundesliga, auch Nachwuchs war immer da. Momentan schafft man es aber gerade noch, den Trainingsbetrieb aufrechtzuerhalten. Gemeldete Mannschaften: Fehlanzeige.

Faustball in Deutschland: Erfolgreiche Vergangenheit, problematische Gegenwart
"Ich sehe den Faustball bei uns aussterben", sagt Abteilungsleiterin Christiane Pfeifer betrübt. Der Boom von einst ist Geschichte, sie findet keine Betreuer mehr, die Jugendlichen spielen lieber Fußball und Handball oder studieren in anderen Städten. Und eine Spielgemeinschaft kommt im Biebertal auch nicht zustande, weil der nächste Verein kilometerweit entfernt ist.
Stirbt der Faustball aus? DFBL-Präsident Ulrich Meiners sieht es nicht so drastisch. "Faustball ist vielmehr eine Insidersportart", sagt er. Wer sie kennt, schätzt sie. Der Sport wird auf der ganzen Welt gespielt, außer in Deutschland vor allem in Südamerika. Vor allem die Frauen-WM im Sommer sei mit rund 3000 Zuschauern am Finaltag und Beiträgen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein Lichtblick gewesen. Dennoch weiß Meiners, dass man sich in der Vergangenheit zu wenig um den Faustball gekümmert hat: Die früheren Spitzenklubs vernachlässigten die Nachwuchsarbeit, die Vereine verloren an Bindungskraft. Faustball wird nach wie vor als "Altherrensport" oder "Bauerntennis" wahrgenommen.
Mit der Gründung der DFBL im Jahr 2004 nahmen die Faustballer immerhin ihre Geschicke selbst in die Hand, zuvor war der Deutsche Turner-Bund (DTB) für die Verwaltung zuständig. "Dadurch hat der Faustball in Deutschland einen immensen Schub bekommen", sagt Meiners. Die Spitzenteams tragen seitdem einheitlich das Bundesligalogo auf dem Trikot, es gibt einen aktuellen Ergebnisdienst im Internet , zudem sind Regeländerungen kurzfristig möglich, und die Zahl der Aktiven soll wieder leicht gestiegen sein. Mehr sogar: In den Bundesligen dürfen nur noch Teams spielen, die Nachwuchsarbeit leisten.
Sportart wird als "Affentennis" verspottet
Trotzdem, sagt der Präsident, seien all die Versäumnisse bis jetzt noch nicht aufzuholen gewesen. Das liegt auch daran, dass das Budget der DFBL nur im fünfstelligen Bereich liegt und sich der Verein keine hauptamtlichen Mitarbeiter leisten kann; daher sind die Ehrenamtlichen gefragt. Auf ihrer Agenda steht vor allem die Suche nach Ansätzen, um in der weltweit größten Faustballnation mehr Mitglieder, Zuschauer, Sponsoren und die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen.
Die öffentlichen Fördergelder, die die Faustballer in den nächsten vier Jahren erstmals erhalten, kommen da gerade recht. Der Verband will nun gezielt in den Schulen um Nachwuchs werben und die Sportart auch abseits der Hochburgen bekannt machen. Eine dieser Hochburgen ist Niedersachsen. Dort hat der Faustball einen hohen Stellenwert, es gibt knapp 500 Mannschaften und damit die meisten bundesweit.
Nationalspielerin Jana Rapp, 19, hat beim MTV Hammah das Faustballspielen gelernt, inzwischen ist sie die Leistungsträgerin des Bundesligateams. Sie weiß um das Imageproblem ihrer Sportart. Begriffe wie "Affentennis" hört sie oft, aber die ignoriert sie mittlerweile. "Die Leute wissen überhaupt nicht, wie Faustball funktioniert - und dann sollte man nicht solche Urteile fällen."
Ihre Liebe zum Faustball ist trotzdem so groß, dass sie noch nie einen Gedanken ans Aufhören verschwendet hat, auch wenn der Sport neben ihrer Ausbildung viel Zeit, Kraft und Geld kostet. "Faustball ist ein guter Ausgleich", sagt Rapp, "und außerdem mag ich den Teamgeist."