Interview mit Stich "Becker war das i-Tüpfelchen"
Was hat Sie zu dem Entschluss bewogen, Ihren Vertrag als Teamchef des Deutschen Tennis Bundes nach der Daviscup-Partie gegen Venezuela nicht zu verlängern?
Michael Stich: Ich habe dieses Amt jetzt ein Jahr lang ehrenamtlich ausgeübt und musste leider erfahren, dass ich weder von den Spielern noch vom DTB ein großes Maß an Unterstützung erhalten habe. Es ist bei Lippenbekenntnissen geblieben, denen keine Taten folgten. Mir war auch klar, dass es auf die Idee der Nominierung von Boris Becker unterschiedliche Meinungen gibt, aber ein Teamchef sollte von den Spielern kein Ultimatum gestellt bekommen.
Damit spielen Sie auf die Drohung von Tommy Haas und Rainer Schüttler an, bei einem Einsatz Beckers auf den Daviscup zu verzichten?
Stich: Die Argumente von Tommy und Rainer sind nicht schlüssig. Die Beiden haben die beste Mannschaft gefordert, aber die beste Mannschaft hatten wir bei der Erstrunden-Niederlage in Kroatien und beim Arag World Team Cup in Düsseldorf auch nicht, weil nämlich Tommy Haas in beiden Fällen nicht oder nur kurz zur Verfügung stand. Und warum hat Tommy Haas in Düsseldorf den 34-jährigen Karsten Braasch ins Team geholt, wenn es ihm so sehr um die Zukunft des deutschen Tennis geht? Boris Becker, so viel Sachverstand muss man mir zutrauen, ist fit genug, um gegen Venezuela im Doppel spielen zu können.
Gibt es denn im deutschen Tennis ein Problem mit dem Doppel?
Stich: Das ist sicher der Fall, es gibt durchaus Schwierigkeiten mit der Besetzung eines schlagkräftigen Doppels. Das liegt vor allem daran, dass die Spieler auf der Tour lieber mit Ausländern zusammen antreten als mit ihren eigenen Landsleuten. Auch das habe ich mehrfach angemahnt, aber es hat niemand zugehört. Was dabei rauskommt, wenn man ein Verlegenheitsdoppel nominiert, haben wir ja mit der Variante Prinosil/Kohlmann in Kroatien erlebt.
Die Spieler haben Ihnen auch mangelnde Kommunikation vorgeworfen...
Stich: Es war nie meine Absicht, die Spieler in der Sache Becker vor vollendete Tatsachen zu stellen, ihre Meinung war mir sehr wichtig. Aus diesem Grund habe ich Rainer Schüttler und Tommy Haas eine e-Mail geschickt und sie nach ihrer Meinung gefragt, Nicolas Kiefer habe ich angerufen. Bis zum heutigen Tag habe ich diesbezüglich aber nicht mit Tommy Haas persönlich sprechen können. Ich habe mehrfach versucht, Tommy zu erreichen, ihm auch auf seine Mailbox gesprochen und um Rückruf gebeten, leider alles ohne Erfolg. Ebenso habe ich mich bemüht, mit den Spielern in New York Kontakt aufzunehmen. Ich habe ihnen vier Tage vor den US Open eine e-Mail geschickt mit der Bitte, mir mitzuteilen, in welchen Hotels sie wohnen und wann sie spielen. Bis auf Lars Burgsmüller hat sich keiner gemeldet oder den Kontakt mit mir gesucht. Wider Erwarten hat sich auch während meines zweitägigen Aufenthalts in New York keiner bei mir gemeldet.
War der Fall Becker der entscheidende Grund für Ihren Abschied?
Stich: Er war so was wie das i-Tüpfelchen. Ich habe dem Deutschen Tennis Bund im Mai ein Konzept vorgelegt, in dem es völlig unabhängig von meiner Person um Ideen geht, wie man das deutsche Tennis auf einen Stand bringen könnte, der heutzutage nötig ist. Es war vereinbart, über dieses Konzept in der Woche vor den US Open zu diskutieren und zu verhandeln, aber bis heute gibt es vom Deutschen Tennis Bund kein Feedback dazu. Es sind viele wichtige Absprachen nicht eingehalten worden.
DTB-Präsident Georg von Waldenfels wirft Ihnen vor, Sie hätten eine Einladung zu einer Präsidiumssitzung ausgeschlagen ...
Stich: Die Einladung kam drei Tage vorher, das war mir einfach zu kurzfristig, ich hatte bereits etwas Anderes vor. Außerdem sollte ich bei dieser Sitzung zum wiederholten Mal mein Konzept vorstellen, aber das hatte ich ja bereits mehrfach getan. Ich wollte endlich Antworten haben, aber auf die warte ich immer noch.
Sie verlassen den Deutschen Tennis Bund nicht gerade im gegenseitigen Einvernehmen. Ist dieses Kapitel jetzt unwiderruflich beendet?
Stich: Nein, absolut nicht. Ich stehe dem deutschen Tennis auch in der Zukunft zur Verfügung. Hierzu müssten sich allerdings einige Strukturen innerhalb des DTB ändern, damit ich meine Ideen und Vorstellungen zur Verbesserung des Leistungssports und der Außendarstellung des deutschen Tennis umsetzen kann. Zurzeit ist das nicht möglich. Jetzt sind eben erst mal die Spieler gefordert, als Leitfiguren in die Bresche zu springen.
Aufgezeichnet von Angela Bern, sid