Klagen gegen Armstrong Die 60-Millionen-Dollar-Frage

Ex-Radprofi Armstrong: Vom Täter zum Kronzeugen?
Foto: JEAN-PAUL PELISSIER/ REUTERSAls klar war, dass der einstige Superstar des Radsports über Jahre systematisch gedopt hatte und sich die meisten Unterstützer abwendeten, als die Sponsoren absprangen, Unternehmen Schadensersatzforderungen ankündigten und Veranstalter von Radrennen ihr Preisgeld wollten, da schien klar: Lance Armstrong steht vor dem finanziellen Ruin.
Es war so oft von Millionen und Abermillionen die Rede und von zahllosen Firmen, die Ansprüche geltend machen wollen, dass diese Einschätzung realistisch klang. Aber was muss Armstrong im schlimmsten Fall wirklich zahlen, wenn er denn auspackt, zum Beispiel in der Talkshow von Oprah Winfrey am Freitagmorgen deutscher Zeit?
SPIEGEL ONLINE hat die möglichen Gläubiger sortiert und die Positionen addiert. Hier ist die Rechnung.
Das größte Fragezeichen steht hinter dem Engagement des United States Postal Service, kurz US Postal, Namensgeber und Hauptsponsor des Radteams, dessen Star Armstrong von 1998 bis 2004 war. In dieser Zeit hatte er sechs seiner sieben Tour-de-France-Titel (1999 bis 2004) gewonnen, die ihm alle im vergangenen Jahr aberkannt wurden .
In Armstrongs Zeit pumpte der staatliche Konzern, der Postdienstleistungen anbietet, rund 40 Millionen Dollar in den Radsport. Eine Vereinbarung mit den Fahrern untersagte die Einnahme von verbotenen Substanzen. Weil Armstrong offensichtlich dagegen verstoßen hat, muss er mit Klagen auf Schadensersatz und Prämienrückzahlung in zweistelliger Millionenhöhe rechnen.
Sollte sich Armstrong tatsächlich in einem Prozess verantworten, kommt bei einer möglichen Schadensersatzklage das komplizierte US-Gesetz ins Spiel, das sogenannte Whistleblower (Hinweisgeber) besonders schützt. Denn in den USA haben solche Whistleblower, die einen Betrug an der Regierung anzeigen - und US Postal ist ein staatliches Unternehmen - Anspruch auf einen Anteil am erzielten Schadensersatz. Diese ist in der "Writ of qui tam" geregelt.
Armstrong könnte durch sein Geständnis Kronzeuge werden
Es klingt absurd, aber die beschriebene Regelung bedeutet: Armstrong könnte einerseits auf Schadensersatz verklagt werden; andererseits würde ihm bei einem Geständnis ein Teil dieser Summe zustehen (bis zu ein Viertel). Das alles - Zahlung und Belohnung - würde für einen Deal zwischen Armstrongs Anwälten und der Staatsanwaltschaft sprechen.
Die Frage ist nur, ob Armstrong tatsächlich als Whistleblower eingestuft wird. Und das hängt davon ab, wie viel er von seinem Wissen nun preisgibt. Denn das bislang umfassendste Geständnis über Doping bei US Postal stammt von Floyd Landis, der von 2002 bis 2004 für den Rennstall fuhr und bislang als Kronzeuge in dem Fall galt.
"Armstrong wäre aber wohl in der Lage, Drogendealer zu benennen, die ihn mit illegalen Substanzen versorgt haben. Und alle Beteiligten würden nur zu gerne herausfinden, wer diese Leute im Hintergrund sind", sagt Gary Roberts, Juraprofessor an der Universität von Indiana und früher Präsident der Vereinigung der US-Sportanwälte.
Gesteht Armstrong, könnte auch ein Prozess wegen Meineids auf ihn zukommen, weil er vor Gericht geschworen hatte, nie gedopt zu haben. Und er muss sich auf diverse Klagen einstellen:
- Die Versicherungsgesellschaft SCA Promotions verlangt zwölf Millionen Dollar (rund 9,2 Millionen Euro) von Armstrong. Sie hatte nach dessen sechstem Toursieg 2004 eine Prämie in Höhe von 7,5 Millionen Dollar wegen damaliger Dopingvorwürfe zunächst zurückgehalten. Dagegen hatte Armstrong erfolgreich geklagt und das Geld bekommen.
- Der Radsport-Weltverband UCI fordert von Armstrong gewonnene Preisgelder zurück. Allein bei seinen Tour-de-France-Teilnahmen hatte er mehr als drei Millionen Euro gewonnen. "Das Reglement der UCI in diesem Fall ist eindeutig: Wer einen Sieg aberkannt bekommt, muss auch die Prämie zurückgeben", sagt Tour-Chef Christian Prudhomme. Dazu wird wohl die Rückzahlung weiterer Prämien bei anderen Rennen kommen.
- Die britische Zeitung "The Sunday Times" will 1,6 Millionen Dollar (rund 1,2 Millionen Euro) von Armstrong haben. Sie hatte 2004 geschrieben, Armstrong nehme leistungssteigernde Dopingmittel. Daraufhin klagte der Ex-Radprofi gegen die Zeitung und erhielt bei einem Vergleich 300.000 Pfund (etwa 370.000 Euro).
Eine Rückzahlung von Sponsorengeldern hingegen muss Armstrong wohl nicht fürchten. Der Heidelberger Rechtsanwalt Michael Lehner sagte dem SPIEGEL : "Seine Leistung als Werbeträger hat Armstrong während der Laufzeit der Verträge erfüllt, und die Firmen haben davon profitiert. Nike hat dank Armstrong in der Vergangenheit vermutlich mehr Produkte verkauft, als es ohne ihn der Fall gewesen wäre."
Einzig negative Folge für Armstrong in diesem Komplex ist die Tatsache, dass sich große Sponsoren wie Nike, das für Sonnenbrillen bekannte Unternehmen Oakley, die Brauerei Anheuser-Busch oder der Fahrradhersteller Trek von ihm getrennt haben, also künftig keine Gelder mehr fließen. Dabei dürfte es sich um eine beträchtliche Summe handeln: Laut CNN beliefen sich Armstrongs Sponsoreneinnahmen auf jährlich 17,5 Millionen Dollar (rund 13,4 Millionen Euro).
Wie also steht es um Armstrongs Finanzen? Etwa 13,8 Millionen Dollar ergeben sich aus den bislang bekannten Forderungen. Mögliche Rückzahlungen von weiteren Prämien dürften sich in der Summe im mittleren einstelligen Millionenbereich bewegen. Bleibt noch eine mögliche Klage auf Schadensersatz und Prämienrückzahlung von US Postal. Selbst wenn Armstrong dabei die investierten 40 Millionen Dollar zurückzahlen müsste, was kaum realistisch ist (Stichwort Whistleblower), würden sich sämtliche Zahlungen auf knapp 60 Millionen Dollar belaufen.
Seriösen Schätzungen zufolge beläuft sich das Gesamtvermögen von Lance Armstrong auf rund 125 Millionen Dollar. Diese Dopingaffäre wird ihn finanziell also nicht ruinieren.