Olympische Teamverfolgung Eis-Annis Schwimmabzeichen in Gold

Eisschnelllauf: Auf dem Bauch ins Finale, auf den Kufen zu Gold
Für einen Moment scheint es, als würde nun doch in Hilflosigkeit stranden. Dabei war Tapferkeit das gewesen, was sie in dieser Saison vor allen anderen ausgezeichnet hatte. Die 33-Jährige hatte trotz dicken Knies, dicken Knöchels und daraus resultierenden Trainingsmangels nicht aufgesteckt. Sie wollte ihre vierte Olympia-Teilnahme, und sie wollte eine weitere Medaille. Doch jetzt schliddert sie bäuchlings übers Eis. Sie windet sich dabei, rudert mit den Armen, zappelt mit den Beinen. Das sieht so ungeschickt aus. So unwürdig für den möglicherweise letzten Olympia-Auftritt einer der ganz Großen ihres Sports.
Tatsächlich, das wird später klar, war dieses unbeholfen wirkende Herumgerobbe auf dem Eis eine sportliche Großtat. Tapferkeit pur. Und nur der erste Akt des dramatischsten deutschen Olympiasiegs dieser Winterspiele in Vancouver. Die schliddernde Friesinger-Postma brachte so einen Fuß vor den Körper und sorgte dafür, dass der Sender am Knöchel die Stoppuhr im Ziel bei allem Unglück doch noch rechtzeitig auslöste. Als das Resultat auf der Anzeigetafel im Olympic Oval aufleuchtete, wich die maßlose Enttäuschung in ihrer Miene einem unendlich erleichterten Strahlen: Im Halbfinale der Teamverfolgung hatte das deutsche Frauen-Trio das der USA doch noch um 23 Hundertstelsekunden geschlagen. Auf allen Vieren rutschend hatte Friesinger ihren knappen Vorsprung auf die dritte Amerikanerin gerettet. Der Weg für die Titelverteidigung war geebnet.
"Da sieht man, was für ein alter Hase die Anni ist", lobte Bundestrainer Markus Eicher. "Andere hätten in diesem Moment sicher nicht daran gedacht, den Fuß nach vorn zu bringen." Noch bevor Friesinger-Postma Eisschnellläuferin wurde, hatte sie im Vorschulalter in Inzell bei Eicher, der damals als Bademeister und Schwimmlehrer arbeitete, das Seepferdchen gemacht. Deshalb scherzt der Coach jetzt: "Gut, dass ich ihr einen so sauberen Beinschlag beigebracht habe." Friesinger war nach dem dramatischen Finale, das sie als Zuschauerin überstehen musste, überglücklich: "Jetzt habe ich dreimal Gold und zweimal Bronze bei Olympischen Spielen, was will ich mehr?"
Vor vier Jahren in Turin mag es für sie noch eine Enttäuschung gewesen sein, zwar mit Teamgold, aber eben auch nur mit Bronze im Einzel (1500 Meter) heimgekehrt zu sein. Nach Bronze 1998 in Nagano (3000 Meter) und Gold 2002 in Salt Lake City (1500 Meter) war ein weiterer Einzelsieg das klare Ziel der Anni Friesinger-Postma gewesen. Diesmal jedoch waren die Ansprüche durch die Verletzungsmisere im Vorfeld stark gesunken. Bundestrainer Eicher hatte ja sogar Zweifel bekundet, ob das Glamourgirl des deutschen Teams überhaupt fit genug für das Mannschaftsrennen sei.
Tatsächlich war sie am Ende des Laufs völlig entkräftet, sie verlor schon vor dem Sturz mehrere Meter auf ihre Teamkolleginnen. So war klar, dass Friesinger im Finale gegen Japan nur zuschauen würde.
Furiose Aufholjagd gegen Japan
Sie machte Platz für Katrin Mattscherodt. Die hatte zuvor das Nachsehen gegenüber Friesinger. Doch was nach außen wie ein Gezerre um den Startplatz aussah, sei intern eine sachliche Diskussion gewesen, betont Mattscherodt. "Ich hatte mich schon vor den 5000 Metern und dann auch im Rennen schlapp gefühlt, deshalb habe ich den Trainern gesagt, dass ich denke, dass die Anni stärker ist und dem Team mehr helfen kann als ich."
Im Finale konnte sie dann Stephanie Beckert und Daniela Anschütz-Thoms deutlich mehr helfen als Friesinger, die platt war, kaputt und ausgelaugt. So hatten dann alle vier ihren Anteil am Gold. Mattscherodt heftete sich im Finale eisern an die Kufen Beckerts und sah zu, dass sie bei wechselnder Führung zwischen Anschütz-Thoms und Beckert nicht den Anschluss verlor. Die Dramatik des Finales verpasste sie dabei: Sie bemerkte weder den zwischenzeitlichen Rückstand von gut 1,7 Sekunden auf Japan, noch die furiose Aufholjagd, die Beckert auf den letzten zwei von ihr angeführten Runden startete.
"Wahnsinnige Willensleistung" von Friesinger-Postma
Für Mattscherodt war das alles viel weniger aufregend als das Zuschauen im Halbfinale. "Da habe ich gedacht, das Ding ist in trockenen Tüchern", erinnert sie sich, "und dann sah ich plötzlich nur noch zwei Läuferinnen und dachte: Wo ist die Anni?" Anni war am Boden.
Später ist sie wieder obenauf. Stolz auf ihre Medaille, in der "ganz viel Geschichte" steckt. "Ich weiß, was sie wegen ihrer Verletzungen alles nicht machen konnte", sagt Eicher. "Da fehlt so viel an Umfängen und Trainingskilometern." Umso bewundernswerter sei, was Friesinger-Postma in ihren zwei Rennen der Teamverfolgung zeigte: "Das war eine wahnsinnige Willensleistung."
Und Eicher ist sich sicher, dass es das noch nicht gewesen ist mit der Eisschnellläuferin Anni Friesinger-Postma. Vielleicht werde sie 2014 bei den nächsten Olympischen Winterspielen nicht mehr dabei sein. Sie wolle ja irgendwann Kinder bekommen, habe sie ihm gesagt, erzählt Eicher. Aber die WM im kommenden Jahr in ihrer Heimatstadt Inzell sei fest eingeplant. "Dort hat alles begonnen", so der Bundestrainer. "Und ich denke nicht, dass Anni in Inzell ohne Titel aufhören will."