Mihambos Goldmedaille im Weitsprung Der Knaller

Mihambos Goldmedaille im Weitsprung: Der Knaller
Foto: REUTERS / Dylan MartinezBei Malaika Mihambo weiß man nie so genau, wer dann da nun eigentlich steht. Ist sie eine Weitspringerin? Oder doch eher eine Sprinterin? Auch eine Entdeckerin könnte an der 25-Jährigen verloren gegangen sein. Aber all das passt gut zusammen, und vielleicht erklärt die Mischung am besten, warum Mihambo spätestens mit der Weltmeisterschaft in Katar eine der erfolgreichsten deutschen Leichtathletinnen dieser Zeit ist.
Am letzten Wettkampftag in Doha sei sie auf "drei Knaller" gekommen, erzählte Mihambo später, glücklich und vor allem erleichtert war sie. "Ich trainiere das ganze Jahr, von Saison zu Saison, natürlich will man dann auf dem Podest auch ganz oben stehen." Aber sie habe das alles noch nicht ganz verarbeitet, besonders diesen einen Knaller, der viel lauter als die anderen gescheppert hatte. So laut, dass die Jury die Goldmedaille sofort hätte vergeben können.
Im dritten Versuch war Mihambo 7,30 Meter weit gesprungen. Besser: Sie war über die Sandgrube geflogen. Eine Weite, die es seit Jahren nicht mehr gegeben hat, natürlich reichte sie für Mihambo, um sich von der WM in Doha mit der Goldmedaille im Weitsprung verabschieden zu können. Mihambo lag zum Schluss 38 Zentimeter vor der zweitplatzierten Ukrainerin Maryna Bekh-Romanchuk, 39 Zentimeter waren es vor Ese Brume aus Nigeria, die Bronze gewann. Das sind Weitsprungwelten.
Das Mihambo-Jahr
Die Goldmedaille für Mihambo dürfte kein Beben auslösen, wie der völlig unerwartete Titel von Niklas Kaul im Zehnkampf. Die Sensation dieser Wettkämpfe aus deutscher Sicht. Die Goldmedaille für die 25-Jährige war fast eingeplant, hatte sie doch jeden ihrer neun Wettkämpfe auf dem Weg zur WM gewonnen, bei 7,16 Meter stand ihre bisherige Jahresbestleistung. Der Konkurrenz war sie Monat für Monat mehr davongeschwebt.
Aber wer derart dominant auftritt, ist auch Druck ausgesetzt, auch sich selbst gegenüber will man liefern. Und anfangs sah es auch so aus, als hätte die Überfliegerin ein wenig Nervenflattern, ein bisschen zu viel gewollt. "Ich war anscheinend schon nervös", sagte Mihambo zu ihrer Anfangsphase.

Malaika Mihambo ist aktuell die schnellste Weitspringerin
Foto: DIEGO AZUBEL/EPA-EFE/REXAuf einen ersten Sicherheitssprung (6,52 Meter) war ein Fehlversuch gefolgt, noch ein missglückter Sprung und sie wäre womöglich bei den letzten drei Sprüngen nicht mehr dabei gewesen. "Das durfte nicht auch noch ein Fehlversuch werden", erzählte Mihambo über jenen dritten Versuch, der diesen lauten Knall verursacht hatte: "Da musste etwas kommen, zumindest etwas Gültiges. Aber, dass der Sprung dann so gut war - einfach unfassbar."
Auf den Spuren von Heike Drechsler
Das Unfassbare lässt sich in Worten so erklären: Mihambo übertraf ihre bisherige Bestweite um 14 Zentimeter, es war weltweit der weiteste Sprung seit 2016, in Deutschland flog bisher nur Weitsprung-Legende Heike Drechsler (7,48 Meter) weiter, Mihambo steht nun auf Platz zwölf der historischen Bestenliste. Sie sprang in Katar auch im fünften und sechsten Versuch jeweils über sieben Meter, auch mit diesen Versuchen wäre sie Weltmeisterin geworden.
Aber wie macht sie das eigentlich? Eine Antwort ist ihre Sprintgeschwindigkeit beim Anlauf. Natürlich ist der ganze Vorgang viel komplexer, nicht allein auf ihre Anlaufgeschwindigkeit von etwa 35 Kilometern pro Stunde zu reduzieren. Aber ihre Beinmuskulatur wirkt so viel ausgeprägter als die der Konkurrenz, das ist natürlich auch ein Vorteil. Sie war in diesem Jahr die viertschnellste deutsche Sprinterin, sie hätte auch über 100 Meter antreten können, wenn Mihambo das denn gewollt hätte.
Aber die Gefahr einer Erkältung sei zu groß gewesen. Wer in Katar ins Khalifa Stadium wollte, musste mehrmals zwischen sehr heißen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit draußen und kühler, trockener Luft drinnen im Stadion wechseln. Mihambo wollte sich den ständigem Wechsel zwischen den Klimazonen nicht auch noch für die 100 Meter antun. So hielt sie das Erkältungsrisiko gering, zumal sie sich mit Zwiebellook und Ingwertee ohnehin bestens gerüstet sah, wie sie dem SPIEGEL vor der WM sagte.
In Indien neue Kraft gefunden
Jetzt will Mihambo wieder auf Entdeckungstour gehen. Schon am Montagmorgen wird sie im Flugzeug nach Bangkok sitzen. Mit dem Rucksack werde sie einen Monat lang Thailand erkunden. Menschen treffen, Dinge ausprobieren, den Horizont erweitern. "Ich habe nur vier Wochen frei im Jahr, die will ich voll auskosten", sagte Mihambo, die in der Vergangenheit bereits in Indien unterwegs gewesen ist.
Manche sagen, dies sei der Startschuss für ihren Sprung in die Weltspitze gewesen; der war lange gar nicht abzusehen, 2017 wäre ihre Karriere wegen einer Verletzung beinahe in die Sackgasse geraten. Aber dann kam Indien, eine Auszeit vom Sport, dort habe sie Ruhe gefunden, mentale Kraft entwickelt, es sei eine "harte und intensive" Zeit gewesen. Mihambo wurde anschließend Europameisterin in Berlin, natürlich auch, weil sie die anderen elf Monate im Jahr trainiert.
Man darf gespannt sein, welche Stärke sie aus Thailand mitbringen wird. Eine Medaille bei Olympischen Spielen fehlt ihr schließlich noch, und dann ist da auch noch der Rekord von Heike Drechsler. "Man springt jetzt auch nicht jeden Tag 7,30 Meter", sagte sie noch einmal über ihren Knaller und eine mögliche Jagd auf Drechsler, und sie ergänzte: "Ich bin ja erst 25, von daher habe ich noch ein paar gute Jahre vor mir." Es sollen weitere Mihambo-Jahre sein.