
Schach-WM 2016: 16 Stellungen aus 16 Partien
Schach-WM Carlsen vs. Karjakin - alle Duelle in der Analyse
Viele feiern ihren Geburtstag gerne mit Freunden, schmeißen eine Party oder gehen vielleicht mit der Familie in ein gutes Restaurant. Als Schachweltmeister kann man es sich aber manchmal nicht aussuchen. Magnus Carlsen verbrachte seinen 26. Geburtstag am Schachbrett. Carlsen musste seinen Weltmeistertitel noch in einem Stichkampf gegen seinen gleichaltrigen russischen Herausforderer Sergei Karjakin verteidigen.
Nach den zwölf regulären Wettkampfpartien stand es nämlich 6:6. Beide Spieler hatten je eine Partie gewonnen, zehn Partien endeten remis. Dass es zu dieser Verlängerung kam, war vor allem Carlsens eigene Schuld. Er war als klarer Favorit in diesen WM-Kampf gegangen. Der Weltranglistenerste spielte gegen den Weltranglistensechsten, mit einem Unterschied von 75 Elopunkten. Das ist eine Menge und bedeutet statistisch eine Chancenverteilung von 60:40 zugunsten von Carlsen.
Sowohl in der ersten Partie (zum Nachspielen) wie auch in der zweiten Partie (zum Nachspielen) tasteten sich die Kontrahenten noch ab. Dafür ging es in der dritten Partie zur Sache. Das Match (zum Nachspielen) wäre aus Carlsens Sicht wohl völlig "normal" gelaufen, wenn er seine Gewinnstellung in dieser Partie auch in einen Sieg umgesetzt hätte. Aber nach einer Ungenauigkeit entging Karjakin doch noch der Niederlage. Auch in der vierten Partie erarbeitete Carlsen sich einen entscheidenden Vorteil. Mit einem unbedachten Zug erlaubte der Norweger seinem Gegner jedoch, eine Festung aufzubauen. Eindringen unmöglich. Daran hatte Carlsen in der Partie (zum Nachspielen) nicht gedacht, gab er freimütig in der Pressekonferenz zu. Statt 3:1 stand es also 2:2.

Schach-WM 2016: 16 Stellungen aus 16 Partien
Zwei Riesenchancen, beide vergeben. Carlsen wurde ungeduldig und wollte nun mit der Brechstange zum Erfolg kommen. In der fünften Partie holte der Weltmeister zwar mit Weiß weder in der Eröffnung noch im Mittelspiel irgendeinen Vorteil heraus, versuchte aber weiter, gewaltsam zum Erfolg zu kommen - und übertrieb es schließlich. Er hatte Glück, dass Karjakin, der zunächst mit einem Bauernopfer seinen Konter richtig einleitete, dann seinen Angriff nicht präzise fortsetzte. Sonst hätte Carlsen vielleicht schon die fünfte Partie (zum Nachspielen) verloren. In der sechsten Partie mündete Carlsens Eröffnungsvorbereitung mit den schwarzen Steinen in ein schnelles Remis (zum Nachspielen).
Die zweite Hälfte der Partien eröffnete Karjakin mit den weißen Steinen und probierte nun einmal den Zug 1.d4 aus. Ein Schuss, der fast nach hinten losging, denn Carlsen erreichte mit einem eigentlich gut bekannten Zugumstellungstrick eine sehr angenehme Stellung. Nach einer Unachtsamkeit glitt ihm die zwar gleich wieder aus den Händen, aber es reichte zum Remis (zum Nachspielen).
Die Katastrophe ereignete sich für den Titelverteidiger dann in der achten Partie. Diesmal setzte Carlsen sein Brecheisen noch wütender ein und wurde nun auch bestraft. In einer dramatischen Zeitnotschlacht mit beiderseitigen Fehlern musste Carlsen am Ende die erste Niederlage quittieren (zum Nachspielen). 4,5:3,5 für Karjakin und nur noch vier Partien zu spielen. Langsam wurde es eng für den Weltmeister. Für die neunte Partie hatte Carlsen eine Gambitvariante vorbereitet, gab einen Bauern für aktives Spiel. Doch Karjakin blieb unbeeindruckt. Carlsens Angriffsversuche prallten an ihm ab, und wieder hatte Carlsen Glück. Er wandelte am Abgrund, denn Karjakin verpasste eine gute Möglichkeit, die ihm ausgezeichnete Gewinnchancen eröffnet hätte (zum Nachspielen).
Hätte Karjakin diese Partie gewonnen, wäre es für Carlsen wohl das Aus gewesen. Zu den bisher 16 Weltmeistern wäre ein 17. hinzugekommen. So hatte der Titelverteidiger immerhin noch drei Partien, um den Ausgleich zu schaffen und sich in die Verlängerung zu retten. Auch in der zehnten Partie meinte die Schachgöttin Caissa es gut mit Carlsen. Der Weltmeister legte seine Partie mit Weiß erneut ehrgeizig an - das musste er bei eigenem Rückstand ja auch - und hatte dann das Glück, dass Karjakin eine mögliche Remisabwicklung nicht richtig einschätzte (zum Nachspielen).
Der Herausforderer ließ die Chance verstreichen, wickelte in ein Endspiel ab, und endlich, endlich konnte Carlsen seine Qualitäten ausspielen, gewann die Partie auf überzeugende Weise und glich aus. In der elften Partie entwickelte Carlsen mit Schwarz noch ein paar taktische Ablenkungsmanöver, doch Karjakin behielt den Durchblick und forcierte die Punkteteilung (zum Nachspielen). Partie zwölf, für die die Zuschauer in New York 200 Dollar Eintritt zu zahlen hatten, war dann eine blutleere Nullnummer. Die Spieler waren ausgepowert und dachten schon an die Verlängerung (zum Nachspielen).
Der Stichkampf
Bei den Weltmeisterschaftsmatches neueren Datums werden die Stichkämpfe zunächst über vier Schnellschachpartien mit 25 Minuten Grundbedenkzeit und zehn Sekunden Zugabe pro Zug gespielt. Der Tiebreak begann als Spiegelbild des vorherigen Matchverlaufs. Vorsichtiger Auftakt, die erste Rapidpartie, die Karjakin mit Weiß begann, endete ohne Aufregung remis. In der zweiten Schnellschachpartie gab Carlsen Gas, spielte doppelt so schnell wie sein Gegner und erreichte eine Gewinnstellung. Aber wieder verpasste er den entscheidenden Schlag und wickelte stattdessen in ein nur etwas noch besseres Endspiel ab. Auch dort gab es noch eine versteckte Gewinnchance, die Carlsen bei knapper Bedenkzeit aber ebenfalls verpasste.
Karjakin wieder im Glück, für Carlsen enttäuschend. In der dritten Schnellschachpartie übernahm Carlsen, jetzt wieder mit Schwarz spielend, erneut die Initiative, brachte ein hübsches positionelles Bauernopfer und stand mit seinen Figuren überlegen, zudem wieder mit deutlich mehr Zeit auf der Uhr. Als es fast so aussah, als ob Karjakin auch hier noch auf wundersame Weise überleben würde, schoss der Russe plötzlich seinen größten Bock im ganzen Match. In einem krassen Fall von Schachblindheit brach er unter dem Dauerdruck zusammen und warf die Partie einzügig weg. Carlsen ging mit 2:1 in Führung. Noch eine Partie zu spielen.
Rollentausch: Jetzt musste Karjakin, auch noch mit Schwarz, gewinnen. In der vierten und letzten Schnellschachpartie gab es nach Carlsens 1.e4 erstmals die Sizilianische Verteidigung zu sehen. Aber der Weltmeister ließ nichts mehr anbrennen und konterte Karjakin schließlich mit einer hübschen Mattkombination aus.
Karjakin war in diesem Match ausgezeichnet vorbereitet, besonders in psychologischer Hinsicht. Oft überließ er dem Weltmeister die Partieführung, war aber in der Defensive fast immer auf der Höhe und setzte sofort gefährliche Konter, wenn Carlsen sich zu weit aus dem Fenster lehnte.
Aber was war mit Carlsen los? Sein Repertoire mit Schwarz war in Ordnung, aber das Weißspiel des Norwegers war wenig überzeugend. Meist spielte der Weltmeister 1.e4, erreichte aber in der Eröffnungsphase nichts gegen Karjakins 1.e5. Seine zwei Versuche mit 1.d4 überzeugten auch nicht, eine der beiden Partien verlor er. Man weiß, dass Carlsen eher auf sein besseres Schachverständnis im Mittelspiel und im Endspiel vertraut. Dies konnte er auch gegen Karjakin in die Waagschale werfen, aber er ließ zu viele Chancen liegen, war unkonzentriert und wurde schließlich ungeduldig. Carlsen wollte viel, aber er konnte zu wenig.
Der Stichkampf (zum Nachspielen) war eine anstrengende Party für das Geburtstagskind, aber mit einem Happy End. Am Ende eines langen Tags bleibt der Titel im Besitz des Norwegers und es gab noch ein schönes Präsent in Gestalt des Siegerschecks in Höhe von 600.000 Euro. Karjakin muss sich mit dem Scheck für den zweiten Platz trösten - "nur" 400.000 Euro. Auf der Pressekonferenz nach dem Tiebreak gratulierte er Carlsen als erstes zum Geburtstag.