Dopingjäger Novitzky "Ich verstehe Doper"

Jeff Novitzky
Foto: © Beck Diefenbach / Reuters/ REUTERSJeff Novitzky, 49 Jahre alt, ist ein bekannter Anti-Doping-Ermittler aus den USA. Bekannt wurde er durch die Aufdeckung des Balco-Skandals, bei dem zahlreiche Spitzensportler des Dopings überführt wurden. Große Aufmerksamkeit bekam er auch für seinen Kampf gegen Lance Armstrong, der darin mündete, dass dem US-amerikanischen Radprofi sämtliche Tour-de-France-Titel aberkannt wurden und er Doping gestand. Neuerdings arbeitet er für die Kampfsportserie Ultimate Fighting Championship, bei der er ein Anti-Doping-System aufbauen soll.
SPIEGEL ONLINE: Herr Novitzky, was sagen Sie Leuten, die Doping legalisieren wollen?
Novitzky: Das sollte man niemals machen. Junge Athleten sollten nicht in eine Lage kommen, in der sie dopen müssen, um auf die nächste Stufe zu kommen. Und das wäre der Fall, wenn man es legalisiert. Denn Doping wirkt, die Athleten werden einfach besser dadurch.
SPIEGEL ONLINE: Muss man Doper hassen, um einer der populärsten und erfolgreichsten Anti-Doping-Kämpfer der Welt zu werden?
Novitzky: Nein. Überhaupt nicht. Ich stimme nicht mit der Entscheidung zu dopen überein, aber ich verstehe sie. Wenn für den Athleten der Job auf dem Spiel steht, dann kann ich das nachvollziehen.
SPIEGEL ONLINE: Was treibt Sportler am meisten dazu, Dopingmittel zu nehmen?
Novitzky: Ich habe über 14 Jahre lang viele große Dopingfälle untersucht und mehr Gespräche mit Dopern geführt als jeder andere. Neun von zehn Sportlern haben mir dabei gesagt, dass vor allem fehlendes Vertrauen die Motivation war. Sie haben ihren Gegnern nicht vertraut. Sie haben ihren Teamkameraden nicht vertraut. Und vor allem haben sie den Sportorganisationen nicht vertraut, weil diese keine unabhängigen Kontrollen durchgeführt haben. Wie der berühmte Fuchs, der den Hühnerstall bewacht.
SPIEGEL ONLINE: Was ist mit Ruhm und Geld?
Novitzky: Natürlich ist auch Geld ein Faktor, aber fehlendes Vertrauen war definitiv der entscheidende Grund. Die meisten Athleten glauben an sich selbst, sie wollen eigentlich nichts Künstliches nehmen, um mithalten zu können. Aber sie kämpfen um ihr sportliches Überleben, und wenn sie kein Vertrauen in ihre Konkurrenten haben, dann ist es schwer.
SPIEGEL ONLINE: Bei den Olympischen Spielen in Rio gab es viele Athleten, die offen sagten: Ich vertraue meinen Konkurrenten nicht mehr. In dieser Schärfe und Vehemenz hatte es das zuvor selten gegeben. Ein Alarmsignal für den weltweiten Anti-Doping-Kampf?

Jeff Novitzky bei der Anhörung des Baseballers Barry Bonds
Foto: Jeff Chiu/ APNovitzky: Manchmal muss ein System tief fallen, müssen alle die Nase voll davon haben, bevor es eine Veränderung geben kann. Wir hatten das in den USA mit der Major League Baseball (MLB), der Sport war dopingverseucht, es gab nur wenige Tests. Man konnte es an den Statistiken sehen: Die Kraftwerte sind in den Neunziger- und Nullerjahren durch die Decke gegangen. Irgendwann waren es die Spieler, die keine Lust mehr hatten und sich zu Wort meldeten. Der Sport hat sich mittlerweile um 180 Grad gedreht.
SPIEGEL ONLINE: Bei Olympia war auch das Misstrauen der Zuschauer spürbar.
Novitzky: Ja, das ist eine Schande. Als Sportfan ertappe ich mich auch manchmal bei dem Gedanken. Natürlich kann es immer einen überragenden Sportler geben, im Hinterkopf fragt man sich trotzdem: Ist das echt oder künstlich? Das ist beklagenswert, aber es kann letztendlich zu einem Umdenken führen. Das Vertrauen kann zurückgewonnen werden.
SPIEGEL ONLINE: Das versuchen sie gerade mit der Ultimate Fighting Championship (UFC). Sie sind aus dem staatlichen Dienst in die Kampfsportserie gewechselt, um dort Doping zu bekämpfen. Wie bewerten Sie ihr erstes Jahr?
Novitzky: Wir hatten ein paar Beulen und Schrammen, die Athleten mussten erst erkennen, dass wir es ernst meinen und dass es egal ist, ob du ein unbekannter Kämpfer bist oder ein Star wie Jon Jones. Wir haben 530 Athleten in 37 Ländern in unserem Programm, zwischen Juli und September haben wir zwischen 650 und 700 Tests gemacht. Entscheidend ist unsere Zusammenarbeit mit der US-Anti-Doping-Agentur Usada, die als unabhängige Einrichtung die Dopingtests bei uns durchführt. Sie bestimmt, wer getestet wird. Sie bestimmt, wann getestet wird, wie oft jemand getestet wird, und welche Bestrafungen es gibt.

Gesperrter UFC-Kämpfer Jon Jones
Foto: REUTERS/ USA Today SportsSPIEGEL ONLINE: Was ist darin Ihre Rolle?
Novitzky: Ich bin Verbindungsglied zwischen den Athleten und der Usada. Ein großer Teil meines Jobs ist es, Gespräche mit den Sportlern zu führen, damit sie Vertrauen aufbauen. Ich bin dafür da, Doping schon in den Anfängen zu verhindern. Ich informiere unsere Athleten darüber, wie umfassend unser Programm ist und vermittle ihnen, dass sie, wenn sie dopen, sehr wahrscheinlich erwischt werden.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Eckpfeiler einer guten Doping-Ermittlung?
Novitzky: Ich war nie der klügste Polizist oder Ermittler im Raum, ich wusste anfangs wenig über Doping. Deshalb wandte ich mich an diejenigen, die über das Wissen verfügen. Don Catlin etwa, ein Begründer der modernen Anti-Doping-Bewegung, oder Travis Tygart, der heutige Chef der Usada. Das ist der Schlüssel: Herausfinden, wer die Experten sind und das Vertrauen haben, sich von ihnen führen zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die wichtigsten Werkzeuge eines Ermittlers?
Novitzky: Unsere Ermittlungen waren niemals gegen die Athleten gerichtet, sondern gegen die Händler der Dopingmittel. Die Sportler waren aber wichtige Zeugen, sie haben uns erzählt, wo sie die Mittel her hatten, welchen Effekt diese hatten. Als Ermittler wussten wir meist schon die Antworten. Wir haben in Unterlagen geguckt, in E-Mails, im Balco-Fall habe ich ein Jahr lang den Abfall der Verdächtigen durchsucht.
SPIEGEL ONLINE: In Deutschland ist das eine gern erzählte Geschichte über Sie.
Novitzky: Es ist lustig, dass ich nun als der Typ gelte, der den Müll durchwühlt. Dabei macht das in den USA jeder Polizist. Ich habe das nicht erfunden. Man kann fast alles über eine Person durch ihren Abfall erfahren.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Einführung von weltweiten Anti-Doping-Gesetzen unerlässlich?
Novitzky: In den USA gibt es das nicht, aber es ist ein gutes Modell. Ein gutes Anti-Doping-Programm besteht aus drei Teilen: Doping-Tests, Athleten-Schulung und vor allem Ermittlungen. Die wirklich großen Doper sind dank der Behörden aufgeflogen - egal ob der Balco-Fall, der unter anderem die Sprinterin Marion Jones enttarnte, oder Lance Armstrong. In den USA haben wir auf Grundlage anderer Gesetze, etwa Betrug oder Finanzverbrechen, gearbeitet. Aber es wäre um ein Vielfaches einfacher gewesen, wenn etwa das Verteilen von Doping durch Trainer illegal gewesen wäre.
SPIEGEL ONLINE: Wie bewerten Sie die Entscheidung des IOC trotz der Beweise für ein staatlich gefördertes Doping auf einen generellen Bann der russischen Athleten bei Olympia zu verzichten?
Novitzky: Ich kenne hier nicht alle Details, und kann es nur aus Sicht der Sportler beurteilen: Athleten wägen ständig Risiken und die Profite ab, bevor sie sich für Doping entscheiden. Und es gibt bislang ganz klar eine Belohnung, wenn man dopt: Herausragende Athleten werden noch größer. Wenn das Risiko nicht ernst genug ist, werden sich Trainer und Athleten weiterhin dafür entscheiden.
SPIEGEL ONLINE: Was wäre ein ausreichendes Risiko? Gefängnis?
Novitzky: Bei der UFC können Athleten jetzt für vier Jahre gesperrt werden. Es ist keine lebenslange Sperre, es ist kein Gefängnis, aber wenn ich mit den Athleten spreche, dann frage ich immer: Wer glaubt denn, dass er nach vier Jahren Pause noch einmal zurückkommen kann? Da hat sich bislang noch niemand gemeldet.
SPIEGEL ONLINE: Was kostet ein erfolgreicher Anti-Doping-Kampf?
Novitzky: Das ist nicht billig, die UFC gibt mehrere Millionen Dollar im Jahr dafür aus. Leider können sich nicht alle Verbände so etwas leisten.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass es weitverbreitetes Doping in jedem professionellen Sport gibt?
Novitzky: Ich habe in meiner bisherigen Karriere als Ermittler nur sehr wenige Sportarten gesehen, die von Doping unberührt geblieben sind. Es gibt für jeden das richtige Mittel. Es kann einen physisch unterstützen, oder auch helfen, die Konzentration zu bewahren .
SPIEGEL ONLINE: ...was zum Beispiel beim Schach helfen kann...
Novitzky: Exakt.
SPIEGEL ONLINE: In Deutschland wollen viele Fans nicht hören, dass auch im Volkssport Fußball gedopt wird. Sie argumentieren, dass es dort nichts bringe und es vor allem auf Technik ankäme.
Novitzky: Diese Argumentation kenne ich sehr genau. Bei Sprintern wurde früher immer gesagt: Für die macht es doch gar keinen Sinn, Epo zu nehmen. Sie rennen nur für eine kurze Zeit, wozu sollen sie ausdauerfördernde Mittel nehmen. Aber natürlich sind wir bei unseren Ermittlungen auf mit Epo dopende Sprinter gestoßen. Das Mittel hilft ja auch bei der Erholung und ermöglicht lange Work-outs. Das ist ja auch im Fußball hilfreich.