Radsport im Sumpf Die WM der Amateure
Es war wohl der frostigste Händedruck, der je bei der Siegehrung einer Rad-WM ausgetauscht wurde. Als Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster dem neuen und alten Weltmeister Paolo Bettini gratulierte, da würdigte ihn der italienische Champion nicht eines Blickes. Schuster wiederum zog seine Hand so schnell zurück, als habe Bettini eine ansteckende Krankheit.
Die absurde Szene war das passende Ende einer Weltmeisterschaft, die in ein wildes Hauen und Stechen ausartete, aus dem keiner der Beteiligten ohne Blessuren davonkommen wird. Gestern aber durfte Bettini nach Herzenslust triumphieren. Die ganze Woche über hatte die Stadt Stuttgart als Veranstalter versucht, den 33-Jährigen loszuwerden, der als einziger WM-Teilnehmer nicht die komplette Ehrenerklärung des Weltverbandes UCI unterschreiben wollte und vom einstigen T-Mobile-Profi Patrik Sinkewitz als Dopingschmuggler beschuldigt wurde.
Und dann hängte dieser kleine Mann mit dem Glatzkopf, der rein äußerlich ein bisschen an den verstorbenen Marco Pantani erinnert, auf der Zielgeraden eiskalt Lokalmatador Stefan Schumacher ab, den OB Schuster nur zu gerne als Sieger geherzt hätte. Aber soviel Glück hätte der CDU-Politiker auch nicht verdient gehabt. Stattdessen musste er sich auf der Pressekonferenz nach dem Rennen noch verhöhnen lassen, als Bettini süffisant anmerkte, dass er ohne die Querelen wohl nicht gewonnen hätte: "Ich glaube, sonst wäre es zu leicht gewesen. Wir Italiener können diesen Druck gut nutzen, um ihn in eine enorme Motivation zu verwandeln." Das saß.
Dann erwähnte der Träger des Regenbogentrikots, der sich nun sowieso alles erlauben konnte, wie wichtig es gewesen sei, dass Danilo di Luca ihm vom Hotelzimmer aus die Daumen gedrückt habe. Zur Erinnerung: Der italienische Verband hatte di Luca wegen schweren Dopingverdachts nicht starten lassen. Schließlich attackierte Bettini noch seine Gegner als "Leute, die keine Ahnung vom Radsport haben und nur aus wirtschaftlichen Motiven von Zeit zu Zeit dort auftauchen", und drohte alle mit Klagen zu überziehen, die ihn in Verbindung mit Doping brächten, ohne einen Beweis dafür zu haben.
Bettini ein "prächtiger Champion"
Man kennt diese Sprachregelung bei Radprofis: Bettini hat bisher nicht einmal gesagt, er sei unschuldig oder habe nie gedopt. Es gibt eben nur keine Beweise. Neben diesem Weltmeister saß UCI-Präsident Pat McQuaid, rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her und befand mit gerötetem Kopf, dass es "ein tolles Rennen mit großartigen Zuschauern" gewesen sei und Bettini ein "prächtiger Champion" sei. Welch ein Hohn.
Das Gezerre um den Weltmeister machte bis zum bitteren Ende im Tagungssaal XII des Messezentrums auf dem Stuttgarter Killesberg einmal mehr deutlich, in den Händen welcher Amateure sich die WM und große Teile des Profiradsports befinden. Da gibt es die UCI, die monatelang ihre sogenannten Ehrenerklärungen als Rettung des Sports zu preisen, um dann kleinlaut zu erklären, dass es nicht die geringste Konsequenz nach sich zieht, wenn ein Fahrer den juristisch ohnehin wertlosen Wisch nicht unterzeichnet. Man darf sehr gespannt sein, wie die UCI mithilfe der lustigen Zettelchen die Millionengehälter von überführten Dopern wie Alexander Winokurow eintreiben will.
UCI-Präsident McQuaid, auch das zeigte die vergangene Woche, ist eine Witzfigur, ein Grüßaugust, der sich freut, wenn er den Fahrern vor einem Rennen die Hand schütteln darf und ihnen danach die Medaillen umhängt. Früher mag das als Qualifikation für sein Amt gereicht haben, im Kampf gegen Doping gehen dem Iren jegliches Durchsetzungsvermögen und vermutlich auch der rechte Wille ab. Rudolf Scharping, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, hat im Gegensatz zu McQuaid zumindest gewisse Fähigkeiten zur Führung komplexer Organisationen aufzuweisen, aber es fehlen ihm ein Plan und mittlerweile auch die Reputation, um nachhaltige Veränderungen vorzunehmen.
Nach der WM-Farce von Stuttgart ist endgültig jedem Beobachter klar, dass der Radsport von Leuten dirigiert wird, die nicht mehr sind als professionelle Fans, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. Wer ernsthaft versuchen will, dieser Disziplin in Sachen Doping eine Wende zu geben, sollte konsequenterweise nicht mehr mit UCI oder BDR zusammenarbeiten.
Die Stadt Stuttgart, neben OB Schuster repräsentiert von der Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann, fiel allerdings auch erst sehr spät auf, dass man gemeinsam mit diesen Verbänden zwangsläufig im Fegefeuer der öffentlichen Häme und im sportlichen Volldebakel landet. Dabei war der zweifelhafte Ruf von UCI und BDR schon lange bekannt - ebenso übrigens wie jener der Ex-Weltmeister Rudi Altig und Gianni Bugno (Italien), die beide in ihrer Karriere Dopingmittel genutzt haben. Trotzdem wurden sie als WM-Botschafter rekrutiert und erst dann hastig von ihren Posten abgesägt, als das Thema Doping immer schärfer diskutiert wurde.
Der von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuch, Bettini per Einstweiliger Verfügung zu stoppen, zeigt zudem, dass es Eisenmann und Schuster vor allem darum ging, populistisch zu handeln. Die wechselseitigen Schadensersatzklagen zwischen Bettini, der Stadt und dem UCI werden dafür sorgen, dass diese WM lange in Erinnerung bleibt. Manche Blamage steht noch aus.
Wie ernst es der Stadt Stuttgart mit ihrem eisenmannharten Antidoping-Kurs ist, wird sich bei künftigen Veranstaltungen zeigen. Am Dienstag gastiert der der FC Barcelona in der Champions League beim VfB Stuttgart. Der Radprofi Jesus Manzano hat ausgesagt, dass auch die Barça-Kicker zu den Kunden des Blutmischers Eufemiano Fuentes zählen - was nebenbei auch Fuentes in einem später zurückgezogenen Interview erklärt hat. Mehr als die inoffizielle Aussage eines früheren Radprofis lag auch gegen Bettini nicht vor, sieht man von der ohnehin nicht relevanten Ehrenerklärung einmal ab. Ob die Stadt Stuttgart nun wohl versuchen wird, die Austragung des Spieles zu stoppen? Oder ein BKA-Beamter Ronaldinho nach seinen merkwürdigen Leistungsschwankungen fragt? Fragen darf man ja mal.