Segler-Ärger um Olympia-Nominierung Vor Gericht und auf hoher See

Im Lager der deutschen Seglerinnen ist die Stimmung vergiftet: Zwei Teams streiten um die Olympia-Teilnahme in der 470er-Klasse. Die Angelegenheit ging sogar bis vor Gericht, mit Spannung wird das Urteil erwartet.
Segeln in der 470er-Klasse: Nicht nur Sportliches entscheidet über Olympia-Teilnahme

Segeln in der 470er-Klasse: Nicht nur Sportliches entscheidet über Olympia-Teilnahme

Foto: Peter Kneffel/ dpa

Eigentlich sollten sich die deutschen Spitzenseglerinnen der olympischen 470er Klasse zu dieser Stunde um nichts anderes kümmern als die sportliche Leistung beim Segel-Weltcup in Frankreich. Das ist schon schwer genug, denn der Mistral fegt über die Bucht von Hyères und verlangt den Frauen alle Kräfte ab, um sich gegen Kenterungen und Überschläge zu stemmen.

Aber Kathrin Kadelbach und Frederike Belcher, das Duo aus Hamburg und Berlin, sowie Tina Lutz und Susann Beucke aus Bayern und Kiel, haben andere Sorgen. Am Mittwoch entscheiden drei Richterinnen am Hamburger Landgericht über ihre seglerische Zukunft. Es geht um die Olympia-Qualifikation für London 2012, der Teilnahme an der wichtigsten Regatta, die Segler bestreiten können. Nur ein Boot darf jeweils pro Nation und Disziplin starten.

Die Segelszene blickt aufgeregt nach Hamburg. Denn das Duell der beiden besten deutschen Frauen-Teams hat sich zu einer Schlammschlacht entwickelt. Die Öffentlichkeit diskutiert in den Internet-Foren mit. Es geht um jung gegen erfahren, die Sponsoren Audi gegen BMW und die generelle Frage, wo die Grenzen der sportlichen Fairness im Segeln liegen.

Segeltaktik bei der WM in Perth umstritten

Im Dezember 2011 fand im australischen Perth bei der Weltmeisterschaft aller zehn olympischen Segeldisziplinen der letzte Teil der dreiteiligen Olympiaqualifikation des Deutschen Segler Verbandes (DSV) statt. Die erfahrenen Kathrin Kadelbach (28 Jahre) und Frederike Belcher (30) lagen nach zwei Rennserien auf dem Olympiarevier in Weymouth und bei der Kieler Woche nur zwei Punkte vor den Gegnerinnen. Tina Lutz (22), 2005 sensationelle erste deutsche Weltmeisterin in der Nachwuchsklasse Optimist, war im Vorfeld mit Vorschoterin Susann Beucke (21) nicht unbedingt zugetraut worden, gegen die arrivierte Crew eine Chance zu haben.

Die interne DSV-Regel sah vor, dass bei der WM in Perth nur die ersten 20 Plätze Punkte erhalten sollten. Für Kadelbach/Belcher gab es also zwei Optionen, ihren Vorsprung zu verteidigen. Entweder platzierten sie sich unter den Top 20 vor den Gegnerinnen, oder beide Teams segelten schlechter als Platz 19.

Nach zwei Tagen sah es böse aus für Kadelbach/Belcher. Sie waren mit einer Frühstart-Disqualifikation gestartet und zwei schlechten Plätzen. Lutz/Beucke bewegten sich dagegen im Bereich der Top Ten. So leitete Kadelbach einen Strategiewechsel ein. Von nun an ging es darum, die Gegnerinnen so sehr zu behindern, den Wind wegzunehmen, dass sich nicht besser als 20 segelten.

Es ist im Finale eine gängige Taktik. Aber über fünf Wettfahrten wird sie selten angewandt. Doch es funktionierte. Zu ungleich waren die Voraussetzungen. Denn Kathrin Kadelbach besitzt neben ihren Qualitäten in der 470er Jolle auch den Deutschen Meistertitel im Match Race, den sie 2009 sogar gegen männliche Konkurrenz gewann. Sie blockierte die überforderten Gegnerinnen schon vor dem Start nach allen Regeln der Kunst.

Regelwerk sorgt für Irritationen

Die Segelszene war erschreckt ob des vermeintlich unlauteren Weges zum Erfolg. Kadelbach/Belcher ernteten heftige Kritik, nachdem sich Lutz/Beucke auch in der Öffentlichkeit über das Vorgehen beschwert hatten. Aber internationale Stimmen sprechen auch von üblicher Härte, die in bei solchen Konstellationen im Segeln eben angewandt werden muss. Nicht schön, aber zweckmäßig. Eine schwer erlernbare Kunst.

Die Segel-Regeln deckten das Vorgehen. Ein Protest von Lutz wurde vor Ort von einer internationalen Jury abgewiesen. Allerdings hatte sich die Sachlage erst kurz vor dem Start der WM geändert. Die internationalen Regelhüter strichen einen Passus, der das Ausbremsen verbot. Die Änderung war öffentlich einsehbar.

Kadelbach wusste davon, Lutz aber offenbar nicht. Damit geriet der Deutsche Segler Verband in die Kritik. Funktionäre sollen zwar Kadelbach, nicht aber Lutz informiert haben. Das ist der Hebel, den Sportrechte-Anwalt Michael Lehner ansetzt, den die bayerische Crew inzwischen engagiert hat. Sie fühlt sich als moralischer Sieger und will den Anspruch vor Gericht durchsetzen. Star-Verteidiger Lehner machte Hoffnung, denn er hat gerade erst Schadensersatz für den Weitspringer Charles Friedek erstritten, nachdem dieser 2008 nicht für Olympia nominiert worden war.

Er stellte einen Antrag auf Einstweilige Verfügung gegen den Deutschen Segler-Verband (DSV), um ihn zu zwingen zusätzlich Lutz/Beucke dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) für Olympia vorzuschlagen. Dann solle der DOSB entscheiden.

Die Fronten sind verhärtet. So eine Eskalation samt öffentlich geführter Diskussion gab es im deutschen Segelsport noch nicht. Sportlich haben Kadelbach/Belcher das folgende Duell gegen Lutz/Beucke für sich entschieden. Anfang April beim Weltcup vor Palma platzierten sie sich sensationell auf Rang drei, während das Team aus Bayern auf Platz 34 landete. Aktuell in Hyères sieht es nach drei Tagen ähnlich aus: Kadelbach Zehnter, Lutz 28.

Hintergründe zu dem Fall unter www.segelreporter.de

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