Schach-WM Carlsen vs. Karjakin Aus dem Wohnwagen zum Weltmeister

Magnus Carlsen gegen Sergei Karjakin - an diesem Freitag beginnt in New York das Duell um die Schach-WM. Die Protagonisten sind sehr jung, ihr Weg an die Spitze ähnelt sich - auf den ersten Blick. Der große Vergleich.
Sergei Karjakin gegen Magnus Carlsen

Sergei Karjakin gegen Magnus Carlsen

Foto: © Vincent West / Reuters/ REUTERS

Die US-Wahl ist gerade wenige Tage vorbei, da findet in den Vereinigten Staaten schon das nächste Duell mit weltweiter Bedeutung statt. In New York beginnt an diesem Freitag (19 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) die Schach-WM - und auch wenn beide Ereignisse auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben, so gibt es doch einen Mann, der beide verbindet: Wladimir Putin. Erst siegte mit Donald Trump ein Mann, dem man eine gewisse Bewunderung für den russischen Präsidenten nachsagt. Nun tritt in New York mit Sergei Karjakin ein Mann an, der als glühender Putin-Verehrer gilt.

Und auch er ist ein Außenseiter.

Karjakin, 26, fordert im Fulton Market Building in Manhattan Weltmeister Magnus Carlsen heraus. Der Titelverteidiger aus Norwegen gilt als Schachgenie und bester Spieler der Welt. Nie zuvor trafen in einem Duell um die WM zwei so junge Großmeister aufeinander, selten waren die Parallelen zwischen beiden Protagonisten so groß. Jedenfalls auf den ersten Blick.

Denn auch wenn die jungen Männer ihr Geburtsjahr (1990) eint und beide schon früh für großes Aufsehen in der Schachwelt sorgten, so gibt es doch große Unterschiede zwischen dem Champion und seinem Herausforderer. Nicht nur sportlich.

Wie wurden die beiden zu Weltklasse-Schachspielern? Wer hat welche Vorteile im direkten Duell, welche taktischen Varianten bevorzugen die Kontrahenten? Und wer hat die besseren Chancen, den Titel zu gewinnen? Der Vergleich.

Magnus Carlsen

Magnus Carlsen

Foto: JOEL SAGET/ AFP

Der Titelverteidiger

Name: Magnus Carlsen
Land: Norwegen
Alter: 25
Elo-Punktzahl: 2853
Weltranglistenplatz: 1.

Carlsen lernte Schach mit fünf Jahren von seinem Vater, einem schachbegeisterten Klubspieler, nur: Er interessierte sich zunächst nicht besonders dafür. Irgendwann entwickelte er jedoch den Ehrgeiz, seine ältere Schwester zu schlagen. Sein großes Talent wurde schnell sichtbar, doch Norwegen ist keine klassische Schachnation, es fehlt an Förder- und Trainingsstrukturen. Carlsens Vater Henrik bat einen der wenigen norwegischen Großmeister, Simen Agdestein, um Hilfe. Der nahm an.

Die Familie kaufte ein Wohnmobil und reiste mit dem Sohn einige Zeit lang quer durch Europa von Turnier zu Turnier. Im Unterschied zu Karjakin, der schon früh Einladungen zu geschlossenen Turnieren erhielt, waren für Carlsen diese so genannten Open die erste Spielwiese, offene Turniere, bei denen sich Amateure wie Profis gleichermaßen gegen Startgebühr anmelden können. Und bei denen man auf Gewinn spielen muss, um vorne zu landen.

2003 spielte der noch recht unbekannte Carlsen schließlich ein Schnellschachturnier in Reykjavik und traf dort auf Garri Kasparow. Nur mit viel Glück entkam der ehemalige Weltmeister gegen den Youngster einer Niederlage und zeigte sich hinterher vom Talent des Norwegers sehr beeindruckt: "In der Schachfabrik Ukraine, da entwickeln sich solche Talente schon einmal. Aber in Norwegen, im Schachniemandsland, wie ist das möglich?" Wer wollte, konnte hier schon einen zukünftigen Weltmeister sehen. Das Versprechen löste Magnus Carlsen 2013 ein, als er Viswanathan Anand entthronte und nach Garri Kasparow zweitjüngster Weltmeister der Geschichte wurde.

Sergei Karjakin

Sergei Karjakin

Foto: imago/ ZUMA Press

Der Herausforderer

Name: Sergei Karjakin
Land: Russland
Alter: 26
Elo-Punktzahl: 2772
Weltranglistenplatz: 9.

Karjakin wurde 1990 auf der Krim geboren, zu dieser Zeit noch Teil der Ukrainischen Sowjetrepublik. Bald war er das größte Schachtalent der jungen unabhängigen Ukraine. Mit fünf Jahren hatte er Schach gelernt und von den noch guten Schachstrukturen des Landes profitiert. Als Elfjähriger erhielt er vom Weltschachbund schon den Titel eines Internationalen Meisters, mit zwölf Jahren wurde er jüngster Großmeister der Geschichte - ein Rekord, der bis heute gilt.

Nachdem Karjakin 2002 bei der Fide-K.o.-Weltmeisterschaft schon seinem Landsmann Ruslan Ponomarjow als Sekundant dabei half, den Titel zu gewinnen, war er auch im Westen bekannt und erhielt Einladungen zu bedeutenden Turnieren. Im Januar 2004 war Karjakin mit 14 Jahren der jüngste Spieler in der Top 20-Juniorenweltrangliste mit einer Wertungszahl von 2566 Elo.

2008 lag er als zweitbester Junior der Welt nur einen Punkt hinter Magnus Carlsen, doch von hier an zog der Norweger davon. Karjakin, der spürte, dass seine Entwicklung in der wirtschaftlich zunehmend klammen Ukraine stagnierte, wechselte 2009 kurzerhand den Verband, zog nach Moskau und spielte nun für Russland. Tatsächlich brachte der Wechsel ihn in der Folge weiter: Beim Kandidatenturnier in Moskau für die Schach-WM 2016 gewann Karjakin. Auch dort war er nicht der Favorit, ließ aber Aspiranten wie Fabiano Caruana oder Hikaru Nakamura hinter sich.

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Foto: Topical Press Agency/ Getty Images

Sportlicher Vergleich

Carlsen und Karjakin haben in ihrer Karriere ungefähr die gleiche Anzahl Partien gespielt. Partien mit langer Bedenkzeit, Schnellschachpartien und Blitzpartien zusammen ergeben für beide einen Erfahrungsschatz von über 2000 Spielen. Karjakin hat dabei etwa 130 Partien mehr auf dem Buckel. Carlsen konnte jedoch mehr Siege feiern, musste weniger Niederlagen hinnehmen und spielte weniger oft remis.

Carlsen verfügt zudem über eine größere Breite in seinem Eröffnungsrepertoire. Mit Weiß spielt er regelmäßig beide Hauptzüge 1.e4 und 1.d4, ist also "beidhändig", während Karjakin ein klassischer 1.e4-Spieler ist, auch wenn er ab und an einmal mit 1.Sf3 oder 1.d4 eröffnet. Mit den schwarzen Steinen verfügt Carlsen ebenfalls über das universellere Repertoire. Gegen 1.e4 hat er schon mehrere Sizilianische Varianten gespielt, Karjakin vertraut hier einzig auf die Najdorf-Variante.

Leistungsentwicklung von Karjakin

Leistungsentwicklung von Karjakin

Foto: ChessBase

Beide Spieler wenden zudem die Geschlossene Spanische Variante und die Berliner Verteidigung an. Nach 1.d4 ist das Schwarz-Programm der beiden ähnlich: Die Hauptwaffen sind die Nimzoindische Verteidigung, die Grünfeld- Verteidigung und Varianten des Damengambit. Carlsen ist jedoch auch hier experimentierfreudiger, hat zum Beispiel früher auch das Wolga-Gambit gespielt und gelegentlich die Holländische Verteidigung probiert.

Carlsen ist insgesamt schwerer auszurechnen. Seine umfangreichen Kenntnisse nutzt der Weltmeister kaum dazu, den Gegner mit bestimmten Problemen in konkreten Varianten zu überraschen, sondern um solchen vorbereiteten Überraschungen aus dem Weg zu gehen. Anders als zum Beispiel Kasparow legt Carlsen keinen großen Wert darauf, schon in der Eröffnung einen Vorteil zu erzielen. Stattdessen strebt er gehaltvolle Stellungen an und baut dann auf sein überlegenes Schachverständnis.

Leistungsentwicklung von Carlsen

Leistungsentwicklung von Carlsen

Foto: ChessBase

Sein unbedingter Siegeswille ist eine seiner Stärken. Carlsen spielt auch dort noch auf Gewinn und schafft Probleme, wo andere Spieler schon lange remis gegeben haben. Manchmal ist der unbedingte Wunsch zu gewinnen aber auch eine Schwäche des jungen Weltmeisters. Gelegentlich verliert Carlsen seine Objektivität, überzieht Stellungen und verliert dann auch schon mal gegen nominell schwächere Gegner. Seine größten Fähigkeiten besitzt Carlsen aber ohne Zweifel im Endspiel. Je weniger Steine auf dem Brett sind, desto gefährlicher wird es für den Gegner.

Im Vergleich zu Carlsen ist Karjakin vielleicht der universellere Spieler. Der russische Großmeister ist noch nach alter sowjetischer Schachschule ausgebildet und beherrscht alle Disziplinen im Schach gleichermaßen gut: Eröffnungen, Strategie, Taktik, Endspiel. Er kennt seine Eröffnungen ausgezeichnet, ist aber weniger variabel. Karjakin spielt solides Schach, scheut aber zu oft das Risiko.

Prognose

Alles andere als ein ungefährdeter Sieg von Carlsen wäre eine dicke Überraschung.

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