England im Rugby-WM-Finale Ausgerechnet ein Australier
Englands Rugbyteam steht erstmals seit zwölf Jahren in einem WM-Finale. Der erste ausländische Trainer überhaupt gab dem verunsicherten Mutterland sein Selbstvertrauen zurück.
Rugby wurde in England erfunden. Einen Höhepunkt in der fast 200-jährigen Geschichte auszumachen, ist demnach fast unmöglich. Einfacher fällt es, einen Tiefpunkt zu bestimmen. 2015 schied die englische Rugby-Nationalmannschaft erstmals in der Vorrunde einer WM aus. Besonders dramatisch: Es war ein Turnier im eigenen Land, bei dem England im legendären Londoner Twickenham Stadium gegen Wales und Australien verlor. Das Mutterland war erschüttert.
Die Geschichte vom Ende des damaligen Nationaltrainers Stuart Lancaster ist der Beginn der Geschichte des ersten Nichtengländers auf dieser Position. Ausgerechnet der Australier Eddie Jones sollte dem Rugbygiganten wieder aufhelfen. Die Rugby-Rivalität zwischen England und Australien besteht seit 1909, bei sieben der insgesamt acht Weltmeisterschaften trafen beide Teams aufeinander. So auch bei dieser WM, als England die Australier im Viertelfinale schlug.
Einen kleinen Teil der Rivalität hat Jones mitgeprägt, 2003 verlor er als Cheftrainer der australischen "Wallabies" das WM-Finale gegen England. Als Co-Trainer der südafrikanischen "Springboks" gelang ihm im Finale 2007 die Revanche. Jones war in England durchaus bekannt.
Nach der katastrophalen Vorrunde 2015 baute Jones ein neues Team auf und führte es nur vier Monate nach seiner Berufung zum Grand Slam beim Six-Nations-Turnier, England gewann erstmals seit 13 Jahren alle fünf Spiele. Bis zum WM-Start 2019 formte er ein Team voll junger Spieler, wie die beiden Flügelspieler Sam Underhill und Tom Curry. Das fand so gut zusammen, dass England an diesem Samstag (10 Uhr; TV: ProsiebenMaxx; Alle Ergebnisse und Informationen lesen Sie hier) im WM-Finale gegen Südafrika der Favorit ist.
Ein Spiel mit Geschichte
Für Jones und England ist es ein Spiel gegen die Vergangenheit. Obwohl nur im zweiten Glied bei Südafrikas Triumph vor zwölf Jahren, wurde Jones' Berufung zum Co-Trainer nach dem Turnier als "Meisterstück" gefeiert. Ähnlich dürfte sein Engagement für England bezeichnet werden, sollte er in diesem Jahr den Titel holen.
Dass die Chancen nicht schlecht stehen, hängt unmittelbar mit der Art zusammen, wie Jones Rugby spielen lässt. Bereits als Aktiver stand man besser auf der Seite des heute 59-Jährigen, sagte sein ehemaliger Gegenspieler Lance Walker dem "Telegraph". "Gegen Eddie zu spielen, war wie von einer lästigen Fliege geplagt zu werden, immer am Summen, immer am Reden." Beeindruckende Worte eines Mannes, der den Spitznamen "Metzger" trägt.
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Jones' große Stärke als Coach ist seine Flexibilität. Zwar habe er schon immer eine genaue Vorstellung gehabt, wie er spielen wolle, sagte er dem "Guardian", "aber es kommt drauf an, welche Spieler man hat." Die großen und harten englischen Jungs passen zum kraftvollen Powerrugby, das Jones mit ihnen spielen lassen möchte. Die gleichen Stärken zeichnet auch das südafrikanische Team aus, im Finale treffen die zwei körperlich stärksten und härtesten Teams der Welt aufeinander. Der Vorteil liegt jedoch wohl bei England. Seinem Team gehöre das Feld, sagte Jones. "They own the game."
Rüge von der Mutter
England erfindet sich unter Jones nicht neu, es findet zu sich selbst. Und das erscheint gerade angesichts der heute zerrissenen Gesellschaft wichtig. Rugby biete die Chance, das englische Selbstwertgefühl zu beeinflussen, sagte Jones. "Du hast die Möglichkeit, das Leben der Menschen durch Rugby zu verändern. Das ist ein Geschenk, nicht wahr?"
Durch die bisher starke Turnierleistung sei in England "ein bisschen" Rugby-Fieber ausgebrochen, sagte Jones. Das Nationalteam habe die Chance, ein ganzes Land zu inspirieren. "Mütter sagen zu ihren Kindern, dass sie Rugby spielen sollen", sagte er.
Jones' Mutter dürfte ihrem Sohn womöglich bald das Gegenteil empfehlen. Während eines Spiels gegen Argentinien im Jahr 2017 fingen Fernsehkameras ein, wie Jones das Wort "fuck" über die Lippen glitt. Dem "Telegraph" sagte er, dass nach dem Spiel sein Handy klingelte und seine 93 Jahre alte Mutter aus Australien am anderen Ende der Leitung war. "Fluch nicht", habe sie zu ihm gesagt.
Wenn sie sich diesmal meldet, dann hofft wohl ganz England, dass es zum Gratulieren ist.