Miese Tour Sinkewitz' Sündenfall stürzt Radsport ins Chaos

Wut, Empörung, Fassungslosigkeit: Der Dopingfall Sinkewitz erschüttert die Radsportszene. ARD und ZDF haben wegen der Affäre die Live-Berichterstattung von der Tour de France ausgesetzt. Auch Sponsoren erwägen den Ausstieg. Protest dagegen gibt es ausgerechnet von dem Tour-Ausrichter.

Hamburg - Ausgerechnet einer der jungen Hoffnungsträger des T-Mobile-Teams hat den deutschen Radsport in eine neue schwere Krise gestürzt. ARD und ZDF zogen nach dem Dopingfall Patrik Sinkewitz die Notbremse und stiegen heute aus der Live-Berichterstattung von der Tour de France aus.

Kamera mit ARD-Logo, Radprofi: "Es musste klar Schiff gemacht werden"

Kamera mit ARD-Logo, Radprofi: "Es musste klar Schiff gemacht werden"

Foto: AFP

"Wir konnten mit der Gelben Karte nicht mehr warten, es muss klar Schiff gemacht werden", sagte ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender nachdem er sich mit ARD-Programmdirektor Günter Struwe abgestimmt hatte. Sinkewitz sei zu den "jungen wilden Sauberen" gezählt worden. Man wolle durch die Maßnahme versuchen, "zu einem sauberen Sport beizutragen".

Der Ausstieg von ARD und ZDF gilt laut Brender "bis zur Aufklärung des Falls Sinkewitz". Dagmar Reim, Intendantin vom Rundfunk Berlin-Brandenburg, erwartet nach dem Tour-Ausstieg von ARD und ZDF, dass "diese Konsequenzen sich nötigenfalls auch auf andere Sportarten zu erstrecken haben". Denn man könne sich "heute kaum vorstellen, dass allein im Radsport gedopt wird". Der Fernsehsender Eurosport setzte dagegen seine Übertragungen von der Tour wie gewohnt fort. Man denke nicht an ein Ende der täglichen ausführlichen Live-Berichterstattung, hieß es aus Paris.

Der Präsident der Tour-Organisation Amaury Sports (ASO), Patrice Clerc, hat die Entscheidung von ARD und ZDF indes kritisiert. "Damit wird die Tour bestraft, aber wir sind die Falschen", sagte Clerc nach der 10. Etappe in Marseille. Leidtragende seien die Zuschauer sowie jene Fahrer und Teams, die unbelastet seien. Die Medien hätten die Aufgabe, zu berichten und den Kampf gegen Doping zu begleiten. Daher sei die Entscheidung, die Live-Berichterstattung nach Bekanntwerden des Dopinfalls von Patrik Sinkewitz "paradox", sagte der ASO-Präsident.

Mit den noch verbliebenen sechs Fahrern ging das T-Mobile-Team an den Start der 10. Etappe. Man werde die Mannschaft auf keinen Fall aus der Tour nehmen, sagte der Kommunikationsdirektor des Unternehmens, Christian Frommert: "Ein solcher Schnellschuss kommt nicht in Frage, so frustrierend das alles auch ist. Wir werden nach Ende der Rundfahrt analysieren, wie die Zukunft aussieht." Gleiches gilt laut PR-Chef Stefan Göbel für Gerolsteiner: "Ob wir nach 2008 im Radsport bleiben, entscheiden wir Ende August."

Nur zwei Stunden zuvor hatte der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) gemeldet, dass T-Mobile-Profi Sinkewitz bei einer Trainingskontrolle der Nationalen Antidoping-Agentur Nada am 8. Juni in den Pyrenäen positiv auf Testosteron getestet worden war. Die im Kölner IOC-Labor vorgenommene Analyse der A-Probe überschritt mit einem Wert von 24:1 das erlaubte Limit von 4:1 deutlich. Sinkewitz, der am vergangenen Sonntag nach einem schweren Sturz die Tour beenden musste, wurde von seinem Team umgehend suspendiert. Der Beschuldigte bestritt kurz vor seiner Operation in einer Hamburger Klinik, gedopt zu haben.

Sollte die B-Probe wie erwartet das Ergebnis bestätigen, wird der 26-Jährige laut Frommert sofort entlassen: "Das einzig Gute an diesem Tiefschlag ist die Erkenntnis, dass die Kontrollen immer besser greifen." Man werde sich vom Kurs der Erneuerung nicht abbringen lassen.

Sinkewitz wäre der Erste, der als des Dopings überführter Radprofi neben der zu erwartenden Zweijahres-Sperre ein Jahresgehalt als zusätzliche Strafe zahlen müsste. Er hatte wie alle Tour-Starter die Ethik-Verpflichtung des Weltverbandes UCI unterschrieben. Sein Jahressalär wird auf 500.000 Euro geschätzt.

Vor einem Jahr war bekannt geworden, dass Sinkewitz vom umstrittenen italienischen Arzt Michele Ferrari betreut wurde. Erst auf massiven Druck des Bonner Teams, das ihn Anfang 2006 von Quick-Step geholt hatte, brach Sinkewitz die Verbindung ab. Zum damaligen "Ferrari-Trio" T-Mobiles zählten auch der Australier Michael Rogers und der Italiener Eddy Mazzoleni (seit 2007 bei Astana), der vor kurzem wegen neuer Dopinganschuldigungen seine Karriere beendet hat.

Der Heidelberger Doping-Experte Werner Franke zeigte sich bei n-tv nicht überrascht von der positiven A-Probe Sinkewitz': "Es wird jetzt mit Methoden gedopt, von denen man annimmt, sie könnten bei Kontrollen nicht entdeckt werden. Da hat man sich aber wohl geschnitten." Die Deutschen seien ein besonders scheinheiliges Volk, sagte Franke: "Weil sie meinen, sie kontrollieren sich zu Tode. Für andere Disziplinen ist ja bekannt, dass dies keinesfalls so ist."

fpf/sid/dpa

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