Zoff mit Norwegens Schachverband Carlsen macht Krach

Magnus Carlsen bei einem Schachturnier im Jahr 2018: Heftiger Schlag gegen den Verband
Foto: FACUNDO ARRIZABALAGA/EPA-EFE/REXDie norwegische Schachwelt könnte so schön sein: Der aktuell beste Schachspieler der Welt, Magnus Carlsen, repräsentiert das Land, er lockt millionenschwere Sponsoren an, und dadurch hätte die nächste Weltmeisterschaft in Stavanger stattfinden können. Hätte. Können.
Norwegens Schach steht so gut da wie nie zuvor - doch ausgerechnet Topstar Carlsen trägt seit Monaten einen heftigen Streit mit dem nationalen Verband NSF aus. Mit einer Pressemitteilung des NSF erreichte der Konflikt am vergangenen Freitag einen vorläufigen Höhepunkt: "Magnus Carlsen hat den norwegischen Schachverband verlassen."
Spielt Carlsen künftig für einen anderen Verband?
Sowohl der norwegische Verband als auch Carlsens Vater teilten zwar umgehend mit, der Weltmeister werde auch in Zukunft für Norwegen antreten. Um an nationalen Turnieren teilnehmen zu dürfen, müssen Spieler eigentlich Mitglied des NSF sein. Dafür erhielt Carlsen aber umgehend eine Sondergenehmigung des Verbands. Dennoch sorgte die Nachricht für erhebliches Aufsehen und führte schnell zu Spekulationen
Praktische Auswirkungen hat Carlsens Entscheidung zunächst kaum, doch die symbolische Wirkung ist immens: Gern spielt der 28-Jährige für Norwegen, aber nicht für den Verband. Für den NSF ist Carlsens Austritt ein heftiger Schlag.
Ein Schlag, zu dem Carlsen bereits im vergangenen Sommer ausgeholt hat.
Damals bahnte sich ein Millionengeschäft an: Der Glücksspielkonzern Kindred bot dem norwegischen Schachverband einen Sponsorendeal über fünf Millionen Euro für fünf Jahre an - eine große Summe im Schachsport. Widerstand gegen den Vertrag regte sich jedoch, weil sich der NSF dazu hätte verpflichten müssen, Lobbyarbeit für die Abschaffung des nationalen Glücksspielmonopols zu machen. Glücksspiele darf in Norwegen bislang nur das nationale Lotterieunternehmen Norsk Tipping organisieren.
Wie Carlsen den Sponsorendeal durchdrücken wollte
Carlsen befürwortete den Sponsorendeal öffentlich, merkte aber bald, dass der Widerstand im Verband zu groß sein würde. Also ließ sich der Stratege etwas einfallen: Carlsen gründete seinen eigenen Verein, um Macht im NSF zu gewinnen. Den ersten 1000 Interessenten versprach er eine gratis Mitgliedschaft. Der bis dato größte Schachverein hatte nur 200, der gesamte norwegische Schachverband 4000 Mitglieder.
Mit der neuen Macht seines Vereins Offerspill SK (Opferspiel SK) wollte Carlsen auf dem NSF-Kongress im Juli den Kindred-Deal durchdrücken. Die neuen Mitglieder freuten sich über die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Wahl. Andere Klubs waren verärgert. So sagte Eirik Gullaksen, Vorsitzender des Schachvereins von Bergen, laut norwegischem Rundfunk NRK, Carlsen versuche, "den demokratischen Prozess im Schachverband zu lähmen". Viele Verbandsmitglieder wandten sich wegen Carlsens Trickserei gegen den Sponsorendeal.
Und als wäre dieser Ärger nicht genug gewesen, machte sich der Schachverband bei Carlsen auch noch unbeliebt, weil er sich mit der Stadt Stavanger für die Austragung der WM 2020 bewerben wollte - offenbar ohne das mit dem Weltmeister abzuklären. "Im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten bietet ein WM-Kampf im eigenen Land für Magnus absolut keinen Vorteil", schrieb Carlsens Vater Henrik. Der Druck zu Hause würde seinem Sohn zu groß sein.
So bat Carlsen den Verband, die Bewerbung zurückzuziehen. Die Organisatoren sahen dadurch "keinen Sinn mehr darin", die WM nach Norwegen zu holen und kamen dem Wunsch des Weltmeisters nach.
Wenige Tage später wurde dann auch der Sponsorendeal mit Kindred abgelehnt - mit 132:44 Stimmen.
Dem Verband entwachsen
Schlechte Kommunikation, gekränkte Eitelkeit und - aus Sicht von Carlsen - verlorenes Geld: Die Beziehung zwischen Norwegens Schachverband und seinem Star ist in den vergangenen Monaten zerbrochen. Das äußerte sich auch darin, dass Carlsen die Jugendarbeit des Verbandes öffentlich kritisierte: "Auf ehrgeizige junge Spieler ist der Verband nicht eingestellt." Das habe er selbst in der Jugend erfahren müssen. Ihn unterstützte vor allem seine Familie. Der letzte Schritt in dem Konflikt ist der nun erfolgte Austritt aus dem Verband.
Was Carlsen am NSF kritisiert, will er in seinem eigenen Verein umsetzen: Er will Geld investieren und die Jugend fördern. Er nimmt sich Zeit, um online mit Vereinskollegen zu spielen und setzte sich sogar selbst für seinen Klub in der zweiten Liga ans Brett.
Carlsen ist dem norwegischen Schachverband entwachsen. Er ist der Star des Sports, er braucht den NSF nicht zwingend. Umgekehrt sieht das anders aus: Der Verband braucht Carlsen als Botschafter und Werbefigur. Deswegen erteilte man auch die Sondergenehmigung für die Spielerlaubnis.
Man wolle Carlsen aber wieder als offizielles Mitglied zurückgewinnen, sagte Verbandspräsident Morten Madsen dem "Dagbladet". Unklar bleibt, wie das gelingen soll.