Interview mit Franziska van Almsick "Es geht um alles"
Frau van Almsick, noch fünf Monate bis zur ultimativen Herausforderung, den Olympischen Spielen in Athen. Belastet oder motiviert Sie das?
Franziska van Almsick:
Ich versuche vor allem, positiv zu denken und positiv zu sein. Aber natürlich denke ich auch manchmal: Hey, Franziska, was ist, wenn es nicht klappt? Das soll mich dann auf jeden Fall nicht kaputtmachen. Ich will dann trotzdem stolz sein auf das, was ich als Sportlerin geleistet habe. Ich will diese große Herausforderung Olympia in Athen, aber ich will auch nicht immer nur die sein, die schnell schwimmen kann.
Wie schnell muss man schwimmen, wenn man in Athen Gold über 200 Meter Freistil gewinnen will?
Almsick: Ich weiß gar nicht, was man schwimmen muss und was ich schwimmen kann. Das macht mein Trainer. Wir haben Erfahrungswerte, mein Trainer hat Konzepte. Ich habe Vertrauen zu ihm. Ich weiß, wie wir vor den Europameisterschaften 2002 gearbeitet haben.
Damals schwammen Sie so schnell wie nie zuvor. Ihr Coach Norbert Warnatzsch hat gesagt, wer in Athen Gold über 200 Meter Freistil will, muss Ihre Bestzeit toppen. Müssen Sie also Weltrekord schwimmen, um Ihr großes Ziel zu erreichen.
Almsick: Natürlich muss ich meine Bestzeit von Berlin angreifen, das ist doch klar. Aber was soll ich denn noch alles sagen? Ich habe gesagt, dass ich Gold will in Athen. Ich werde nicht nochmal draufhauen und auch noch sagen, dass ich Weltrekord will. Nie zuvor in meiner Karriere war die Zeit so unwichtig. Es geht um anderes, nicht um die Zeit. Früher war für mich nur die Zeit wichtig. Das ist anders geworden. Ich habe auf die WM in Barcelona verzichtet, ich habe alles diesem einen großen Ziel Olympia untergeordnet.
Also kein Weltrekord?
Almsick: Ich rede nicht vom Weltrekord, aber meine Vorbereitung läuft darauf hinaus. Ich will Gold. Deshalb darf ich alles, nur nicht verkrampfen. Manchmal hängt man trotzdem motivations-technisch durch, aber ich darf in der Olympiasaison nicht locker lassen. Ich ziehe mein Programm durch.
Ihr Weltrekord beträgt 1:56,64 Minuten. Sind Sie weltweit konkurrenzlos?
Almsick: Das glaube ich überhaupt nicht. Daran verschwende ich keinen Gedanken. Ich werde es schon bei der Qualifikation in Berlin nicht sein und schon gar nicht in Athen. Keiner hat etwas zu verschenken, weder national noch international. Es geht um Olympia, es geht um alles.
Wer alles will, muss alles geben.
Almsick: Ich trainiere hart. Wirklich, ich arbeite sehr engagiert. Ich bin sechs Stunden am Tag im Wasser, ich mache Kraft und Kondition. Ich würde auch lieber mehr Zeit für mich haben, Luft holen können. Das kann ich aber in der Olympiasaison nicht. Das wusste ich vorher. Ich mache das schließlich schon ein paar Jahre. Ich versuche, mich auf den Punkt zu konzentrieren.
Sie denken nur an das eine Rennen? Denkt man an gar nichts anderes?
Almsick: Natürlich ertappe ich mich dabei, dass ich über das Danach nachdenke: Was wird aus mir, wenn ich nicht mehr Schwimmerin bin? Ich habe Vorstellungen: Ich mache Mode, ich habe meine eigene Produktlinie, ich beschäftige mich damit, meine Biographie zu schreiben. Ich will mich sozial engagieren. Ich werde am 5. April 26 Jahre alt, die Dinge verlagern sich, die Ziele auch. Sicher mache ich mir meine Gedanken. Und das mit dem sozialen Engagement ist schon sehr weit gediehen. Es wird möglicherweise eine Stiftung geben, aber mehr will ich dazu noch nicht sagen. Im Moment reiße ich mich zusammen und sage: Ich bin Schwimmerin, nichts anderes. Ich konzentriere mich ganz darauf.
Fällt Ihnen das schwer?
Almsick: Ich kann sagen, dass es schwer ist. Ich bin doch längst nicht so cool wie es gelegentlich scheint. Ich gebe mir wirklich viel Mühe. Und ich versuche, all das, was mich von der Konzentration auf Olympia abhält, wegzuschieben, wegzudrücken. Zurzeit klappt alles sehr gut. Ich bin zufrieden, aber die Zeit wird knapper.
Von der deutschen Mannschaft wird in Athen nach dem Debakel von Sydney viel erwartet. Manche sagen sogar, die Schwimmer würden in Griechenland den erfolgreichsten Teil der deutschen Olympiamannschaft stellen. Sehen Sie das auch so?
Almsick: Ich bin mit Prognosen sehr vorsichtig. Und ich bin extrem abergläubisch. Wir wissen alle, welche Chancen wir haben. Aber ich schüttele Topzeiten genauso wenig aus der Jacke wie andere auch. Hannah Stockbauer ist fünfmalige Weltmeisterin, auch sie kann keine Traumzeiten auf Abruf liefern. Die öffentliche Erwartung ist eine sehr große Bürde, an der man schwer trägt. Wir alle sollten versuchen, uns zu entspannen. Und uns nicht schon im Vorfeld zum Affen zu machen.
Hannah Stockbauer entwickelt sich immer mehr zur zweiten Vorzeigeschwimmerin, auch durch ihr Auftreten außerhalb des Schwimmbeckens. Finden Sie das gut?
Almsick: Hannah tut dem Schwimmsport in Deutschland gut. Schwimmen hat als Sport Charakter, Hannah hat auch Charakter. Sie kommt an, sie stellt den Sport in den Vordergrund, sie lebt ihn. Und das finde ich ganz große Klasse. Ich freue mich für sie und uns. Sie ist eine gute Botschafterin unserer Sportart. Wie auch Antje Buschschulte. Die ist Weltmeisterin über 100 Meter Rücken. Absolut top. Aber jeder von uns geht seinen eigenen Weg, und das ist gut so.
Ist die Stimmung im deutschen Team wirklich so unvergleichlich gut?
Almsick: Ich glaube, dass wir alle sehr konzentriert sind. Es gibt nicht mehr dieses Macht- und Neiddenken wie ich es aus früheren Jahren noch kenne. Ich habe damals auch auf die anderen geschaut, das brauchen wir jetzt nicht mehr. Jeder hat seine Erfahrungen gemacht, jeder zieht seine Schlüsse daraus und verhält sich entsprechend.
Aber allein Sie haben mit dem Schwimmen Millionen verdient.
Almsick: Ich bin weder geldgierig, noch habe ich mehr als einen Bruchteil meines Geldes damit verdient, dass ich eine gute Schwimmerin bin. Das finde ich sehr schade. Für das Aussehen kann ich so wenig wie die anderen auch. Ich war 1992 vielleicht eine Schrittmacherin, weil ich Aufmerksamkeit erregt habe für mich und meine Sportart, die ich liebe und immer lieben werde.
Ist das nicht ein komisches Gefühl, die letzte große Herausforderung der Karriere vor sich zu haben?
Almsick: Manchmal schon. Große Träume zu haben einerseits, aber eben auch darauf vorbereitet sein, dass möglicherweise etwas schief geht. Wie gehe ich als Mensch mit den Olympischen Spielen in Athen um? Was passiert mit mir? Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass ich das alles durchstehe. Ich will stark sein, ich will meine Frau stehen. Wenn alles positiv ausgeht, ist das schon schwer genug. Aber wenn es negativ ausgeht? Das frage ich mich natürlich auch in den letzten Wochen und Monaten. Aber ich will in erster Linie positiv sein. Ich will gesund bleiben, durchtrainieren können."
Und wenn Sie kein olympisches Gold gewinnen?
Almsick: Ich weiß, dass ich kein schlechter Mensch bin, auch wenn es nicht klappt.
Das Interview führte Christoph Fischer, sid