Olympia 2016 Das große Geraune

Jürgen Spieß
Foto: STR/ AFPGleich zwei deutsche Gewichtheber haben am Dienstag in deutlichen Worten die Wettkämpfe in Rio de Janeiro als irregulär bezeichnet. Jürgen Spieß gab der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung " ein Interview, Almir Velagic der "Welt ". Spieß sagt: "Wir werden von vorn bis hinten verarscht", der Iraker Salwan Jasim Abbood, der ihn in der Klasse bis 105 Kilogramm besiegt hatte, sei bereits einmal wegen Dopings gesperrt gewesen.
Velagic geht noch weiter: "Ich würde mir wünschen, dass man uns alle ein halbes Jahr vorher einsperrt." Velagic suggeriert: "Ich glaube, dass wir Deutschen dann ganz woanders wären." Auf die Nachfrage des Interviewers, ob denn die Deutschen alle "wirklich sauber" seien, reagiert Velagic verärgert: "Du arbeitest wirklich ehrlich, und nicht mal die eigenen Leute glauben dir das."
Velagic arbeitet mehr oder minder ungebrochen mit der Hypothese, dass die deutschen Gewichtheber nicht dopen, alle anderen aber schon: "Die andere Lösung, dass die anderen mal sauber sind... ich weiß nicht, ob wir die noch erleben."
Massive Probleme im Gewichtheben
Nun ist Gewichtheben in der Tat eine der Sportarten mit den größten Dopingproblemen überhaupt. Die jüngsten IOC-Nachtests der Olympischen Spiele von Peking 2008 und London 2012 deckten bei mindestens 21 Gewichthebern die Einnahme illegaler Substanzen auf. Will diese Kraftsportart die jüngsten Skandale als Olympische Disziplin überleben, muss der Verband alles tun, um Betrug zu sanktionieren, sei es von einzelnen Sportlern oder systematisches Doping ganzer Verbände.
Spieß und Velagic machen aber noch mehr als das: Sie unterstellen mehr oder minder pauschal allen Gegnern zu betrügen und fordern selbst das Vertrauen der "eigenen Leute" in ihre Integrität.
Damit könnten sie durchaus Erfolg haben: Nach einer aktuellen Studie der Deutschen Sporthochschule glauben 81,3 Prozent der deutschen Bevölkerung, "dass deutsche Athleten/Athletinnen moralisch integer handeln und die Einhaltung von Regeln sowie Fairplay und Unbestechlichkeit beachten". Demgegenüber glauben nur 39,3 Prozent das Gleiche von "internationalen Athleten".
"Ich will niemandem etwas unterstellen, aber..."
Das ist der Resonanzraum, der auch in Rio permanent bespielt wird: Die Erfolge der britischen Bahnradsportler, die bei den aktuellen Spielen bereits vier Gold- und drei Silbermedaillen gewonnen haben, wurden von der Deutschen Kristina Vogel so kommentiert: "Ich will niemandem etwas unterstellen, aber das ist schon fragwürdig. Ich habe keine Ahnung, wie die das machen."
Der ehemalige Schwimmer Markus Deibler hat zur Erklärung der fehlenden Medaillen gesagt, Deutschland habe "eine schlechte Förderung und sehr gute Dopingkontrollen. Damit können wir nicht mit Ländern konkurrieren, die sehr viel fördern und beim Thema Doping nicht so genau hinsehen oder es sogar betreiben."
Nicht nur Athleten, auch Medien unterstellen Spitzensportlern anderer Länder ohne Beweise, Betrüger zu sein: ZDF-Kommentator Wolf-Dieter Poschmann reagierte bei der Liveübertragung des Stabhochspringens auf den Olympiarekordsprung von Thiago Braz da Silva, indem er unmittelbar nach dem Sprung sagte: "Liebe Zuschauer, ich möchte Ihnen zu Hause nicht die Stimmung jetzt vermiesen, aber wir sind auch Journalisten. Und wir müssen an der Stelle auch drauf verweisen, dass es in Brasilien in den letzten Wochen keine Anti-Doping-Kontrollen gegeben hat. Das muss man an dieser Stelle auch sagen dürfen."
Poschmann führte weiter aus, Thiago sei natürlich mehrfach getestet worden, aber nicht in der gleichen Intensität, wie es in Europa geschehen wäre, weil die nationale brasilianische Anti-Doping-Agentur anders arbeite. Das mag alles stimmen, aber nach dieser Logik dürfte man pauschal keine Top-Leistungen von Sportlern anerkennen, die unter anderen Bedingungen trainieren als Europäer.
Der vermeintlich kritische Blick
Das wirkt besonders kritisch, hat aber auch eine Schattenseite. Mit so einer verdachtsbasierten Unterstellung (Braz da Silva hat nie gegen ein Dopingreglement verstoßen) relativiert man letztlich alle Dopingtests, die tatsächlich durchgeführt werden und mit denen Betrüger überführt worden sind.
Wenn aber gute Leistungen schon ausreichen, um jemanden ohne weitere Anhaltspunkte öffentlich als Betrüger zu verunglimpfen, dann kann man sich die ganze tatsächliche, auf wissenschaftlichen Methoden beruhende Dopingbekämpfung gleich ganz sparen.
So könnte es sein, dass das ständige Raunen über allgegenwärtiges Doping außerhalb der deutschen Grenzen dem Kampf gegen den Betrug im Sport einen echten Bärendienst erweist. Um es mit Almir Velagic zu sagen: "Das wäre brutal."