Schach-Kandidatenturnier Kreuzberger Eröffnung

Berlin steht im Zeichen des Schachsports
Foto: Lukas Schulze/ dpaSchachhauptstadt Berlin: Ab Samstag wird hier das Kandidatenturnier des Weltschachbunds Fide ausgetragen. Acht Spieler hoffen auf den Sieg (alle Partien jeweils ab 15 Uhr im Liveticker bei SPIEGEL ONLINE). Denn der Gewinner darf im November Titelverteidiger Magnus Carlsen in London zu einem Wettkampf um die Weltmeisterschaft herausfordern.
Warum die Wahl auf die deutsche Hauptstadt fiel? Berlin hat eine lange Schachgeschichte. Hier wurde 1826 mit der Berliner Schachgesellschaft der älteste heute noch existierende deutsche Schachklub gegründet. 1910 spielte der einzige deutsche Schach-Weltmeister Emanuel Lasker in Berlin zwei Wettkämpfe um den Welttitel.
Die Vergabe des Kandidatenturniers nach Berlin ist auch eine Verbeugung vor Lasker. Der promovierte Mathematiker gewann 1894 den Titel vom Österreicher Wilhelm Steinitz und verteidigte ihn in Wettkämpfen erfolgreich bis 1921, als er ihn gegen den Kubaner Raul Capablanca verlor. Mit 27 "Dienstjahren" ist Lasker in Bezug auf die "Amtszeit" Rekordweltmeister. In diesem Jahr feiert der Deutsche Schachbund den 150 Geburtstag seines einzigen Weltmeisters, der 1868 in Berlinchen (heute: Barlinek) in Westpommern geboren wurde und der als Jude Deutschland 1933 verlassen musste.
Das Kandidatenturnier 2018 findet in einem Berliner Industriedenkmal statt, dem Kühlhaus, nahe der Bahnstation Gleisdreieck im Stadtteil Kreuzberg. Anfang des 20. Jahrhunderts bildete das Haus zusammen mit einigen anderen Gebäuden den größten Kühlhauskomplex Europas.
Kein Deutscher unter den Herausforderern
Veranstalter Ilya Merenzon muss ein Faible für Industriedenkmäler haben. Das Kandidatenturnier 2016 in Moskau wurde im alten Zentralen Telegrafenamt ausgetragen, die Weltmeisterschaft im selben Jahr in der ehemaligen Fischauktionshalle im New Yorker Sea District. Merenzons Firma Agon hatte 2012 vom Weltschachbund die Vermarktungsrechte der Weltmeisterschaften gekauft.
Die acht Kandidaten für einen WM-Kampf gegen Magnus Carlsen haben sich auf unterschiedlichen Wegen für das Turnier qualifiziert. Levon Aronian aus Armenien und Chinas Ding Liren kamen als Finalisten des Fide-World-Cup nach Berlin. Dieser Wettbewerb ist ein K.o.-Turnier, das mit 128 Spielern alle zwei Jahre ausgetragen wird. Schahriyar Mamedyarow aus Aserbaidschan und der Russe Alexander Grischtschuk kamen als Beste der Fide-Grand-Prix-Turnierserie nach Berlin. Die US-Spieler Fabiano Caruana und Wesley So wurden aufgrund ihrer hohen Wertungszahl (Elo) im Jahr 2017 eingeladen. Sergey Karjakin aus Russland qualifizierte sich als Verlierer des vergangenen WM-Kampfes, und Altmeister Vladimir Kramnik erhielt eine Wildcard des Veranstalters Agon. Er war hinter Caruana und So der drittbeste Spieler nach Elo, was diese Entscheidung rechtfertigt.
In anderen Fällen wurde dem Gastgeber eines solchen Turniers oft zugestanden, einen Spieler aus dem eigenen Verband per Wildcard einzuladen. Beim Kandidatenturnier in Berlin ist aber einerseits nicht der Deutsche Schachbund der Ausrichter, sondern Agon, zudem gibt es keinen einzigen deutschen Spieler, der in diesem erstklassigen Feld wirklich mithalten könnte.
Einige der besten Spieler fehlen
Der beste Spieler des Deutschen Schachbunds, der Deutsch-Rumäne Liviu-Dieter Nisipeaunu belegt in der Weltrangliste Platz 63. Voraussetzung für eine Einladung per Wildcard sind 2725 Elopunkte - die Nisipeanu nicht hat. Am ehesten könnte so Levon Aronian die Rolle des Lokalmatadors übernehmen. Der beste Spieler Armeniens lebte mit seinen Eltern eine Zeit lang in Berlin und spielte in der Schach-Bundesliga für die Berliner Vereine Kreuzberg und Schachfreunde Berlin.
Von den derzeit weltbesten Spielern vermisst man die Namen von Maxime Vachier-Lagrave aus Frankreich, US-Spieler Hikaru Nakamura, Viswanathan Anand aus Indien und den Niederländer Anish Giri. Das Feld ist auf acht Teilnehmer begrenzt, und diese vier Top-Ten-Spieler haben keinen der möglichen Qualifikationswege geschafft. So treten also drei Russen, zwei Amerikaner, ein Chinese, ein Aserbaidschaner und ein Armenier an - was in etwa auch die Kräfteverhältnisse im Weltschach wiederspiegelt.
Einen klaren Favoriten auf den Turniersieg gibt es nicht. Jeder der acht Spieler ist in der Lage, das Turnier zu gewinnen. Aronian und Mamedyarow zeigten im vergangenen Jahr allerdings die beste Form. Mamedyarow ist derzeit hinter Carlsen die Nummer zwei in der Weltrangliste - und damit die Nummer eins der Kandidaten auf den Titelkampf gegen den norwegischen Weltmeister.