Rallye Dakar in Saudi-Arabien Waschgang in der Wüste

Daniel Nosiglia Jager auf dem ersten Streckenabschnitt
Foto: Hamad I Mohammed / REUTERSWorum geht es?
In Saudi-Arabien startet am Sonntag die Rallye Dakar. Das Motorsportereignis, dessen Strecke ursprünglich von Paris in die Hauptstadt des Senegal führte, hatte in den vergangenen Jahren in Südamerika stattgefunden. Die Rallye ist die jüngste einer Vielzahl von Sportveranstaltungen, die in dem Königreich stattfinden. An dem neuen Gastgeber gibt es allerdings Kritik von Menschenrechtsorganisationen.
Warum holt Saudi-Arabien Sportevents ins Land?
Es verfolgt mehrere Ziele. Unter der "Vision 2030 " hat das Königshaus unter Leitung des Kronprinzen Mohammed bin Salman eine Reihe von Modernisierungen auf den Weg gebracht, um das Land unabhängiger vom Öl zu machen und die Wirtschaft zu diversifizieren. Die Förderung des Sports ist ein wichtiger Teil davon. Die Bürger des Landes sollen sich mehr bewegen - und Saudi-Arabien näher an die Weltgemeinschaft rücken. Das Königreich hofft zudem, vermehrt Spitzensportler hervorzubringen und so bei Olympischen Spielen Erfolge zu feiern, wie es in dem Programm heißt . Kritiker sprechen angesichts dieser Pläne von "Sportswashing".
Was ist "Sportswashing"?
Es ist der Versuch, das eigene Ansehen mithilfe des positiven Images des Sports aufzuwerten. Aufmerksamkeit, Zustimmung und Begeisterung für Sportevents sollen sich auf den Ausrichter übertragen, sagt Politikwissenschaftler Jürgen Mittag von der Sporthochschule Köln . "Sie beabsichtigen, die Strahlkraft des Sports auf sich zu ziehen."
Vor der Rallye Dakar waren zahlreiche hochkarätige Sportveranstaltungen in Saudi-Arabien zu Gast. Der Weltmeisterschaftsboxkampf im Schwergewicht zwischen dem Briten Anthony Joshua und dem US-Amerikaner Andy Ruiz etwa. Oder der italienische Fußball-Supercup 2018 zwischen Juventus und der AC Mailand. Aber auch Schach-Wettkämpfe, Wrestling-Veranstaltungen, die Formel E, oder auch Golf- und Tennisturniere. Im Januar steigt zudem das Finale des spanischen Fußball-Supercups, für das sich der FC Barcelona, Real Madrid, FC Valencia und Atlético Madrid qualifiziert haben.
Ist das ein neues Phänomen?
Nein. Der Ausdruck "Sportswashing" ist in diesem Zusammenhang zwar relativ neu, aber das damit beschriebene Muster nicht. Früher nutzte man Begriffe wie Sportdiplomatie und Softpower. Viele Länder haben in der Vergangenheit auf das positive Image des Sports gesetzt. China holte die Olympischen Sommerspiele 2008 nach Peking, Russland die Fußballweltmeisterschaft 2018. Besonders ehrgeizig geht Katar vor, ein regionaler Konkurrent Saudi-Arabiens . Dort fand 2019 die Leichtathletik-Weltmeisterschaft statt, 2022 folgt die Fußball-WM. Zudem gab es zahlreiche kleinere Sportveranstaltungen.
Auch westliche Nationen wie Deutschland setzen gezielt auf den Sport. Die WM 2006 "zu Gast bei Freunden" vermittelte der Weltgemeinschaft das Bild eines fröhlichen, weltoffenen Deutschlands. Auch die politischen Anführer hierzulande suchen Nähe zu Sportlern. Angela Merkel oder Helmut Kohl ließen sich in der Kabine der Fußball-Nationalmannschaft ablichten, und Gerhard Schröder kickte im Kanzleramt mit Pelé.
Welche Gefahren gibt es beim Sportswashing für die Ausrichter?
Die Ausrichtung eines sportlichen Großereignisses rückt das Land in den Fokus. Das bedeutet aber auch, dass Probleme mehr Aufmerksamkeit erhalten. In China war es die Luftverschmutzung, in Katar die Lage der ausländischen Arbeiter auf den WM-Baustellen. Gegen das Formel-1-Rennen in Bahrain gab es Kritik der ansässigen Bevölkerung. "Sport ist auch immer Projektionsfläche für Protest", sagt Politikwissenschaftler Mittag.
Wie ist die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien?
Saudi-Arabien ist eine Erbmonarchie mit wenig Mitspracherecht der Bevölkerung - trotz der Reformen. Kritiker des Königshauses müssen laut " Amnesty International" mit Verhaftungen ohne Anklage und Gerichtsverfahren rechnen. Die Organisation kritisiert den Krieg im Jemen, die Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern, Bloggern, Journalisten, Reformern und Universitätsprofessoren. Zudem Hinrichtungen (2018 waren es 149) und weitere "grausame, unmenschliche und erniedrigende" Strafen: Amputationen, Auspeitschungen, Folter, Misshandlung und sexualisierte Gewalt in Gefängnissen.
In der Ostregion werden laut "Amnesty" zudem Schiiten religiös diskriminiert und von staatlichen Leistungen ausgeschlossen. "Human Rights Watch" kritisiert die mangelnde Pressefreiheit und verweist auf die Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im Istanbuler Konsulat Saudi-Arabiens. "Das hat ein klares Signal an die Journalisten in und außerhalb des Landes gesendet: Kritik wird nicht toleriert", sagt Minky Worden von "Human Rights Watch" .

Box-Schwergewichtsweltmeister Anthony Joshua (r.), Prinz Khalid Bin Abdulaziz Al Saud (l.)
Foto: Richard Heathcote/Getty ImagesWelche Reformen gab es in letzter Zeit?
Die meisten Neuerungen betreffen vor allem Frauen. Diese dürfen nun dem Gesetz nach Auto fahren, sie können selbst Pässe beantragen, reisen, in Sportstadien oder in Restaurants gehen. Auch die Religionspolizei tritt laut "Amnesty" nicht mehr im Alltag auf. Allerdings macht die Organisation eine wichtige Einschränkung: Das männliche Vormundschaftssystem ist immer noch in Kraft. "Trotz aller Reformen sind Frauen ihr Leben lang nicht voll geschäftsfähig", sagt Nahostexpertin Regina Spöttl . Sie dürfen sich nicht ohne Zustimmung des Vaters, des Bruders, oder des Sohnes für ein Studium oder für eine ärztliche Behandlung entscheiden.
Welche Verantwortung tragen Sportverbände?
Die Verbände, die mehrheitlich in der westlichen Welt sitzen, haben seit der Jahrtausendwende in verstärktem Maße Sportveranstaltungen in sogenannte Schwellenländer vergeben. Weil es in westlichen Demokratien vermehrt Widerstand gegen Korruption, Knebelverträge und Gigantismus gibt (in Deutschland scheiterten mehrere Versuche, sich für Olympische Spiele zu bewerben, an Volksentscheiden). Zum anderen will man neue Märkte und Publikumsfelder erschließen, sagt Politikexperte Mittag.
"Wir appellieren an Sportverbände und Vereine, ihren Einfluss geltend zu machen und Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren", sagt Spöttl von "Amnesty": "Sie sollten, möglichst auch in Verträgen, festlegen: Die Menschenrechte müssen geachtet werden." Ebenso wie "Amnesty" ist auch "Human Rights Watch" gegen einen Boykott von Sportveranstaltungen in Saudi-Arabien: "Wir wollen, dass sie diese Events nutzen, um ihre eigenen Menschenrechte und die anderer einzufordern", sagt Worden.
Die Veranstalter der Rallye haben sich bereits zu dem Thema geäußert: "Wir haben ein wenig überlegt", sagte Dakar-Chef David Castera der französischen Nachrichtenagentur AFP: "Aber das Land hat uns viel zugesichert und wir wissen, dass der Wunsch zur Öffnung besteht."
Wie sollen sich die Sportler verhalten?
Für die Sportler ist die Sache schwieriger als für die Verbände. Sie unterliegen oftmals starken finanziellen Zwängen. Dennoch hoffen Menschenrechtsorganisationen auf mündige Athleten: "Wir würden es sehr begrüßen, wenn Sportler die Augen und Ohren offen halten und öffentlich Stellung nehmen, wenn sie etwas sehen, das im Argen liegt", sagt Spöttl.
"Human Rights Watch" hofft bei der Rallye Dakar auf die weiblichen Fahrer. Der Fall der Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, die unter anderem gegen das Autofahrverbot für Frauen gekämpft hatte und derzeit in Haft ist, sollte Motorsportathletinnen auf die Barrikaden treiben. "Die Rennfahrerinnen sollten einfordern, dass die Frauen, die für diese Rechte in Saudi-Arabien gekämpft haben, freigelassen werden", sagt Worden.