Flush Hour "Alle haben ein bisschen Angst vor Phil Ivey"

Er ist Fußballfan und nennt sich "Catenaccio", er hat gerade 900.000 Dollar gewonnen und ist trotzdem bescheiden: Moritz Kranich ist einer der besten deutschen Pokerspieler - und sieht das natürlich ganz anders. Ein Interview über spanische Dominanz, schwedische Aggressivität und Fehler von Phil Ivey.
Von Lasse König
Poker-Superstar Ivey: Beim Bellagio Cup zeigte er auch Schwächen

Poker-Superstar Ivey: Beim Bellagio Cup zeigte er auch Schwächen

Foto: Laura Rauch/ ASSOCIATED PRESS

SPIEGEL ONLINE: Herr Kranich, Ihr Online-Poker-Name ist "Catenaccio". Unter Fußballtrainern gilt diese Taktik als veraltet und nicht sonderlich kreativ.

Kranich: Man sollte nichts in diesen Namen hineininterpretieren. Ich habe ihn mir gegeben, als ich noch mit Spielgeld spielte. In einer Zeit, in der ich von Poker noch keine Ahnung hatte und demnach auch keine Spielphilosophie. Es war der erste Name der mir einfiel. Ich bin großer Fußballfan.

SPIEGEL ONLINE: Lassen Sie mich raten: Italien?

Kranich: Zumindest damals, vor fünf Jahren. Zu der Zeit war Italien sehr gut, sie sind ein Jahr später auch Weltmeister geworden. Mit Nesta, Maldini, Cannavaro - ich schaue mir gern Spiele an, in denen ein Team sehr gut verteidigt. Italien fand ich grandios.

SPIEGEL ONLINE: Und jetzt sind Sie Spanien-Fan?

Kranich: Ich habe das WM-Halbfinale Spanien gegen Deutschland im Hofbrauhaus in Las Vegas gesehen, morgens um 11 Uhr bei einer Mass Bier. Es war das vorweggenommene Endspiel, aber Deutschland hatte nicht den Hauch einer Chance. Schon in der dritten Minute hatte Lahm den Ball an der eigenen Eckfahne und drei Spanier attackierten ihn. Das war beeindruckend.

SPIEGEL ONLINE: Im Gegensatz zur deutschen Mannschaft haben Sie später einen Titel geholt - in Las Vegas beim Bellagio Cup VI. Beobachter sagen, Sie seien ähnlich beeindruckend gewesen wie die Spanier.

Kranich: Ich war sehr gut drauf die Tage, das stimmt. Aber ich hatte in entscheidenden Händen auch eine Menge Glück. Am ersten Turniertag habe ich mit Ass König gegen Ass König mit einem Flush gewonnen. Ich habe später mit der gleichen Hand gegen Könige gewonnen. Und am Finaltisch mit Ass 9 gegen Ass Dame. Es muss alles zusammenkommen, um so ein Turnier zu gewinnen.

SPIEGEL ONLINE: Jetzt werden wieder die Skeptiker aus den Löchern kommen und sagen: Seht Ihr, selbst der Kranich sagt, Poker sei Glückssache.

Kranich: Ein Turnier zu gewinnen geht nicht ohne Glück, das steht außer Frage. Langfristig, live bei etwa 100-200 Turnieren, online wegen schlechterer Turnierstrukturen um die 1000, geht es aber nur darum, so wenig Fehler wie möglich zu machen. Irgendwann hat man dann mal den Lauf, den man braucht, um ein Turnier zu gewinnen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind jetzt der erste deutsche Pokerprofi, der sowohl ein Turnier auf der europäischen Tour (2009 in Deauville; die Red.) gewonnen hat als auch auf der US-amerikanischen.

Kranich: Der beste deutsche Turnierspieler bin ich deshalb aber nicht.

SPIEGEL ONLINE: Wer dann?

Kranich: Es gibt ein Dutzend deutsche Spieler, die sehr gutes NoLimit-Hold'em-Turnierpoker spielen. Die Unterschiede sind da sehr gering, man kann niemanden hervorheben.

SPIEGEL ONLINE: Allen gemeinsam scheint die Fähigkeit, den Gegnern immer einen Schritt voraus zu sein, sie zu durchschauen.

Kranich: Das stimmt. Es braucht ein Gefühl dafür, wie Menschen denken, wie sie auf bestimmte Spielzüge reagieren. Das zu wissen und das richtige Gegenmittel zu finden, das können nur wenige. Die Mehrheit spielt viele Jahre und wird trotzdem vergeblich versuchen, es zu lernen.

SPIEGEL ONLINE: Am Finaltisch im Bellagio-Casino saßen Sie mit Phil Ivey zusammen, dem mutmaßlich besten Spieler der Welt. Wie war das?

Kranich: Ich hatte zunächst großen Respekt und habe gegen ihn eher Hände weggeworfen. Es ist beeindruckend zu beobachten, dass jeder vor ihm ein bisschen Angst hat. Ivey muss eigentlich nur ein oder zweimal pro Runde vor dem Flop erhöhen und die Blinds stehlen - weil keiner mit ihm spielen will. So geht er durchs Turnier. Aber als wir nur noch zu dritt waren und die Blinds hoch, hat auch er technische Fehler gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Welche?

Kranich: Einmal hat Ivey um 500.000 erhöht und Justin Smith konterte mit einem All in für 2,4 Millionen Chips. Ivey hat bestimmt zwei Minuten überlegt und dann seine Karten weggeworfen. Es hat mich überrascht, dass er in dieser Situation offenbar nicht genau wusste, ob er mitgehen soll oder nicht. Dabei weiß man eigentlich schon vorher, wie man auf dieses Szenario reagiert.

SPIEGEL ONLINE: Stecken Sie einen Spieler nach einer solchen Aktion in eine bestimmte Schublade?

Kranich: Ivey natürlich nicht, aber die meisten anderen sofort. Schon wenn ich an einen Tisch komme, mache ich mir einen ersten Eindruck. Auch wenn es hart klingt: Generell stecke ich dann jeden Spieler erstmal in eine Schublade. Nach seinem Alter, dem Aussehen…

SPIEGEL ONLINE: Aussehen?

Kranich: Ja, ich bin davon überzeugt, dass die verschiedenen Nationalitäten ihrer Mentalität entsprechend auch am Pokertisch spielen.

SPIEGEL ONLINE: Mit der Meinung sind Sie ja nicht allein, und da sind wir wieder beim Fußball. Der DFB-Chefscout Urs Siegenthaler sieht das ähnlich.

Kranich: Manchmal haben Klischees eben auch ihre Berechtigung. Das wird durch die Realität oft bestätigt. Im Poker spielt auch das Alter eine Rolle. Ein junger Schwede wird in den meisten Fällen aggressiver spielen als ein älterer Franzose.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie Schubladen auch wieder aufmachen?

Kranich: Ja, das muss man natürlich können. Spätestens nach einer Stunde am Tisch kann ich aber das Können jedes Gegners ungefähr einschätzen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben im Bellagio fast 900.000 Dollar gewonnen, vor zwei Jahren in Deauville waren es fast 900.000 Euro…

Kranich: … und das ist ein tolles Gefühl. Mit Anfang dreißig eine eigene Wohnung zu besitzen, die komplett abgezahlt ist. Und mit dem Kartenspielen meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Ich spiele Poker professionell, deshalb kann ich mich jetzt auch nicht hier hinstellen und sagen, ich tue das nur aus Ehrgeiz. Das Geld spielt schon eine Rolle. Und das Adrenalin. Ein Turnier kann sehr lange dauern, es gibt Phasen der Müdigkeit. Aber in der Endphase ist man wieder voll konzentriert. Der Reiz besteht für mich hauptsächlich darin, in diese Phase zu kommen, in der es um alles geht. Und dann ein Turnier auch noch zu gewinnen, das ist unbeschreiblich.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommt man so weit wie Sie?

Kranich: Es lief bei mir am Anfang überhaupt nicht gut. Ich hatte Bücher gelesen und geglaubt, ich wäre besser als die meisten. Nur leider sprach mein Kontostand eine andere Sprache. Irgendwann habe ich herausgefunden, was "Fold Equity" bedeutet, also den Gegner zum Wegwerfen seiner Karten zu bringen. Ein elementares Konzept. Ab da bin ich durch alle Level gerauscht, innerhalb eines Jahres von fünf Dollar Einsatz bis 200 Dollar.

SPIEGEL ONLINE: War es wirklich so einfach?

Kranich: Das war 2006, wo noch niemand richtig pokern konnte. Aber es hat tatsächlich einfach irgendwann klick gemacht und ich hatte das Gefühl, das Spiel auf einem anderen Level verstanden zu haben. Ich habe mich auch nie intensiv mit Poker-Mathematik beschäftigt. Ich bin einfach niemand, der mathematische Formeln büffelt, sondern versuche, Konzepte dahinter zu verstehen.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es einen typischen Fehler, den Pokerspieler immer wieder machen, die noch nicht auf dem Niveau eines Profis spielen?

Kranich: Der größte Fehler der meisten ist, die Range (die Bandbreite der möglichen Karten des Gegners; die Red.) komplett falsch einzuschätzen. Wenn man diese Range relativ genau einschätzen kann, lässt sich daraus auch ein viel genaueres mathematisches Ergebnis ableiten, auch wenn man die Formel vielleicht nicht bis ins Detail kennt. Kennt man hingegen die exakte Formel, schätzt dafür aber den Gegner und seine Range komplett falsch ein, kommt ein völlig falsches Ergebnis dabei raus. Diese Range genau zu beurteilen, ist eine Sache von Erfahrung, darüber gibt es kein Lehrmaterial. Dafür muss man spielen, spielen, spielen.

SPIEGEL ONLINE: Erfahrung sammeln bedeutet Zeit. Sie sind verheiratet, was hat Ihre Frau eigentlich zu dem Pokerprojekt gesagt?

Kranich: Zunächst: Es ist enorm schwierig, ausreichend Zeit zu investieren, wenn man einen Vollzeit-Job hat. Bei mir war das Studium damals abgehakt, ich habe mein Pokerhobby irgendwann - als es ernster wurde - als Ausbildung gesehen. Meine Frau war am Anfang ziemlich skeptisch, was ja logisch ist. Aber sie hat mir vertraut. Ohne sie und ihre Unterstützung hätte ich das auch nicht geschafft.

SPIEGEL ONLINE: Zumal es ja sicher auch noch skeptische Eltern gab?

Kranich: Natürlich, aber auch das konnte ich völlig verstehen, sie hatten mir ja das Jura-Studium finanziert und plötzlich schien es so, als würde der Sohn alles wegwerfen. Mittlerweile merken aber auch sie, dass Pokern für mich nicht nur Lebensunterhalt ist, sondern mich auch erfüllt. Sie stehen voll dahinter. Es hätte aber auch alles ganz anders laufen können.

SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?

Kranich: Ich meine, dass manchmal Kleinigkeiten über den weiteren Weg entscheiden können. In dem ersten Online-Turnier, das ich am Ende gewann, stand ich kurz vor dem Finaltisch vor dem Aus. Ich hatte Ass 9, mein Gegner die Asse, er verlor gegen drei Neunen. Wäre ich damals ausgeschieden - wer weiß, was jetzt wäre.

Das Gespräch führte Lasse König

P.S.: Der Autor hat fast zehn Wochen Pause gemacht. Er ist aber entgegen ersten Vermutungen nicht mit American-Airlines-Flug AA72 über den River nach Fullhausen geflogen. Er hatte Urlaub. Jetzt geht es wieder los - unter anderem mit erfolgreichen Cashgame-Stunden in Johannesburg, vielen Interviews und der Begegnung mit einem WSOP-Bracelet-Gewinner am Rande der Drei-Länder-Tour in Warnemünde.

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