Paralympics-Sperre für Russland Ein Entschluss, der die olympische Welt erschüttert

Russische Athleten bei den Paralympics 2014
Foto: Facundo Arrizabalaga/ dpaEinen Auftritt wie den von Sir Philip Craven hat die olympische Welt noch nicht gesehen. Der Brite, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), lieferte am Sonntag in Barra da Tijuca ein kleines Meisterstück an Transparenz und Konsequenz, das die olympische Welt erschüttert.
Das IPC suspendierte das Russische Paralympische Komitee (RPC), somit können die Russen nach jetzigem Stand nicht an den Paralympischen Spielen im September in Rio de Janeiro teilnehmen. Für einen Einspruch bleiben drei Wochen Zeit, angekündigt hat Sportminister Witalij Mutko diesen Schritt bereits.
Für das bestens dokumentierte russische Staatsdopingsystem und den organisierten Betrug an paralympischen Sportlern anderer Nationen empfinde er "nichts als Ekel", sagte Sir Philip Craven: "Fairplay ist das Fundament des Sports. Wenn wir damit nachlassen, sind wir erledigt."
Die Entscheidung des IPC-Verwaltungsrats, die am Samstag bereits durchgesickert war, da aber noch dementiert wurde, ist auch ein Schlag ins Gesicht des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach. Craven gehört selbst dem Internationalen Olympischen Komitee an, er hat sich dort bislang nie als Held hervorgetan. Er hat auch am Dienstag kein Widerwort gegeben, als Bach auf der IOC-Session Unterstützung für die von ihm eingefädelten und weltweit erbittert diskutierten Beschlüsse einforderte, Russlands NOK trotz erwiesenen kriminellen Staatsdopings nicht zu suspendieren und den Großteil des russischen Teams in Rio zuzulassen. Aber was Craven nun präsentierte und in beeindruckender Weise begründete, sucht seinesgleichen.
Das IPC bewertet die in mehreren Untersuchungsberichten der Wada präsentierten Fakten kolossal anders als das IOC. Beispiele:
- Das IPC suspendiert das RPC als Bestandteil des Staatsdopingsystems sofort, während Bachs IOC das russische NOK für angebliche Aufklärungsarbeit und Kooperationsbereitschaft mehrfach lobte.
- Das IPC zieht Konsequenzen daraus, dass Russland schon im November 2015 als non compliant zum Welt-Antidoping-Code der Wada eingestuft wurde, während Bachs IOC daraus keine Schlussfolgerungen zieht.
- Das IPC hält sich an sein Regelwerk, während das IOC die juristisch unangreifbaren Optionen der Olympischen Charta negiert hat.
- Das IPC hat sofort mit dem Wada-Sonderermittler Richard McLaren kooperiert, sich beraten und ergänzende Auskünfte eingeholt, während Bach den MacLaren-Bericht demonstrativ nur noch als "vorläufig" bezeichnet und davon spricht, nach weiteren Ermittlungen und nach Vorlage eines abschließenden Berichts neu entscheiden zu wollen. Er spielt auf Zeit.
- Das IPC stellt den Betrug der Russen am Rest der Welt bei den Sotschi-Paralympics in den Vordergrund - das IOC konzentrierte sich auf russische Sportler, denen man Schlupflöcher bot.
Schließlich offenbart auch die Präsentation der IPC-Entscheidung einen gewaltigen Unterschied: Craven hielt eine beeindruckende Rede, legte einen ausführlichen Beschluss vor und beantwortete Fragen über Fragen. Thomas Bach dagegen lud am Donnerstagabend seine olympische Familie zum President's Dinner, als der Weltöffentlichkeit in einer dürren Meldung ohne jegliche ergänzende Fakten die Mitteilung gemacht wurde, dass rund 270 Russen in Rio teilnehmen dürfen.
Beim IOC ist die Athletensprecherin chancenlos
Die Behauptung des IOC-Kommunikationsdirektors Mark Adams, das IPC sei in einer besseren Position, weil es allein für den paralympischen Sport zuständig sei, wogegen das IOC mit den Sport-Fachverbänden verhandeln müsse, ist auch nichts als Propaganda: Denn das IOC ist gemäß seiner Olympischen Charta sogar in einer besseren Position als das IPC, finanziell ohnehin, das IOC hat alle Rechte und die Alleinbefugnis, ein russisches NOK zu sperren.

IPC-Präsident Sir Philip Craven
Foto: Joe Scarnici/ Getty ImagesDie Reaktionen russischer Sportfunktionäre auf ihren Sieg mit Bachs tatkräftiger Unterstützung könnten die Haltung des IPC beeinflusst haben, knallharte Maßnahmen zu ergreifen. So hatte das IOC-Mitglied Alexander Popow, der ehemalige Wunderschwimmer, Journalisten lautstark empfohlen, er möge es gar nicht, "wenn andere ihre Nasen in unsere internen Angelegenheiten stecken". IPC-Athletensprecher Todd Nicholson aus Kanada sah sich in sozialen Medien enormem Druck von russischer Seite ausgesetzt. Auch er begründete die Sperre des RPC in einer beeindruckenden Rede.
Und darin liegt noch ein Unterschied zum IOC. Dort hatte die Chefin der Athletenkommission, Claudia Bokel, den Rückhalt Tausender Elitesportler aus allen Kontinenten. Sie kämpfte gemeinsam mit der Athletensprecherin der Wada, Beckie Scott aus Kanada, und wurde von IOC-Mitgliedern angefeindet. Chancenlos war sie dann auf dem entscheidenden Meeting des IOC-Exekutivkomitees am 24. Juli zur Russen-Teilnahme. Bokel enthielt sich der Stimme. Alle anderen stimmten mit Bach.
IOC-Mitglieder und Bach-Getreue wie Patrick Hickey aus Irland und Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah aus Kuwait, dessen NOK vom IOC suspendiert ist, hatten mit hinterlistigen Aktionen versucht, die Allianz der Athletensprecher zu brechen: Die Athletenkomitees aus Europa und Asien, wo Hickey und Scheich Ahmad die NOK-Kontinentalverbände leiten, unterstützten in fragwürdigen Resolutionen die Haltung der IOC-Führung.
Die Briten stehen unter Druck - und stellen sich ihm
Im IPC aber kamen Athleten zu Wort. Denn sie sind es, die von den russischen Staatsdopern in historischem Ausmaß betrogen wurden. Die Dominanz der Russen bei den Paralympics 2014 in Sotschi war ja ungleich größer als der Vorsprung Russlands in der Nationenwertung der Olympischen Winterspiele, wo positive Dopingproben von mindestens fünfzehn Medaillengewinnern unter Mitwirkung des Inlands-Geheimdienstes FSB und unter Aufsicht des Sportministeriums ausgetauscht wurden.
Bei den Paralympics organisierten die russischen Gastgeber, so muss man es bezeichnen, insgesamt 80 Medaillen (30 Gold, 28 Silber, 22 Bronze). Deutschland kam in der Nationenwertung auf Rang zwei (15 Medaillen, davon neun Gold) vor Kanada (16 Plaketten, sieben Gold). Diese Ergebnislisten werden komplett umgeschrieben.
Paralympische Sportler haben sich in den vergangenen Wochen mehrheitlich deutlich zu einer Sperre der Russen bekannt. Der Deutsche Behindertensportverband DBS unterstützte die IPC-Entscheidung am Sonntag auch sofort und unmissverständlich auf ganzer Linie. Dagegen hatte die Führung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Präsident Alfons Hörmann und der Vorstandsvorsitzende Michael Vesper, alles unternommen, um die Linie des einstigen DOSB-Primus Thomas Bach durchzusetzen. Deutsche Sportler wie Olympiasieger Robert Harting wurden verbal gemaßregelt. In Rio behauptete Vesper nun, es gelte Meinungsfreiheit im deutschen Team.
Neben dem Einsatz der Sportler führte ein weiterer Grund zur Aufsehen erregenden Entscheidung. Der Druck britischer Medien auf Philip Craven war groß, sich den Fakten zum gigantischen Sportbetrug der russischen Regierung nicht zu verschließen und Konsequenzen zu ziehen. Dieser Druck hatte zuletzt bereits Lord Sebastian Coe, den Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF) zur erstaunlichen Rettungsaktion verleitet, ebenso Sir Craig Reedie, den Präsidenten der Welt-Antidoping-Agentur (Wada). Wir reden hier nicht von politischem Druck, sondern davon, erdrückende Beweise krimineller Machenschaften zu würdigen. Reedie, Coe und Craven haben es nicht gewagt, die Beweise abzuschwächen und so lange nach Lücken im Regelwerk zu suchen, bis die Sportarmee des Wladimir Putin befriedet werden konnte.
Dabei hat ja im Winter 2014 nicht nur Thomas Bach im Beisein von Wladimir Putin die Sotschi-Spiele als "Spiele der Athleten" gepriesen, auch Philip Craven fand nach den Paralympics große Worte und sprach von den "besten paralympischen Winterspielen aller Zeiten". Seine Sicht auf den schönen Schein der Sotschi-Bilder hat sich angesichts der gewaltigen Faktenlage geändert - und alle Welt weiß das nun.