Schachweltmeister Carlsen Der coole König

Magnus Carlsen hat seinen Gegner Viswanathan Anand bei der Schachweltmeisterschaft klar dominiert. Mit dem Triumph ist der Norweger der zweitjüngste Champion - und zeigt sich von dem gewaltigen Hype um seine Person betont unbeeindruckt.
Schachweltmeister Carlsen: Der coole König

Schachweltmeister Carlsen: Der coole König

Foto: Manjunath Kiran/ AFP

Magnus Carlsen hatte die aufrechte Haltung lange vor dem bislang größten Erfolg seiner jungen Karriere aufgegeben. Der neue Weltmeister des Schachspiels verbrachte weite Teile der zehn WM-Partien gegen den Inder Viswanathan Anand halb über den Tisch hängend, halb vom Stuhl rutschend. Er stand auf, machte Dehnübungen, manchmal verließ er sogar den Raum.

Als Carlsen wusste, dass er es geschafft hatte, dass er Anand mit dem siebten Remis den Titel abgenommen hatte, straffte er kurz die Schultern, gab dem Unterlegenen die Hand und ließ sich sogar zu einem Grinsen verleiten. Doch schon auf der Pressekonferenz wenige Minuten darauf hatte er wieder seine lässige, beinahe gelangweilte Position eingenommen.

"Anand war lange Jahre Weltmeister, es war eine Ehre, gegen ihn zu spielen, ich bin sehr froh", sagte Carlsen, während der Inder noch an seiner Seite saß. Ein Lächeln sparte er sich trotz des Blitzlichtgewitters vor seinem Gesicht.

Fotostrecke

Magnus Carlsen: Der Mozart des Schach

Foto: Manjunath Kiran/ AFP

Es hat es wohl nicht nötig. Carlsen, 22, besitzt bereits Kultstatus in seiner Heimat Norwegen, einer Nation, die sonst eigentlich nur Wintersportler als Helden kennt. Er war schon vorher ein Idol, wurde auf der Straße erkannt und auf Postern abgedruckt. Aber als Carlsen begann, im indischen Chennai um die Weltmeisterschaft zu kämpfen, nahm der Hype um ihn immer größere Züge an. Einer Umfrage zufolge rangieren in der Gunst der norwegischen Sportfans nur noch die mehrfachen Langlauf-Olympiasieger Petter Northug und Marit Bjørgen vor ihm.

Einladung ins Norwegen-Haus in Sotschi

"Die Angestellten arbeiten nicht mehr, die Studenten studieren nicht mehr, in den Schulen lassen die Lehrer den Fernseher laufen", sagte Carlsens Manager Espen Agdestein vor wenigen Tagen. Die Live-Berichterstattung des staatlichen Fernsehsenders NRK übertrafen die bereits hohen Erwartungen, mit teilweise über 40 Prozent Marktanteil erzielten die mehrstündigen Übertragungen Rekordquoten. Manch einer spricht in Norwegen bereits vom "Carlsen-Effekt".

"Ich hoffe, dass das Schach in meiner Heimat von meinem Titel profitieren kann, dass es jetzt vorangeht", sagte Carlsen. Denn obwohl der nun auch offiziell beste Schachspieler der Welt in Norwegen zu Hause ist, ist der Schachverband bislang nicht einmal Mitglied der norwegischen Sport-Dachorganisation NIF. Gespräche darüber soll es nach der WM geben, NIF-Präsident Børre Rognlien will Carlsen fortan "enger an uns binden".

Rognlien hatte in der Vergangenheit mehrfach behauptet, dass Schach kein Sport sei, nun hat er Carlsen eingeladen, das Norwegen-Haus bei den Olympischen Winterspiele in Sotschi zu besuchen und dort ein Showmatch zu bestreiten.

Carlsen selbst scheint sich vom Rummel um seine Person wenig beeindrucken zu lassen. Obwohl der dreimalige Titelverteidiger Anand fast doppelt so alt ist, war Carlsen als Favorit in das Turnier gegangen. Er selbst hatte das vermutlich am besten gewusst: "Ich halte mich immer für den Favoriten", hatte er gesagt.

"Es war heute ein Spiegelbild des gesamten Duells"

Nun, rund drei Wochen später, ist der 22-Jährige nicht mehr nur der zweitjüngste Großmeister in der Geschichte des Schachs, er ist auch der zweitjüngste Weltmeister nach Garri Kasparow und der 16. Weltmeister in Kontinuität. Er ist Weltranglistenerster, im Frühjahr erreichte er die bislang höchste gemessene Elo-Leistung von 2870 Punkten. Mehr geht in seiner Sportart nicht. Manch einem sind Carlsens Fähigkeiten deshalb unheimlich, auch Experten können nicht genau erklären, wie sein Gedächtnis funktioniert.

Klar ist: Carlsen ist ein begnadetes, ein außergewöhnliches Talent. Über 1000 Partien hat er in seinem Kopf abgespeichert, er kann bis zu 20 Züge vorausdenken. Doch dass er den erfahrenen Anand in Indien so deutlich, mit 6,5 zu 3,5 Punkten, besiegen würde, hatte kaum einer erwartet. Carlsen kam immer besser in diese Weltmeisterschaft, er wurde immer frecher, verlor dabei jedoch nie die Konzentration. Wie erwartet schaffte er es, die Spiele zum Ende hin zu dominieren.

Anand hingegen ließ sich, womöglich auch vom Verhalten seines Gegners, mehr und mehr verunsichern. "Es war heute ein Spiegelbild des gesamten Duells", sagte Anand nach seiner Niederlage: "Ich habe versucht zu spielen - und dann einen Fehler gemacht. Das hat sich durch mein gesamtes Spiel gezogen."

Der Inder wirkte sichtlich angeschlagen und enttäuscht auf dem Podium, ihm ist vermutlich klar, dass es auf Jahre schwer werden wird, Magnus Carlsen den Titel wieder zu nehmen. Denn dessen Zeit hat gerade erst begonnen. Am 30. November wird er 23 Jahre alt.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten