
Kür des Schachweltmeisters: Kalter Krieg am Brett
Geschichte der Schach-Kandidatenturniere Kleine Intrigen unter Großmeistern

André Schulz ist seit 1997 Chefredakteur der deutschsprachigen Schachnachrichten-Seite www.chessbase.de. Schulz gehört außerdem zur Redaktion des "ChessBase"-Magazins. Zusammen mit Oliver Reeh moderiert Schulz freitags die Sendung "TV ChessBase". Er veröffentlichte "Das große Buch der Schach-Weltmeisterschaften".Buch bei Amazon: André Schulz "Das große Buch der Schach-Weltmeisterschaften"
Schachweltmeister zu werden, das war schon immer schwer. Aber noch vor hundert Jahren war es wenigstens verhältnismäßig leicht, es zu bleiben.
Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde der Titel eines "Weltmeisters im Schach" noch privat verwaltet - von den Inhabern dieses Titels selbst. Der Weltmeister trat nur gegen solche Herausforderer an, die ihm genehm waren und vor allem: genug Preisgeld mitbrachten. Schon unter den besten Spielern jener Zeit gab es zwar Versuche, die Qualifikationsbedingungen für Weltmeisterschaftsduelle formal zu regeln, doch über Ansätze kam man nie hinaus.
Dann starb 1946, unter mysteriösen Umständen, der letzte dieser Privatweltmeister, der nach Frankreich ausgewanderte Russe Alexander Aljechin. Er wurde tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden, an einem Stück Fleisch seines Abendbrots erstickt. Manche glauben, eine Abteilung des sowjetischen Geheimdienstes KGB habe ihn umgebracht. Bewiesen werden konnte diese Theorie nie. Belegt sind hingegen die Folgen, die der Tod des wegen seiner Nähe zum Naziregime umstrittenen Schachgenies hatte.
Der schon 1924 in Paris gegründete Weltschachbund, die Fide (Fédération Internationale des Échecs), übernahm nun die Organisation der Schachweltmeisterschaften - und führte feste Regeln für die Qualifikation und die Weltmeisterschaftskämpfe ein. Da es aber keinen Titelverteidiger mehr gab, sollte am Anfang der neuen Zeitrechnung eine WM im Turnierformat stehen. Im Unterschied zum Wettkampf, bei dem zwei Akteure eine festgelegte Anzahl von Partien spielen, treten im Turnier mehrere Spieler im Modus Jeder-gegen-Jeden an.
Stalin will einen Sowjet-Weltmeister
Nach ein paar organisatorisch bedingten Verzögerungen wurde das WM-Turnier 1948 durchgeführt und zur Hälfte in Den Haag und Moskau ausgetragen. Sechs Spieler wurden eingeladen, die man für die besten der Welt hielt: Die Sowjets Michail Botwinnik, Wassili Smyslow und Paul Keres, die US-Amerikaner Samuel Reshevsky und Reuben Fine und der niederländische Ex-Weltmeister Max Euwe. Fine nahm die Einladung jedoch nicht an. Als Grund nannte der Psychoanalytiker seine Doktorarbeit. In Wirklichkeit befürchtete er jedoch Absprachen der drei Sowjet-Spieler untereinander, um einen von ihnen zum Weltmeister zu machen.
Und tatsächlich spielte Keres auffällig schlecht gegen Botwinnik, der das Turnier schließlich mit deutlichem Vorsprung gewann. Später räumte Botwinnik in einem privaten Gespräch ein, dass Stalin höchstpersönlich den Vorschlag gemacht habe, die Sowjet-Großmeister sollten so spielen, dass Botwinnik Weltmeister werden würde. Botwinnik hätte diesen Vorschlag aber zurückgewiesen. Das Ergebnis aber war so, wie es sich der Sowjet-Diktator gewünscht hatte.
Dass gleich das erste Kandidatenturnier umstritten war, passt zur Geschichte der Wettkämpfe, die oft bestimmt waren von ideologischen Scharmützeln in Zeiten des Kalten Krieges, aber auch Auseinandersetzungen zwischen den über Jahrzehnte dominierenden Sowjet-Großmeistern. Klicken Sie sich durch die Geschichte der Kandidatenturniere.

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