Frischer Fisch Die Einsamkeit beim Länderspiel
Wenn ich mal den Fernseher anschalte, gucke ich in letzter Zeit immer Stromberg, diese lustige Serie mit diesem peinlichen Chef, der bei einer Versicherung nach und nach dank erwiesener Unfähigkeit die Karriereleiter herabsteigt. Die Folgen spielen fast alle im Büro, deshalb weiß der Zuschauer nur wenig über Strombergs Hobbys, aber man muss nur genau auf seine vielen fiesen, doch manchmal auch sehr weisen Sprüche achten. "Ich bin durchaus ein geselliger Typ, aber das muss ja nicht zwingend mit anderen Leuten sein", ist einer davon. Und damit ist klar: Stromberg ist Angler!

Nationalspieler Ballack: Gesellig, aber nicht zwingend mit anderen Leuten
Foto: Getty ImagesDenn machen wir uns nichts vor: Das Sozialverhalten von Anglern liegt noch knapp unter dem von pickeligen Counter-Strike-Zockern. Die Computerfritzen pflegen ja noch so etwas wie Kontakt zur Außenwelt, und sei es nur durch ihr virtuelles Maschinengewehr oder gemeinsame Pizza-Massenbestellungen. Angler sagen hingegen nicht umsonst, dass sie am Wasser "abschalten" wollen: Zack, Knopf drücken, und schon lockt eine ganz eigene Welt. Da stören andere Menschen nur.
Angler suchen die Einsamkeit noch mehr als den Fisch, und wenn sie wählen müssten zwischen einem Teich voller Fische und einem anderen Angler am Ufer gegenüber oder einem See, der garantiert fischfrei ist, an dem aber auch kein Kollege sitzt, sie würden sich immer für das Alleinsein entscheiden. Deshalb heiraten Angler grundsätzlich nur Frauen, die nicht angeln. Sonst würden die immer mitkommen und nebenan sitzen. Womöglich auch noch reden. Reden beim Angeln ist wie Dynamitfischen: geht gar nicht.
Vergessen Sie Bilder von irgendwelchen Anglern, die direkt nebeneinander am Ufer sitzen und fröhlich in die Kamera grinsen: alles nur Show. Angelvereine sind nur erfunden worden, weil ein Angler allein schlecht ein komplettes Gewässer pachten kann. Selbst ich bin vor ein paar Jahren mal notgedrungen in einen Verein eingetreten, weil ich sonst nicht an die begehrten Kanal-Scheine herangekommen wäre. Aber bei den Sitzungen oder gar den Vereinsangeln bin ich nie aufgetaucht. Irgendwann haben sie mich rausgeschmissen.
Wenn Angler die Geselligkeit lieben würden, wären sie keine Angler geworden, sondern Fußballfans. Wobei es durchaus Kollegen gibt, die auch eine Leidenschaft für das runde Leder haben. Die sind im Stadion immer schnell zu erkennen, weil sie völlig allein in der ersten Reihe der Vortribüne mit Sichtbehinderung hocken. Kein anderer Mensch drumherum, selbst wenn das Stadion ausverkauft ist. Bitte nicht stören, Zuschauer träumt gerade von Karpfen und Hechten!
Der Einsamkeitsdrang der Angler führt tagtäglich zu absurden Situationen. Beim Kampf um die besten Plätze an einem Gewässer ist es wie im Kino, wenn die Sitze nicht nummeriert sind. Wer zuerst kommt, krallt sich den besten Platz, wer danach kommt, setzt sich möglichst weit weg. Ich schwöre, wenn zwei Angler an einem See sitzen, dann ist die weiteste Strecke zwischen zwei Punkten am Ufer auf jeden Fall die zwischen den beiden Anglern. Dabei bin ich kein Mathe-Professor und kenne die Zahl Pi auch nur bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma. Es ist halt so.
Also denken sich viele Angler: Bin ich halt der erste am Wasser. So schleichen die ersten morgens um halb fünf an den See, wenn selbst die Enten im Schilf noch schnarchen. Diese Sonnenaufgangs-Hallodris erzählen hinterher immer, das sei sowieso die beste Fangzeit und berufen sich dabei auf den ominösen "Beißzeiten-Kalender" aus der Zeitschrift "Fisch und Fang", der nach irgendwelchen Mondphasen berechnet wird. Alles Humbug meiner Meinung nach, aber der Aberglaube ist bei uns ähnlich weit verbreitet wie der Hang zum Alleinsein. Aber davon mehr in einer der nächsten Kolumnen.
Mich treibt es trotz der vielen Erzählungen und Kalender nicht vor elf Uhr ans Wasser. Meistens ziehe ich sogar den Abend vor. Den schätzen zwar auch andere Angler, aber dank des Fernsehens gibt es Tage, an denen ist das Seeufer ähnlich verwaist wie viele Seiten in meinem Fangbuch. Früher war das immer der Fall, wenn "Die Schwarzwaldklinik" lief. Heutzutage klappt das vielleicht noch bei "Wetten, dass...?". Leider bin ich schon wieder in dem Alter, in dem ich das selbst gerne schaue und stattdessen auf Angeln verzichte.
Mittlerweile haben sich die Spiele der Fußball-Nationalmannschaft wieder als ideale Angel-Termine erwiesen. Als Leute wie Erich Ribbeck oder Berti Vogts noch Bundestrainer waren, sind die Angler bei DFB-Spielen förmlich an den See geflüchtet. Seit Klinsi und Löw lassen sie die Rute wieder in der Ecke stehen und setzen sich vor die Glotze. So war die WM im vergangenen Jahr ein Fest für mich. Als Deutschland gegen Italien verlor und Michael Ballack heulte, landete ich gerade einen dicken Zander und grinste.
Aber die Stimmung bei der Weltmeisterschaft, die vollen Biergärten, das Zusammengehörigkeitsgefühl? Ich bin Angler. Sie wissen schon: Geselliger Typ. Muss aber nicht zwingend mit anderen Leuten sein.