Olympia-Gold für Schwimmerin Steffen Die Aufholjagd ihres Lebens
Es sind selten die lauten Momente, die von einer olympischen Show in Erinnerung bleiben. Nicht das Getöse, das Dröhnende, das Marktschreierische. Es sind meistens die stillen Momente. Sekunden der Ruhe, nachdenkliche Augenblicke, wenige Worte.
Zum Beispiel Britta Steffen. Als ihr Sieg feststand, da ging ihr nur ein Satz durch den Kopf: "Mama, Papa, ich habs geschafft." Das erzählte sie nach dem Rennen.
Wann hat jemals eine Sportlerin ihren Olympiasieg einfacher und schöner beschrieben?
Die Freistilschwimmerin Steffen hatte also doch geblufft im Halbfinale am Donnerstag, als sie nur Sechste geworden war. Dass sie sich viel besser fühlte, war in den Katakomben des Wasserwürfels zu erahnen, wo die 24-Jährige einen sehr gelösten Eindruck hinterließ. Nach dem fünften Platz der Sprintstaffel am vergangenen Sonntag war sie noch untröstlich gewesen, trotz ihres Olympischen Rekordes über 100 Meter in 53,38 Sekunden.
Sie hat geweint und wollte einfach nur vor den Journalisten flüchten. Diesmal aber wirkte sie wie verwandelt. Vor allem: Sie lachte. Vorsichtshalber hat sie allerdings tief gestapelt und kokettiert: "Ich denke, die Trickett wird alle platt machen." Libby Trickett aus Australien, die Weltmeisterin, die Weltrekordlerin (52,88), ist seit zwei Jahren ihre große Rivalin.
Am Freitagmorgen um 5.04 Uhr MESZ sah es zunächst so aus, als wolle Trickett in Michael-Phelps-artiger Manier die Konkurrenz abhängen. Zwei Zehntel Vorsprung hatte sie bei der 50-Meter-Wende vor der Holländerin Marleen Veldhuis. Britta Steffen lag bereits 1,14 Sekunden zurück. Sie war Letzte.
"Ehrlich gesagt wurde ich da ein bisschen panisch", sagte Regine Eichhorn, Steffens Managerin. Auch Trainer Norbert Warnatzsch war überrascht: "Das hätte schon etwas schneller sein dürfen." Zwar ist bekannt, dass Steffen immer die schnellste zweite Bahn im Feld schwimmt, schien dieser Rückstand doch kaum aufzuholen.
Die Deutsche wurde nicht hektisch. Sie wusste: "Libby geht eher schnell an, ich schwimme eher gleichmäßig." Sie näherte sich. Sie lag gleichauf. Sie hatte den besseren Anschlag. Sie wusste instinktiv, dass sie Trickett geschlagen hatte. Was sie aber nicht wusste, weil sie nur die rechts neben ihr kraulende Australierin sehen konnte, ob nicht links jemand schneller gewesen war. Sie hat sich erst nach ein paar Sekunden umgesehen und auf die Anzeigetafel geschaut. "Ich dachte: Genieße den Augenblick. Es war schon schön, Libby geschlagen zu haben", gestand sie nach dem Rennen.
Dann siegte die Neugier. Es war schließlich das olympische Finale, das Rennen ihres Lebens, da will man doch wissen, wie es ausgegangen ist: "Ich habe mich umgesehen und konnte es, ehrlich gesagt, nicht fassen. Alles war schön." Dort stand: Britta Steffen (GER) 53.12. Lisbeth Trickett (AUS) 53.16. Natalie Caughlin (USA) 53.39.
Es war nicht nur ein schöner, sondern auch ein historischer Moment. Denn es wird wohl die einzige Goldmedaille in einer der großen olympischen Kernsportarten in Peking bleiben. Und es war der erste Olympiasieg für eine deutsche Schwimmerin nach sechzehn Jahren.
Mehrere Sportlergenerationen liegen zwischen dem Sieg von Dagmar Hase 1992 in Barcelona über 400 Meter Freistil und dem Erfolg von Steffen. Wie Hase stand auch Steffen lange im Schatten von Franziska van Almsick - die allerdings nie eine Goldmedaille erreichte.
Für Steffens Trainer Warnatzsch, 61, ist es dagegen schon das zweite Gold. Er hat 1980, zu Beginn seiner Trainerlaufbahn, Jörg Woithe vom SC Dynamo Berlin in Moskau zum Olympiasieg über 100 Meter gecoacht. Unter gänzlich anderen Vorzeichen, in einem System, das auf die Produktion von Medaillen ausgerichtet war, koste es, was es wolle. 28 Jahre später führte er Steffen zu Gold, die damals noch nicht einmal geboren war. Auch so gesehen ist der Sieg von Steffen ein Stück deutsch-deutsche Sportgeschichte.
Eigentlich hatte Warnatzsch bereits vor vier Jahren seinen zweiten Olympiasieg feiern wollen. Doch beim vierten olympischen Anlauf verpasste van Almsick, das ewige Glamourgirl, wieder einmal knapp diese Goldmedaille. Jetzt will jemand von Warnatzsch wissen, was der Unterschied war zwischen Athen und Peking. "Vor vier Jahren", sagt Warnatzsch, "hats nicht geklappt. Diesmal hats geklappt. Das ist der Unterschied." Im Sport zählen eben nicht die großen Sätze, sondern die kleinen Wahrheiten. Franziska van Almsick in Athen 2004, nachdem sie das Finale verloren hatte, einen wunderbaren Satz formuliert. Ganz leise sagte sie: "Ich fühle mich ein bisschen tot."
Britta Steffen machte es in Peking noch kürzer. Vier Worte nur. Ganz leise ins Mikrofon gehaucht: "Mein Leben ist schön." Mehr gibt es nicht zu sagen.