Federers US-Open-Triumph Der König von New York

Früher regierte er Wimbledon, aber nun hat Roger Federer sein Herrschaftsgebiet nach New York verlagert. Bei den US Open feierte der Schweizer seinen fünften Titel in Serie. "Unbesiegbar" habe er sich gefühlt, bekannte Federer nach dem Erfolg gegen den Schotten Andy Murray.

Am Boden war er nur einmal an diesem kurzen, beinahe flüchtigen Endspiel-Montag. Doch da war auch schon alles vorbei für ihn, für den alten und neuen "König von New York", für den Sieger der Offenen Amerikanischen Tennis-Meisterschaften 2008 – für den großen Roger Federer, den Serienchampion ohne Gnade. Nichts hielt den Giganten noch auf den Beinen, als ihn die Erleichterung und die Emotionen übermannten, als er schließlich nach einem Tennisjahr mit vielen kleineren und größeren Krisen endlich wieder einen Grand-Slam-Höchstpreis eingesackt hatte – in seinem neuen Königreich fern von Wimbledon, hier im "Big Apple". "Es war ein unwiderstehliches Gefühl, ein Gefühl wie früher. Das Gefühl, unbesiegbar zu sein", sagte Federer nach seinem brillant souveränen 6:2, 7:5, 6:2-Sieg über den schottischen Finalnovizen Andy Murray.

US-Open-Champion Federer: Verstörende Aggressivität

US-Open-Champion Federer: Verstörende Aggressivität

Foto: DPA

Schwerelos leicht wirkte Federer bei den Überstunden am 15. Turniertag, die ihm einen neuen und phantastischen Eintrag in die Rekordbücher seines Sports einbrachten: Denn als erstem Spieler der modernen Tennisära war es ihm nun gelungen, fünfmal hintereinander das komplizierte und nervenaufreibende Major-Turnier zu gewinnen, ein Turnier, an dem andere Stars ein Leben lang verzweifelten und es nie zum Pokalsieg brachten. Nur der Amerikaner Bill Tilden hatte von 1920 bis 1924 das gleiche Kunststück wie der Maestro vollbracht, aber zu vergleichen war das nicht mit Federers magischem Fünfer im Hier und Jetzt. "Es war eine Lehrstunde für mich da draußen. Gegen den besten Spieler aller Zeiten", sagte der geschlagene Murray später über seinen herausragenden Schweizer Gegner.

Wie eine Nummer eins spielte der Mann, der seit kurzem nur noch die Nummer zwei ist, und wie ein Cowboy überwältigte Federer seinen jungen Kollegen – mit scharfen Schüssen aus der Hüfte, mit einer unglaublichen Angriffswucht, mit 44 Netzattacken in drei Sätzen, mit einer Aggressivität, die den armen Schotten regelrecht verängstigte. Und so wie Federer spielte, so redete er auch nach seinem nunmehr 13. Grand-Slam-Sieg – kompromisslos, konsequent, gerade heraus: "Eins kann ich versprechen: Bei 13 Titeln wird es nicht bleiben. Ich will den Rekord", sagte er und schickte lächelnd einen Gruß an seinen Freund Pete Sampras, den Allzeit-Spitzenreiter mit 14 Titeln.

Fünf Titel in Serie. Alles wie immer, alles wie gehabt. Von wegen.

Denn der Federer, der in New York 2008 gewann, war nicht der Federer der vergangenen Siegerjahre. Es war nicht jener Federer, der mit unmenschlicher Klasse in einem Paralleluniversum seine Kreise drehte, der über allem und jedem Konkurrenten schwebte – und dessen Siege von nüchterner Eleganz geprägt waren. Es war stattdessen ein Federer zu bestaunen, der sich wieder mittendrin im Kampfgetümmel bewegte, der sich seinen Lohn schwer erarbeiten musste. Der zitterte, fluchte, feierte, brüllte. Der seinen Ärger über leichte Fehler herausschrie und der in Glücksmomenten strahlte wie ein Kind. Federer war sozusagen auf der Erde gelandet, er war wieder menschlich geworden, und er hatte auch wieder den urtümlichen Spaß an seinem Spiel zurückgefunden. "Es war ein ganz besonderes Turnier für mich", sagte der Sieger später, "ein Turnier, bei dem die Gefühle intensiver waren."

Die New Yorker sind Federer-Fans geworden

Federers Rückkehr in die irdische Schwerkraft war bei diesen US Open ein zweiwöchiges Abenteuer voller Kapriolen, Abenteuer und Dramatik. Nichts war geblieben von den klinischen Missionen des Maestro, der hier in den letzten vier Jahren als eiskalter Spaß- und Spielverderber gewirkt hatte. Der Schweizer war herrlich unberechenbar – für seine zitternde Entourage, für die Tennisfans, für seine Gegenspieler und auch für sich selbst. Auch weil ihm über die vergangenen Monate die Aura des Unberührbaren, des Unnahbaren abhanden gekommen war, fiel Federer nichts leicht in 15 denkwürdigen US-Open-Tagen: Es war eine schwere Mission, auch in den besseren Momenten, etwa im Halbfinale gegen Novak Djokovic. "Es ist eine Ewigkeit her, dass er zwei Wochen so um einen Sieg kämpfen musste", sagte Insider John McEnroe, "aber diese Siege sind dann die schönsten."

Diesen neuen Federer hatten die New Yorker vom ersten Moment an in ihr Herz geschlossen. Sie haben sich über die Jahre an ihn gewöhnt, sie haben es sogar großmütig hingenommen, dass er ihre eigenen Helden mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Turnier schmeißt. "Sie sind in sein Lager übergelaufen, weil er ein vertrautes Gesicht ist, weil er nett ist, weil er ein Freund von Tiger Woods ist, weil er ein New-York-Fan ist – und weil er jetzt auch noch Emotionen zeigt", notierte die "New York Post" zu der frischen Liebesaffäre zwischen den Fans und einem Champion, dem wie anderen zuvor erst recht die Sympathien zuflogen, wenn er schwer um seine Siege kämpfen musste.

Die jungen Spieler lauern

Aber grundlegend verändert hat sich die Tenniswelt auch nach diesem 13. Grand-Slam-Triumph nicht. Die säuberliche Anordnung der vergangenen Jahre ist fast vollständig hinweggefegt, die alte Siegaufteilung an alten Schauplätzen nur zwischen Federer und Nadal. Zu Saisonbeginn meldete sich Djokovic als Australian- Open-Champion als dritte große Kraft im Ranglisten-Rennen, nun erhob Murray erstmals (vergeblich) Ansprüche auf eine nachhaltige Spitzenposition. Und die nächsten jungen Wilden zeigten in New York schon, dass sie nicht lange auf eine Machtübernahme warten wollen, dass sie nicht sehr geduldig sind: Der Kroate Marian Cilic, der Lette Ernests Gulbis, der Japaner Kei Nishikori, der Argentinier Juan Martin del Potro, der andere Schweizer Stanislas Wawrinka oder der Franzose Gaël Monfils. "Rafael ist sicher mein härtester, mein wichtigster Gegner. Aber der Kampf da vorne ist unübersichtlicher geworden. Mit jungen Spielern, die schon große Turniere gewinnen können", sagte Federer.

So schien bereits ausgemacht, dass das Grand-Slam-Jahr 2009 noch ein gutes Stückchen farbenfroher, schillernder und unwägbarer werden würde als die nun beendete Major-Session. Mit einem Roger Federer allerdings, der ins Spiel der Kräfte mit frischem Selbstbewusstsein, mit neuer Zuversicht eingreifen würde: "Ich habe hier ein Ausrufezeichen gesetzt", sagte der König von New York.

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