
Olympia-Bewerbung: Hamburgs Befürworter, Gegner und Konkurrenten
Hamburgs Bewerbung "Olympia ist teuer, das muss allen klar sein"
SPIEGEL ONLINE: Herr Nieland, unter den Olympiabewerbern sind mit Los Angeles, Paris und Rom berühmte Metropolen. Hat das unbekanntere Hamburg überhaupt eine Chance auf die Spiele 2024?
Nieland: Ja, aus zwei Gründen: Erstens weil beim IOC das Reformpapier der Agenda 2020 zum ersten Mal zur Anwendung kommt, das den Gigantismus bremsen und Kostenexplosionen verhindern soll. Das macht die kleineren Bewerberstädte attraktiver. Zudem hat sich Hamburg in der Vorauswahl gegen die Hauptstadt Berlin durchgesetzt. Das sollte Auftrieb geben und Mut machen. Hamburg hat gute Chancen.
SPIEGEL ONLINE: Wie bewerten Sie Hamburgs Bewerbung?
Nieland: Es ist ein interessantes Konzept, das relativ früh auf dem Tisch lag. Hamburg ist eine internationale Stadt, die Sportpolitik ist seit Jahren gut aufgestellt, da sie gute Bedingungen auch für den Breiten- und Behindertensport geschaffen hat. Hamburg ist eine Medienstadt, zudem will die ansässige Wirtschaft die Bewerbung unterstützen. In Hamburg werden auch die Sicherheitskosten nicht so explodieren, wie es in London war und in Paris und Los Angeles sein würde.
SPIEGEL ONLINE: Weshalb?

Jörg-Uwe Nieland ist seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sportkommunikation und Sportpolitik. 2012 erschien sein Buch "Die globale Bühne: Sportgroßereignisse im Spannungsfeld von politischer Inszenierung und demokratischen Reformimpulsen".
Nieland: Die Anspannung, die in London herrschte und in Los Angeles herrschen würde, wird es in Hamburg nicht geben. In Paris ist man nach den Terroranschlägen ebenfalls in großer Alarmbereitschaft.
SPIEGEL ONLINE: Viele Experten meinen, dass Olympia-Bewerbungen etwas Neues, Frisches brauchen. Sehen Sie in Hamburgs Bewerbung genügend innovative Ansätze?
Nieland: Das Sportstättenkonzept ist in meinen Augen überzeugend. Die Ausrichtung mitten in der Stadt verspricht kurze Wege für Athleten und Zuschauer. Hinzu kommt die Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern - das sind Aspekte, die dem angestoßenen IOC-Reformprozess folgen und mit denen Hamburg punkten kann.
SPIEGEL ONLINE: Worauf achten die Entscheider bei Bewerbungen?
Nieland: In allererster Linie auf die Kosten, dann kommt lange nichts. Die Unterstützung in der Bevölkerung ist auch sehr wichtig, ebenso die der Politik, die ja einspringen muss, wenn es Finanzierungsprobleme gibt. Nachhaltigkeit, Sicherheit, Transparenz - der Katalog der Kommission ist sehr umfangreich. Auch für die Paralympics muss es ein Konzept geben.
SPIEGEL ONLINE: Laut einer aktuellen Umfrage sind 58 Prozent der Deutschen dafür, mit Hamburg anzutreten. In Paris soll die Zustimmung der Bürger jedoch bei 70 Prozent liegen, in Los Angeles gar bei 81. Braucht Hamburgs Bewerbung bei der Bürger-Abstimmung am 29. November ein hohes Ergebnis, um das IOC zu überzeugen?
Nieland: Ja. Die Bevölkerungsmeinung ist ein wichtiger Punkt für die Evaluierungskommission. Die Zahlen aus Paris und LA erhöhen den Druck für die Bewerber-Kommission, die Latte liegt sehr hoch. Alles unter 65 Prozent Zustimmung wäre ein Desaster. Hamburg peilt 73 Prozent an, diese Zielgröße wäre ambitioniert.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt in Hamburg aber viele Olympia-Kritiker, die plausible Argumente haben. In der genannten Umfrage gaben 60 Prozent der Befragten an, Olympia als Geldverschwendung zu sehen.
Nieland: Damit muss sich die Bewerbergesellschaft ehrlich auseinandersetzen. Sie tut gut daran, dahin zu gehen, wo es wehtut. Also in die Bezirke, in denen die Ablehnung sehr groß ist. Dort muss mit den Kritikern geredet werden. Es geht auch darum, zu erläutern, wie Hamburg mit dem "Knebelvertrag des IOC" umgeht.

Flugblatt beim Schanzenfest in Hamburg: "Dahin gehen, wo es wehtut"
Foto: Bodo Marks/ dpaSPIEGEL ONLINE: Und die Kosten? Ist Olympia für Hamburg überhaupt bezahlbar?
Nieland: Das ist die Gretchenfrage. Angesichts der Finanzkraft der Stadt, glaube ich ja. Allerdings muss die Bewerbergesellschaft die Kosten transparent halten.
SPIEGEL ONLINE: Der Rechnungshof hat den Termin des Referendums kritisiert, da bis dahin die Kosten für die Errichtung der Spielstätten und der Infrastruktur "nicht realistisch abgeschätzt werden können". Bürgermeister Olaf Scholz sagt hingegen, dass die Zahlen des Finanzreports, der Ende September öffentlich gemacht werden soll, "sehr fest und seriös" sein werden. Kann man darauf vertrauen?
Nieland: Wir werden sehen. Die Vergangenheit aber hat gezeigt, dass man eigentlich nicht darauf vertrauen kann. Die Kritik der Bevölkerung am Umgang der Politik mit Großprojekten ist berechtigt. Die Elbphilharmonie mit ihren ausufernden Kosten ist ein Bremsklotz, das muss man ganz klar sagen. Und zwar für die Wahrnehmung innerhalb der Stadt als auch außerhalb. Für ein frühes Referendum spricht aber, dass man schnell weiß, ob die Bevölkerung hinter der Bewerbung steht.
SPIEGEL ONLINE: 6,5 Milliarden Euro stehen als Gesamtkosten im Raum. Los Angeles nannte kürzlich eine Summe von 5,1 Milliarden. Wie teuer kann es wirklich werden?
Nieland: Olympia ist teuer, das muss allen klar sein. Ich denke, die genannten Zahlen sind zu niedrig. Das wird deutlich drüber liegen. Ich glaube nicht, dass man sich einen Gefallen tut, wenn man die Zahlen zu niedrig ansetzt. Nachträgliche Kostensteigerungen stoßen der Bevölkerung übel auf.
SPIEGEL ONLINE: Was würde eine erfolgreiche deutsche Bewerbung für die Fußball-Europameisterschaft 2024 hinsichtlich der Olympia-Chancen bedeuten?
Nieland: In den parallelen Bewerbungen sehe ich keine so große Gefahr. Rio de Janeiro hat den Zuschlag für Fußball-WM und Olympische Spiele ja auch innerhalb von zwei Jahren bekommen.
So schätzt Nieland die Chancen von Hamburgs Mitbewerbern ein:
LOS ANGELES

"Nach der Absage von Boston ist Los Angeles ziemlich spät eingestiegen, Da die Stadt schon zweimal die Spiele hatte, wird die Frage aufkommen: Kommt da was Neues? Das Wetter in der Metropole ist natürlich gut und das Geld wird man auch schon zusammenkriegen. Aber eine Vergabe würde die amerikanische Vorherschafft im Sport festigen, was nicht jeder gerne sieht. Es besteht die Gefahr, dass es zu gigantisch, zu kommerzialisiert, zu amerikanisch wird."
PARIS

"Paris hat sich schon öfter beworben, es ist der vierte Anlauf in jüngerer Vergangenheit. Ich sehe bei der Bewerbung nicht den Knaller, das Besondere. London hat vor einigen Jahren auch gegen Paris gewonnen, weil das britische Konzept spezifischer und detaillierter war. Natürlich kennt jeder Paris. Die Verkehrsanbindung ist perfekt, der Fremdenverkehr funktioniert dort auch gut. Und es wird sicher sehr viel Geld reingesteckt, da es ein Prestigeprojekt der französischen Regierung und der Stadt ist."
ROM

"Man weiß noch gar nicht, ob Rom angesichts der Finanzlage das Geld zusammenkriegen wird. Zudem muss man gucken, ob die eigene Bevölkerung den Willen hat, sich das anzutun, obwohl die Stadt voll ist und vor Touristen aus allen Nähten platzt. Zudem gibt der Sport im Land derzeit kein gutes Bild ab: Fan-Krawalle, marode Stadien, keine funktionierende Infrastruktur, die Verbandsstrukturen sind nicht gut. Da sehe ich kaum Chancen."
BUDAPEST

"Diese Bewerbung sehe ich ähnlich wie die von Hamburg. Etwas kleiner, ruhiger im Auftreten. Aber die Negativ-Schlagzeilen aus Ungarn im Zusammenhang mit den Flüchtlingen sind eine ganz schwere Hypothek. Zudem ist das Mediensystem nicht frei, es gibt viel Korruption. Die Entwicklung der vergangenen Wochen haben Budapest ins Abseits gestellt."