Handball-Bundestrainer Heuberger Der Unterschätzte

Bundestrainer Heuberger: "Habe ich den Spielern alles gesagt?"
Foto: Fabian Stratenschulte/ dpaWenige Minuten, nachdem er die erneute Sensation verpasst hatte, war Martin Heuberger in seiner eigenen Welt gefangen. Bei der Pressekonferenz nach der Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Spanien saß der Bundestrainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft lethargisch auf dem Podium, in sich versunken. Sein Mund bewegte sich, doch ein Ton kam nicht über seine Lippen. Heuberger haderte, er hatte verloren.
Niederlagen hinterlassen ihre Spuren bei Heuberger. Ein Handschlag mit dem gegnerischen Trainer wird zur Qual, die ungeliebten Pressekonferenzen auf Englisch nach dem Spiel sowieso. Holprig kommt Heubergers Analyse der Partie sprachlich daher, inhaltlich trifft sie immer den Kern. Die Fehlersuche geht bei ihm schnell, er fängt bei sich selbst an. Der 48-Jährige ist ein Grübler, einer, der den ganzen Tag über Handball nachdenken kann.
Während sich die Spieler vor einer Partie warm machen, sitzt er oft noch alleine in der Kabine. Geht Szenarien durch, sucht nach Lösungen. Und hinterfragt sich erneut. "Habe ich den Spielern alles gesagt? Müssen sie noch etwas wissen?"
Mit den Profis reden, sich und seine Entscheidungen erklären, das sind seine Stärken, das schätzt diese junge Mannschaft. "Ich bin ein kommunikativer Trainer. Manchmal vielleicht zu sehr", sagte Heuberger bei der WM in Spanien im Anschluss an eine Pressekonferenz. Der zweite Satz rutscht ihm einfach raus. So etwas wäre undenkbar bei einem erfahrenen Kollegen, wie beispielsweise Joachim Löw.

Doch vor den Kameras und den Mikrofonen ist Heuberger auf ungewohntem Terrain: Dort hilft ihm seine fachliche Kompetenz nur begrenzt, seine Erfolge als Juniorentrainer (Europameister 2004, 2006, Weltmeister 2009, 2011) sowieso nicht. Von denen hatte kaum einer Notiz genommen, auch nicht, als der langjährige Co-Trainer der A-Nationalmannschaft im Juli 2011 die Nachfolge seines ehemaligen Chefs Heiner Brand übernahm.
Heuberger hat sich seitdem noch nicht an das riesige Interesse an der DHB-Auswahl gewöhnt, den größten Unterschied zum Juniorenbereich, wie er sagt. Hier, in exponierter Stellung, muss er repräsentieren, verkaufen. Auch sich selbst. Besonders jetzt, wo die Nationalmannschaft nach schweren Zeiten gerade wieder ein wenig Auftrieb bekommt.
Sechs WM-Debütanten im Kader
Heuberger hat daran großen Anteil. In Spanien war eine neue deutsche Mannschaft auf dem Feld, Heubergers Mannschaft. Leistungsträger wie Uwe Gensheimer mussten verletzt passen, erfahrene Spieler wie Holger Glandorf sagten ab: Statt routinierte Nationalspieler nahm Heuberger sechs WM-Debütanten in den Kader. Er kennt sie alle aus der Jugend, auch die anderen sind ihm bestens vertraut. Das Elternhaus von Kapitän Oliver Roggisch im südbadischen Schutterwald liegt wenige hundert Meter von Heubergers Haus entfernt.
Beim TuS Schutterwald spielte Heuberger selbst Handball. Er ist Kreisläufer, dann Spielertrainer und danach Coach. 1996 war er der jüngste Trainer in der Bundesliga. Seine Vorliebe für schnellen, attraktiven Handball entstand in dieser Zeit. Bei der WM in Spanien überraschte die Nationalmannschaft die Konkurrenz durch ihr schnelles Umschalten aus einer sicheren Abwehr heraus. Am Ende der Vorrunde gelang gegen Frankreich der erste Sieg seit sechs Jahren.
Heuberger war danach selbst überrascht von seinem Team - und erleichtert. Der enorme Druck, die Spekulationen, auch um seine Zukunft und eine neue Führung im DHB, sind vorerst vorbei. Wenn Heuberger etwas entkrampft, ist sogar Zeit für einen Witz, einen ungelenken vielleicht, aber immerhin. Die Journalisten, die ihn nach persönlicher Genugtuung oder dem Ansehen in der Heimat fragen, versteht Heuberger immer noch nicht.
"Dschungelbuch" statt "Dschungelcamp"
Er will viel lieber über seine junge Mannschaft reden, die ihn "unglaublich stolz" mache. Darüber, wie viel Spaß es ihm bereite, mit ihnen zu arbeiten. Oder über Videoanalysen der kommenden Gegner, Spielsysteme und Gegenmaßnahmen. Heuberger ist ein Handball-Fanatiker, hat wenig Zeit für anderes. Als seine Spieler im Mannschaftshotel das RTL-"Dschungelcamp" schauen, spricht Heuberger hinterher gedankenverloren vom "Dschungelbuch". Für Fernsehsendungen hat er bei der WM wenig Zeit.
Fachlich habe er alles drauf, sagt jeder, der ihn kennt. Aber reicht das?
Während enger Spiele steht Heuberger fast die kompletten 60 Minuten lang an der Außenlinie, sein Körper zuckt scheinbar unkontrolliert, die Arme heben und senken sich im Takt. Schiedsrichterentscheidungen, und seien sie noch so unbedeutend, belegt er mit einem fragenden Blick, einem Schulterzucken.
Hektisch, fahrig, sagen seine Kritiker, sei er. Die Gefahr bestehe, seine Nervosität könne auf die Mannschaft abfärben. Heuberger weiß das und hat Besserung gelobt. Ruhe und Gelassenheit strahlt der Trainer selten aus. Auch in Spanien hält ihn das Adrenalin zu lange wach. Seine Schlafprobleme nach Handballspielen sind inzwischen fast bekannter als seine akribische Arbeit.
Nicht nur bei den intensiven Videositzungen zum nächsten Gegner fordert er seine Spieler auf, sich einzubringen. Heuberger will nicht dozieren, er will mündige Profis. "Handball ist ein Teamsport", sagt er. Abwehrboss Roggisch sagt, er habe selten einen solchen Teamgeist in der Nationalmannschaft erlebt.
Heuberger gefallen solche Sätze. Als er nach dem triumphalen Sieg gegen Frankreich gefragt wird, ob die WM nun auch in der öffentlichen Wahrnehmung als Erfolg angesehen werde, sagt er: "Ich muss das als Trainer beurteilen. Ich bin zufrieden." Was die Öffentlichkeit denke, sei ihm nicht so wichtig.