
Pokerweltmeister Eskeland "Ich wache jeden Morgen mit einem Lächeln auf"
Rostock-Warnemünde, ein kühler Abend. Die Spielbank ist weiß, aber nicht ganz. Die Fassade bröckelt ein bisschen hier und da, dafür ist die Luft sauber und der Strand nicht weit. Außerdem hat Sigurd Eskeland gute Laune. Ich hatte mir Norweger bisher immer als grimmige Riesen vorgestellt. Schweigsam. Eskeland ist riesig, aber er scheint sehr nett zu sein. Waren die Grimmigen nicht die Wikinger? Er fängt sogar das Gespräch an, unten, am Strand.
Eskeland: Hi, Sie sind der, der gegen mich pokern wollte?
König: Eigentlich
Eskeland: Eigentlich?
König: Ich dachte, wir führen ein Interview und pokern dabei ein bisschen.
Eskeland: Okay, mein Vorschlag: Wir pokern und plaudern dabei ein bisschen.
Das geht ja gut los. Eskeland, Norweger, 36, zweifacher Familienvater, etwa vier Meter groß, will vor allem pokern. Ich will vor allem reden. Wie er im Sommer das Bracelet im 8-Game gewonnen hat, den schwersten Titel, den man bei der Poker-WM holen kann. Oder darüber, wie man sich fühlt als 36-jähriger Pokerneuprofi. Zum Glück sieht er immer noch nett aus. Es sind fünf Minuten vom Strand bis zur Spielbank, Zeit, schnell die ersten Fragen zu stellen.
König: Wie fühlt man sich als Pokerweltmeister? Seichte Einstiegsfrage, vor allem für einen norwegischen Grundschullehrer. Aber für die Feinheiten des skandinavischen Schulsystems ist es einfach noch zu früh.
Eskeland: Ich liebe mein Leben gerade. Ich habe mich noch nie so großartig gefühlt, aber nicht nur, weil ich professionell Poker spiele. Ich habe jetzt die Freiheit, alles anders zu machen. Ich esse anders, ich mache Sport, sechs Tage die Woche. Ich hatte immer etwas Übergewicht, jetzt habe ich mein Leben geändert. Jeden Morgen wache ich mit einem Lächeln auf.
König: Was hat sich am meisten verändert seit der Poker-WM? Wieder so eine seichte Frage, aber wenn ich ihm sage, dass man auch als Angestellter abnehmen kann, wird er vielleicht sauer. Das wäre schlecht für den Anfang.
Eskeland: Ich muss mich nicht mehr sorgen. Ich kann einen Teil des Hauses abzahlen. All die Arbeit, die ich in Poker investiert habe, zahlt sich jetzt aus. Das ist phantastisch, nicht nur wegen des Geldes, sondern vor allem, weil ich mein Leben plötzlich so leben kann, wie ich es immer wollte. Nur wenige können das, ich weiß das sehr zu schätzen.
König: Wie sieht das Leben aus?
Eskeland: Ich bin morgens und abends nicht mehr müde von der Arbeit. Ich kann der Super-Papa sein, am Tag mit den Kindern spielen oder sie selbst zum Kindergarten bringen. Ich kann trainieren, reisen und spielen. Ich liebe Spiele. Nicht nur Poker. Schon als kleines Kind habe ich mit meinen Eltern Karten gespielt oder Monopoly.
König: Sie sind ein Spieler.
Eskeland: Aber nicht im negativen Sinn. Als ich älter wurde, kam ich durch Zufall mit dem Strategiespiel "Diplomacy" in Berührung. Man musste mit den Gegnern reden, Deals machen. Es gab richtige Meisterschaften, Europameisterschaften, Weltmeisterschaften - ich wollte dort teilnehmen. Das war die Motivation für mich, immer besser zu werden. Irgendwann war ich der beste nichtfranzösische Spieler bei der WM in Frankreich.
Die Spielbank, in der in diesen Tagen die 3-Ländertour läuft, ist in Sicht. Eskeland ist wirklich nett. Aber noch haben wir ja auch nicht gepokert. Die seichte Einstiegsfrage war jedenfalls keine so schlechte Idee. Innerlich revidiere ich meine Meinung über schweigsame Norweger. Der Weltmeister redet jetzt schon, ohne dass ich Fragen stellen muss.
Eskeland: Nach "Diplomacy" hat mich "Magic the Gathering" fasziniert, ein strategisches Kartenspiel. Es gab dafür sogar eine professionelle Tour. Ich habe wieder hart gearbeitet, mich 2000 für diese ProTour qualifiziert und im gleichen Jahr auch ein Turnier gewonnen. Es gab 25.000 Dollar Preisgeld, und weil der Dollar damals sehr hoch stand, war das in etwa das Jahresgehalt eines normalen Angestellten in Norwegen.
König: Was kann man von solchen Brett- und Kartenspielen für Poker lernen?
Eskeland: Nicht viel. Vielleicht die Einstellung. Weil ich so viele verschiedene Spiele gespielt hatte, wusste ich, wie man gut wird. Ich lernte, was es brauchte - Wille, Zeit, Hingabe, den Austausch mit anderen, Talent. Das hat mir im Poker geholfen.
In der Spielbank sieht es viel besser als davor aus. Vorbei der Eindruck, das hier sei ein leicht baufälliges ehemaliges DDR-Erholungsheim. Rechts von der Bar ist ein Pokertisch frei. Ich werde gegen den Weltmeister Pot Limit Omaha und No Limit Hold'em spielen. Und noch habe ich keine Ahnung, ob diese Idee so gut war wie die seichte Einstiegsfrage.
König: Wann haben Sie sich entschieden, Pokerprofi zu werden und dafür den Job hinzuwerfen? Das ist doch eine Lebensentscheidung.
Eskeland: Ich habe Poker lange neben meinem Job gespielt. Es lief ganz gut, wir hatten ein schönes Extra-Einkommen. Aber eine Familie bringt Verpflichtungen mit sich. Ich konnte nicht einfach aufhören zu arbeiten.
Eskeland gewann Anfang 2010 den Talentwettbewerb eines Pokeranbieters und bekam dafür ein Preispaket im Wert von 100.000 Dollar. Ein halbes Jahr später wurde er Weltmeister in Las Vegas.
Eskeland: Ich hatte mich ein halbes Jahr freistellen lassen. Aber als ich das Bracelet in Las Vegas gewann, war klar: Das ist das Leben, das ich immer leben wollte. Und ich wusste, wenn ich die Chance nicht nutze, kommt sie nicht wieder. Ich bin ja schon ein relativ alter Profi. Es gibt so viele 20-Jährige, die auch wirklich gut sind.
Die Jugend gegen das Alter, ein Metathema, das wir gleich fortsetzen werden. Zunächst muss ich meinen Drilling bei Omaha irgendwie monetarisieren. Eine Neun und zwei Achten auf dem Board, eine in meiner Hand, dazu ein Bube, eine Dame und eine 5. Kein tolles Blatt, aber Eskeland hatte vor dem Flop nur leicht erhöht. Ich spiele 200 an, er bezahlt.
Turn: 4.
Ich spiele 600 an, Eskeland erhöht auf 2000. Wir haben 10.000 Chips, das hier riecht nach einer frühen Dezimierung. Aber ich habe eine Menge Outs für ein Full House. Ich bezahle.
River: 5.
Irgendwie fühle ich mich nicht sooo sicher, obwohl sich meine Hoffnung auf ein gerivertes Full House erfüllt hat. Ich checke, Eskeland spielt 3200 an. "Call", sage ich und sehe dabei, wie er an zwei Karten nestelt. 9 und 8. Toll.
Eskeland: So machen das Bracelet-Gewinner. Er grinst. Ich frage mich, was ich falsch gemacht habe. Sein Raise auf dem Turn, aber meine Outs. Ich hätte den Turn nicht setzen müssen. Die Botschaften sind zunächst: Ich habe nicht mehr viele Chips und er spielt nur, wenn er was hat.
König: Gibt es so was wie Respekt im Pokerbusiness?
Eskeland: Das Bracelet sorgt automatisch für Respekt. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen den jungen Internetspielern und den Profis in meinem Alter, den "älteren Herren" also. Die Jungen glauben, sie sind die Besten. Vielleicht sind sie es sogar, aber das ist nicht wichtig. Sie haben noch nicht gelernt, bescheiden zu sein. Wir Alten sind bescheiden, weil wir wissen, dass unser Beruf ein Geschenk ist.
König: Entschuldigung, das klingt jetzt etwas klischeehaft.
Eskeland: Ist es aber nicht. Es gibt ja noch so ein Klischee, das durch die Realität oft bestätigt wird. Das mit den unterschiedlichen Mentalitäten.
König: Das Klischee, dass ein italienischer Pokerprofi so spielt wie man es einem Italiener nachsagt?
Eskeland: Genau, und es stimmt definitiv. Norweger und Deutsche sind sich sehr ähnlich in ihrer Mentalität. Sehr zurückhaltend in der Regel, freundlich. In Italien und Frankreich gibt es dagegen sehr viel Testosteron an den Tischen. Die Mentalität beeinflusst die Art, wie wir spielen. Es gibt sehr gute Spieler, die das kontrollieren können. Die schlechten Spieler werden das aber nicht schaffen.
Ich schaue in meine Karten und sehe zwei Zehnen. "Raise", sage ich, "Reraise", sagt Eskeland. Meine Chips wandern in die Mitte, er dreht Damen um. Auf dem Turn bekomme ich die Chance auf die Straße. Doch auf dem River löst sich die letzte Chance in Luft auf. Er hat seinen Sieg, aber er gibt mir eine Revanche. Entweder er ist wirklich so nett oder er findet meine Fragen schön leicht. Das können wir gern ändern.
Sigurd Eskeland über die Unmöglichkeit, der Beste zu werden, das Muss, besser zu werden und den Beruf des Grundschullehrers. Dazu das Video der Woche mit einem verdutzten Phil Hellmuth.
König: Sie haben ja jetzt alles erreicht.
Eskeland: Was habe ich denn erreicht? Ich habe ein Bracelet im 8-Game, aber noch keine großen Erfolge im No Limit Hold'em. Ich will der Beste werden, oder anders: Ich will versuchen, so gut wie möglich zu werden.
König: Weil man nicht der Beste werden kann?
Eskeland: Man kann sich im Poker immer verbessern, selbst die vermeintlich Besten können das, wenn sie wollen. Ich habe ein Ziel erreicht: das Bracelet. Es war eher ein Traum. Nun ist es mein Ziel, das nächste Bracelet zu gewinnen und weiterzukommen. Aber ich will, dass es mehr als ein Ziel ist, es soll ein Muss werden.
König: Ein Muss - muss das wirklich sein?
Eskeland: Es kommt auf das Ziel an. Wenn das Ziel ist, so gut wie möglich zu werden, dann sage ich: Ja. Einen Turniersieg kann ich nicht zu einem Muss machen, das liegt nicht in meiner Hand. Dort kann ich nur so gut wie möglich spielen.
Das zweite Heads-up läuft wesentlich besser. Ich habe den Weltmeister schon dreimal geblufft, einmal hat er mich erwischt. Ich liege trotzdem mit etwa 12.000 zu 8000 Chips vorn. Trotzdem ist es nicht so einfach, gute Fragen zu stellen und gleichzeitig gut zu spielen. Zum Glück geht es nicht nur mir so.
Eskeland: Ich hatte zwei Paare, aber ich glaube, Sie haben die Straße. Oder war das wieder ein Bluff?
König: A) Nein. B) Ja. Was hat die Frau eigentlich zum Pokerprojekt gesagt?
Eskeland: Sie kannte mich ja schon als jemanden, der "Magic the Gathering" semiprofessionell gespielt hat und viel unterwegs war. Die Person, in die sie sich verliebt hat, war jemand, der Spiele mag. Sie hat es immer toleriert, weil ich nie Geld verspielt habe. Die einzige Sache, die sie hasst, ist, wenn ich am Rechner sitze und wir etwas zu bereden haben. Das ist nicht gut. Generell ist sie aber zufrieden. Ich bin jetzt ausgeglichener und zufriedener, was mich auch zu einem besseren Ehemann macht.
König: Sind Sie eigentlich traurig, erst mal nicht mehr als Lehrer zu arbeiten?
Eskeland: Die Kleinen sind großartige Kids. Ich mag den Job, du bist die wichtigste Bezugsperson im Leben der Kinder, nach ihren Eltern. Es ist nicht nur das Lernen, es geht auch um das Vermitteln von Werten. Wie es ist, sich in einer Gruppe zu verhalten, nett zum anderen zu sein. Andere zu respektieren. Außerdem ist es eine Arbeit, die nicht langweilig ist.
König: Der Titel bei der World Series of Poker - es heißt, Sie wollten erst gar nicht antreten?
Eskeland: Richtig. Ich dachte, ich wäre vielleicht nicht gut genug. Als ich mich hinsetzte, habe ich dann schnell gemerkt, dass auch die wirklich großen Spieler nicht viel besser waren als ich. Ich hatte ein bisschen Glück, aber das braucht man für einen Turniersieg.
König: Das Turnier dauerte drei Tage.
Eskeland: Zweimal zwölf Stunden und einmal 15 Stunden. Ich war sehr konzentriert während der gesamten Zeit, habe aber nie wirklich daran gedacht, gewinnen zu können. Bis plötzlich nur noch fünf Leute am Tisch saßen.
König: Ihr Stil ist eher zurückhaltend. Wie lange dauert es, seinen eigenen Stil zu finden?
Eskeland: Man muss einen Stil finden, der zu einem passt. Ich möchte zwar gern alle Stile beherrschen, aber immer wenn ich mal versucht habe, so aggressiv zu spielen wie Gus Hansen, hat es nicht funktioniert. Ich weiß nicht warum, möglicherweise liegt es an der Persönlichkeit. Ich spiele wie ich bin: Konzentriert, sorgfältig - aber immer auch in der Lage, verrückte Sachen zu machen.
Der Chipstapel des Meisters ist merklich geschrumpft. Irgendwie auch eine verrückte Sache. Ich bekomme wieder Pocket-Zehnen. Raise, Reraise, das alte Spiel. Wenn er jetzt wieder Damen zeigt werde ich die Fassade der Spielbank aus eigener Tasche sanieren. Er zeigt Neunen. Mein Handschlag nach dem River muss sich ziemlich feucht anfühlen, denke ich. Zeit für die letzten Fragen.
König: Turniere gehen an die Substanz. Wie bereitet man sich seriös auf einen tagelangen Marathon vor?
Eskeland: Ich trainiere viel, laufe. Sehr wichtig ist auch genug Schlaf. Ich hatte damit früher Probleme, ich konnte manchmal nur vier Stunden schlafen. Es war dann schwer, sich noch zu konzentrieren. Ich nehme jetzt Melatonin, ein Mittel, das eigentlich gegen Jetlag helfen soll. In den USA gibt es das ohne Rezept, in Norwegen mit. Ich decke mich am morgen außerdem mit Früchten ein, schweres Essen macht müde. Ich habe Fleisch radikal reduziert, das hat aber auch mit der veränderten mentalen Vorbereitung zu tun.
König: Welche mentale Vorbereitung?
Eskeland: Ich habe früher Turniere gespielt, ohne wirklich einen Plan zu haben. Ich nenne das "falsches Mindset". Heute würde ich einen guten Motivationscoach abgeben. "Get ready! Focus! Ich werde gut spielen! Ich werde keine großen Bluffs am ersten Tag machen." Die mentale Balance ist wichtig. Wer im Leben "auf Tilt" ist, ist es auch beim Pokern. Wenn du zu glücklich bist oder zu traurig, beeinflusst das dein Spiel. So sind wir alle!
Die Zeit ist rum. Ich bin glücklich, aber nicht zu. Ich hatte das Glück, das man braucht, um den Pokerweltmeister einmal zu schlagen. Er sieht nicht traurig aus. Er wird in den nächsten Jahren noch viel besser werden. Weil er kann. Ich werde auch besser werden. Weil ich muss.