Fifa-Reformer Carrard Alles für die Familie

Anwalt Carrard (l.): Neuer Krisenmanager der Fifa
Foto: © Reuters Photographer / Reuter/ REUTERSFrançois Carrard, bald 78 Jahre alt, schlurfte kürzlich in Kuala Lumpur noch als einer der vielen Gäste durch die Flure des Mandarin Oriental Hotel und des Kongresszentrums KLCC, wo das Internationale Olympische Komitee (IOC) seine Vollversammlung abhielt. Abends besuchte er gemeinsam mit dem IOC-Rechtsdirektor Howard Stupp, den er einst förderte, einige Banketts.
Zwei Wochen später ist Carrard plötzlich das große Gesprächsthema. Er soll das Kunststück fertigbringen, den Fußball-Weltverband Fifa zu reformieren, den amerikanische Juristen als RICO bezeichnen, als "Racketeer Influenced and Corrupt Organization": eine von Gaunern dominierte korrupte Organisation.
Carrard weiß, was er sich da antut als Chef der gefühlt einhundertsten "Reformkommission" der Fifa. Er bezeichnet sich als unabhängig. Finanziell ist er das gewiss. Carrard gehört in der Romandie, der französischsprachigen Schweiz, wo 60 internationale Sportverbände beheimatet sind, zum juristischen Adel. Er ist in der gesamten Eidgenossenschaft eine wichtige Persönlichkeit und sitzt in zahlreichen Verwaltungsräten.
In der Taskforce sitzen zweifelhafte Figuren
Als langjähriger Rechtsberater des IOC (seit 1979), zwischenzeitlicher Generaldirektor des Olympiakonzerns (1989 bis 2004) und vor allem als Inhaber einer florierenden Kanzlei (Carrard & Associés) am IOC-Sitz Lausanne hat er sich die Art von Unabhängigkeit erarbeitet, die es ihm erlaubt, auf einen Tagessatz von 5000 Franken nicht mehr angewiesen zu sein. 5000 Franken zahlte die Fifa Mitgliedern früherer Reformkommissionen, etwa aus der Arbeitsgruppe des Baseler Strafrechtlers Mark Pieth.
Der Begriff "Reform" scheint erneut kaum angebracht, schaut man sich die Zusammensetzung der als "Taskforce" titulierten Gruppe an. Beispiele? Der kuwaitische Olympia-Scheich und Strippenzieher Ahmad Al-Fahad Al-Sabah hat sich dort postiert, für den Transparenz ein Fremdwort ist. Oder Gianni Infantino, Generaldirektor der Europäischen Fußball-Union (Uefa). Al-Sabah und Infantino wollen vor allem Michel Platini zum Fifa-Präsidenten machen, an strukturellen Fragen sind sie nachweislich weniger interessiert.
Infantino hat vor zwei Jahren die wichtigsten der von Pieth und Theo Zwanziger eingebrachten Fifa-Satzungsänderungen geblockt, gemeinsam mit Platini und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Regeländerungen wie Amtszeitbegrenzung oder Alterslimit, die man jetzt plötzlich gutheißt.
Der 81-jährige Kevan Gosper, der von 1977 bis 2013 IOC-Mitglied war, und der 77-jährige Carrard kennen sich seit einem halben Jahrhundert. Sie gehörten in der größten Bestechungskrise des IOC, im Winter 1998/1999, zu den wichtigsten Personen, die den Untergang des Komitees verhindern konnten.
Carrard ist PR-Profi und krisenerprobt
Gosper bearbeitete als Chef der IOC-Pressekommission vehement den kleinen Kreis der IOC-Berichterstatter. Carrard verpflichtete damals gemeinsam mit dem kanadischen Vizepräsidenten Richard Pound PR-Profis, die fortan für ein Millionenhonorar die IOC-Propaganda übernahmen. In jener Zeit vollbrachte Carrard auch seine überzeugendste sportliche Leistung: Als der südkoreanische Taekwondo-Weltpräsident Kim Un-Yong den Kanadier Pound im IOC-Hauptquartier unter Zeugen attackierte und an die Gurgel wollte, sprang Carrard dazwischen und wehrte den Angriff ab.
Derlei athletische Rettungsaktionen darf man von Carrard im Jahr 2015 nicht mehr erwarten. Diesmal sind andere Vorzüge gefragt. Carrard verfügt über ein exzellentes internationales Netzwerk. Weit über die globale Sport-Nomenklatura hinaus reichen seine Fäden in Politik, Wirtschaft und Justiz. Im Gegensatz zu anderen Sport-Weltverbänden wie AIBA (Boxen) oder IWF (Gewichtheben), wo er in den vergangenen Jahren auf der Seite der Machthaber tätig war und kurioserweise deshalb als Reformer gilt, ist die Lage bei der Fifa aber viel brenzliger.
Im Fifa-Reich sind die Ermittlungen der US-Justiz nicht mehr zu stoppen - die Gerichtsprozesse folgen. Es kommt deshalb darauf an, ähnlich wie im IOC-Krisenjahr 1999, bis zum Fifa-Kongress im Februar 2016 ein vermeintliches Reformpaket zu schnüren und diese Satzungsänderungen als bahnbrechenden Durchbruch zu verkaufen.
Carrard ist dazu in der Lage. Er hat in der olympischen Spezialdemokratie schon alles erlebt. Schwerste Krisen, bizarrste Zwischenfälle. Ihn kann nichts mehr schocken. Er weiß, wie man Sponsoren beruhigt und befriedet. Das soll ihm nun auch in der Taskforce der Fifa gelingen, wo zu je zwei Vertretern aus allen sechs Kontinentalverbänden noch zwei bislang nicht genannte Repräsentanten der Fifa-Sponsoren kommen sollen.
Es wäre zu einfach, François Carrard nur als Diener des Fifa-Präsidenten Joseph Blatter zu beschreiben. Carrard hat Stil und Klasse. Davon aber sollte man sich nicht blenden lassen. Denn der weltgewandte Carrard erfüllt seinen Auftrag: loyal und treu im Sinne der olympischen Familie.