

Mit einem Mal löste sich all die Anspannung. Als Radprofi John Degenkolb die Ziellinie in Roubaix überquerte, riss er beide Arme hoch und fasste sich an den Kopf, als könne er nicht glauben, was er soeben vollbracht hatte: In der sogenannten Hölle des Nordens war der 26-Jährige zum ersten deutschen Erfolg seit 119 Jahren gerast.
Degenkolb siegte bei der Kopfsteinpflaster-Tortur des Frühjahrsklassikers Paris-Roubaix nach 253,5 Kilometern, davon 57,5 über die gefürchteten Pavés. Und erfüllte sich damit seinen Traum. "Jahrelang hatte ich für diesen Moment gearbeitet", sagte Degenkolb: "Ich kann es noch gar nicht begreifen. Alles, was ich dafür gegeben habe, hat sich heute ausgezahlt."
Noch am Sonntagvormittag, vor dem Rennen, hatte Degenkolb sich betont locker gegeben. Er spüre wenig Druck, hatte er gesagt. Die Art, wie er nach seinem Triumph gejubelt hatte, wie er anschließend mit dreckverschmiertem Gesicht seiner Frau Laura samt Sohn Leo-Robert in die Arme gefallen war, ließ daran zweifeln, wie entspannt er wirklich gewesen war.
Degenkolb ist der Mann der Stunde im deutschen Radsport
Tatsächlich hatte Degenkolb zwar eigentlich keinen Erfolgsdruck vor dem Rennen - außer jenem, den er sich selbst machte. Denn nach seinem Sieg beim Klassiker Mailand-San Remo vor drei Wochen war der Kapitän des Giant-Alpecin-Teams so etwas wie der Mann der Stunde im deutschen Radsport. Aber einfach nur mitfahren, das kann John Degenkolb offenbar nicht. Bei der Straßenrad-WM im vergangenen September war Degenkolb trotz Krankheit angetreten.
Nun hat er den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erreicht. "San Remo war schon sehr emotional, aber das übertrifft alles. Das ist das Rennen, von dem ich immer geträumt habe, es einmal zu gewinnen. Es ist einfach unglaublich". Degenkolb ist einer von drei Fahrern in der Geschichte des Sports, die in einer Saison sowohl bei Mailand-San Remo als auch in der Hölle des Nordens gewinnen konnten. Dies war zuvor nur dem Belgier Cyrille Van Hauwaert (1908) und dem Iren Sean Kelly (1986) gelungen.
"Keiner wollte mit mir arbeiten, also bin ich selbst gefahren"
Bei seinem Coup von Paris-Roubaix halfen Degenkolb sowohl Mut als auch eine taktische Meisterleistung. Er war wachsam und an den Schlüsselstellen präsent. Nachdem die Belgier Yves Lampaert und van Avermaet zwölf Kilometer vor dem Ziel attackiert hatten, begab sich der Wahl-Frankfurter allein auf die Verfolgung und schloss sechs Kilometer vor dem Ziel auf. "Keiner wollte mit mir zusammenarbeiten, also bin ich selbst gefahren. Ich hatte keine Angst davor, dass es schiefgehen könnte", erklärte Degenkolb die vorentscheidende Rennszene 8,5 Kilometer vor dem Ziel.
Die Dimensionen seines Erfolgs schien er schnell zu begreifen. "Seit 1896 hat es kein Deutscher geschafft, hier zu gewinnen. Wir haben es heute geschafft. Das ist ein großer Schritt für unseren Radsport", so Degenkolb.
Die nächste große Herausforderung steht bevor: Die 102. Tour de France im Juli. Zunächst darf er sich eine Ruhepause genehmigen. "Jetzt kann ich es genießen", sagte Degenkolb nach dem Rennen entkräftet. Diesmal durfte man ihm glauben.
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Historischer Triumph: John Degenkolb hat den Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix gewonnen. Es war der erste deutsche Sieg seit 119 Jahren auf der Strecke.
Der Fahrer aus dem Team Giant-Alpecin war im Schlussspurt nach 253,5 Kilometern schneller als die Konkurrenz.
"Davon habe ich immer geträumt. Ich musste so hart arbeiten, ich kann es kaum glauben", sagte Degenkolb.
Degenkolb hatte zuvor bereits den Klassiker Mailand-San Remo gewonnen - "aber das übertrifft alles", so der 26-Jährige.
Der Tscheche Zdenek Stybar (Etixx-QuickStep) wurde Zweiter vor dem Belgier Greg van Avermaet (BMC).
Bradley Wiggins wurde in im letzten Straßenrad seiner Karriere 18. Fortan fährt der Olympiasieger wieder auf der Bahn.
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