IAAF-Entscheidung Ein Feiertag für den Sport

Russlands Leichtathleten dürfen nicht zu den Olympischen Spielen. Eine richtige Entscheidung. Doch auch die in die Affäre verwickelten hohen Sportfunktionäre müssen bestraft werden.
Whistleblowerin Julia Stepanova im Wettkampf 2011 (damals noch unter ihrem Mädchennamen Rusanova)

Whistleblowerin Julia Stepanova im Wettkampf 2011 (damals noch unter ihrem Mädchennamen Rusanova)

Foto: Rungroj Yongrit/ picture alliance / dpa

Das Council des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF hat den einzig vertretbaren Beschluss gefasst. Der russische Verband Rusaf bleibt wegen systematischen und staatlich orchestrierten Dopings gesperrt. Unter russischer Flagge werden keine Leichtathleten an den Olympischen Spielen im August in Rio de Janeiro teilnehmen.Wohl aber könnten einzelne russische Leichtathleten unter neutraler Fahne für Rio zugelassen werden. Die dafür nötige Statutenänderung hat das Council gleich mit verabschiedet.

Die Tür für Ausnahmen ist nur einen winzigen Spalt breit geöffnet, hat der Norweger Rune Andersen in Wien gesagt, der Chef der IAAF-Taskforce, die einen überzeugenden Bericht vorgelegt hat.

Stars wie Jelena Issinbajewa, die Putin-treue Olympiasiegerin im Stabhochspringen, werden kaum durch diesen Spalt schlüpfen können.

Jelena Issinbajewa

Jelena Issinbajewa

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Issinbajewa, die vor drei Jahren nicht nur die unerträglichen Anti-Homosexuellen-Gesetze in Russland verteidigte, sondern die faktenbasierten Berichte der Weltantidopingagentur Wada und zahlreiche investigative Medienberichte als "politisch motiviert" bezeichnete, wird im Papier der Taskforce auch erwähnt - und als Propagandistin enttarnt. Denn in Gesprächen mit der Taskforce stellte sich heraus, dass Issinbajewa die Wada-Berichte nie gelesen hatte.

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Für eine andere russische Sportlerin allerdings ist die Tür zu den Sommerspielen nicht nur einen Spalt breit, sondern sperrangelweit geöffnet. Und das ist fantastisch: Julia Stepanowa, die gemeinsam mit ihrem Mann Witali als Whistleblowerin ihr Leben riskierte und sich seit Jahren im Exil befindet, kann unter neutraler Flagge zugelassen werden.

Sie trainiert längst dafür. Ihre Olympiateilnahme wäre ein zartes Signal für einen etwas saubereren Sport. Sollte Stepanowa in Rio laufen, wird sie einer der Stars der Spiele sein. Die Zuschauer im Olympiastadion werden sie feiern - und viele Sportler anderer Nationen werden das ebenfalls tun.

Das IAAF-Council hat sich die PR-trächtige Chance natürlich nicht nehmen lassen, Stepanowa den Weg nach Rio zu ebnen. Nur sollte man nicht allen Councilmitgliedern eiskalte Berechnung unterstellen. Gewiss ist die IAAF-Führung, deren teilweise kriminelle Machenschaften von der französischen Justiz aufgearbeitet werden und deren Präsident Sebastian Coe extrem unter Druck steht, um jede positive Schlagzeile bemüht. Allerdings gehören dem Council nicht nur zweifelhafte Figuren an, sondern auch Funktionäre wie die Kanadierin Abby Hoffman, die sich nachweislich seit Jahrzehnten für einen sauberen Sport einsetzt. Hoffman war auch in der Taskforce aktiv.

Der 15 Seiten umfassende Bericht der Taskforce ergänzt die vielen hundert Seiten der beiden Wada-Berichte und die zahlreichen Enthüllungen - wie zuletzt in der BBC, in der "New York Times" und in der ARD - perfekt. Nie zuvor in der Geschichte des olympischen Sports konnte ein staatlich organisiertes Dopingsystem zeitnah so gut beschrieben werden. Wobei die Betonung auf zeitnah liegt: Denn das DDR-Dopingsystem konnte erst nach dem Mauerfall aufgearbeitet werden. Der Unterschied des russischen Systems zu anderen spektakulären Dopingnestern - etwa in den USA im Fall Lance Armstrong oder im Balco-Skandal - ist gewaltig.

Internationales System der Dopingfahndung vor dem Kollaps

Die US-Nester wurden von Ermittlern der Steuer- und Drogenbehörden ausgehoben. Das russische System, dessen Wurzeln in der Sowjetunion liegen, wird vom Sportministerium bis heute geschützt - auch dafür liefert das Papier der IAAF weitere Belege.

Wer die Augen vor all diesen Beweisen, Aussagen und Indizien verschließt - wie Issinbajewa, wie russische Staatsmedien und Putin-Trolle im Internet - der kann in der Diskussion nicht ernst genommen werden. Am 15. Juli wird der nächste umfassende Bericht der Wada vorgelegt.

Hat die Beibehaltung der Sanktionen gegen den russischen Verband die Lage an der Dopingfront nachhaltig verbessert?

Natürlich nicht. Das kriminelle System in der IAAF muss strafrechtlich aufgearbeitet werden. Die Doppelpässe hoher Funktionäre des IOC und der Wada mit Russland müssen eingestellt und sportjuristisch sanktioniert werden - Ethikregeln geben da einiges her.

Das internationale System der Dopingfahndung steht weiterhin vor dem Kollaps. Viele ehrliche Sportler, die jahrelang von den Russen (und anderen) betrogen wurden, werden nie den Lohn ihrer Arbeit bekommen. Sie bleiben bis ans Lebensende betrogen. Nicht alle dürfen sich so glücklich schätzen wie der australische Geher Jared Tallent, der am Freitag, nur wenige Stunden vor der IAAF-Entscheidung, in Melbourne endlich seine Goldmedaille erhielt, die ihm bei den Sommerspielen 2012 in London ein russischer Doper weggeschnappt hatte.

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Aber selbst an diesem großen Tag im Leben des Jared Tallent haben ihm die Doper die Schlagzeilen gestohlen.

Dennoch - und ungeachtet der sportpolitischen Finten, die das vom Deutschen Thomas Bach geführte IOC aus dem IAAF-Beschluss ableiten wird: Heute ist ein Feiertag für den Sport.

Nie zuvor haben sich so viele Sportler aus aller Welt, so viele nationale Verbände und so viele Spitzenfunktionäre für grundlegende Reformen des Antidopingsystems und für harte Sanktionen eingesetzt. Der Funken Hoffnung ist entfacht.

Mehr zum Thema auch im Blog des Autoren jensweinreich.de 

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