Erfurter Dopingaffäre Blutbestrahlung am Olympiastützpunkt

Wurde am Erfurter Olympiastützpunkt systematisch gedopt? Dieser Frage geht nun der deutsche Bundestag nach. Der Sportarzt Andreas Franke nahm in Thüringen jahrelang dubiose Eigenblutbehandlungen an Athleten vor - mit dem Segen des Stützpunktes.
Blutprobe: Am Mittwoch verhandelt der Sportausschuss hinter verschlossenen Türen

Blutprobe: Am Mittwoch verhandelt der Sportausschuss hinter verschlossenen Türen

Foto: dapd

Es ist ein brisantes Thema, zu dem der Sportausschuss des Bundestags am Mittwoch im Sitzungssaal 4.800 im Paul-Löbe-Haus zusammenkommt: Hinter verschlossenen Türen geht es um Doping an deutschen Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten. Eine zentrale Rolle werden dabei die dubiosen Vorgänge der Eigenblutbehandlungen am Olympiastützpunkt (OSP) Thüringen in Erfurt einnehmen.

Das Bundesinnenministerium (BMI), der OSP und die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) sollen über den Sachstand in den Verfahren gegen den Sportarzt Andreas Franke und von ihm betreute Athleten berichten. Außerdem sind der Pharmakologe Fritz Sörgel und der Rechtsanwalt Georg Engelbrecht als Sachverständige geladen.

Die schriftliche Stellungnahme des Sportrechtlers Engelbrecht könnte selbst die unkritischsten Abgeordneten davon überzeugen, dass die Praktiken in Erfurt als Doping zu bewerten sind. Wie zuvor auch andere Experten, erklärt Engelbrecht, dass die von Franke angewandte UV-Blutbestrahlung gemäß Anti-Doping-Reglement eine "verbotene Methode darstellt". Das sei spätestens seit 2003 klar.

Damals hatte der Sport-Weltgerichtshof (Cas) in Lausanne die Vorgänge im österreichischen Olympiateam bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City aufzuarbeiten. Im Lager der Langläufer wurden Materialien zum Bestrahlen von Blut mit ultraviolettem Licht gefunden, Trainer Walter Mayer wurde gesperrt. Engelbrecht gehörte in dem Fall 2003 beim Cas im zweiten Verfahren zu den Schiedsrichtern.

Sportrechtler Engelbrecht spricht von einem Dopingverstoß

Er schreibt in einer Mischung aus Deutsch und Englisch an den Sportausschuss, "dass die UV Blood Transfusion eine verbotene Methode darstellt, für die im konkreten Fall keine medizinische Indikation gegeben war". Das heißt, es gab für Franke keinen medizinischen Grund, diese Methode anzuwenden.

Engelbrecht bestätigt damit die Aussagen von David Howman, Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), der ebenfalls von einer seit langem verbotenen Methode gesprochen hatte. "Der Gebrauch von Blut ist seit langem verboten, seit sieben Jahren. Es ist überhaupt keine Frage, dass es sich hier um eine verbotene Methode handelt", sagte Howman der "Süddeutschen Zeitung", "unabhängig von der Menge".

In Erfurt wurden nach bisherigen Erkenntnissen mindestens 30 Athleten aus fünf Sportarten mit der UV-Methode behandelt. Auch frühere und heutige Spitzensportler gehörten demnach zu Frankes Kunden, unter anderem der ehemalige 800-Meter-Olympiasieger Nils Schumann und Eischnelllaufstar Claudia Pechstein.

Medizinische Ausnahmegenehmigungen soll es in keinem Fall gegeben haben. Nach Informationen des Deutschlandfunks handelt es sich um vierzehn Radsportler, je fünf Leichtathleten und Eisschnellläufer, zwei Handballer und eine Ringerin. Sportrechtler Engelbrecht schreibt, wenn Athleten von Franke "ohne medizinische Indikation behandelt worden sein sollten (egal ob per Injektion oder Infusion und egal mit welchen Blutmengen), ist das ein Dopingverstoß". Er hält außerdem fest: "Die Mediendiskussion, ob diese Methode überhaupt sinnvoll zur Leistungssteigerung geeignet war oder nicht, spielt hierbei keine Rolle."

Die UV-Bestrahlung diente gemäß Franke angeblich der Infektbehandlung und Infektabwehr. Krankenkassen akzeptieren diese Methode allerdings nicht und bezahlen sie auch nicht. Dafür bezahlte lange Jahre der Bund - aus Steuermitteln. Allein der Olympiastützpunkt Thüringen hat seit dem Jahr 2000 insgesamt 21 Millionen Euro aus dem Etat des Bundesinnenministeriums erhalten. Derzeit werden jährlich rund 2,1 Millionen Euro überwiesen. Das BMI alimentiert den gesamten deutschen Hochleistungssport in diesem Jahr mit 155 Millionen Euro. Acht andere Ministerien zahlen weitere 85 Millionen Euro, wobei die 63 Millionen Euro des Verteidigungsministeriums fast komplett für deutsche Sportsoldaten und deren Infrastruktur verwendet werden.

"Bei wem er die Methode eingesetzt hat, ist uns nicht bekannt"

Bernd Neudert, Chef des OSP Thüringen, schreibt nun in einem Statement an den Sportausschuss im Bundestag: "Herr Franke setzte die Methode der Ultra-Violettbestrahlung des Blutes (UVB) seit vielen Jahren mit Kenntnis des Olympiastützpunktes Thüringen im Rahmen der Behandlung von erkrankten Sportlern ein".

Diese Praxis soll bereits vor Jahren begonnen haben. Bis Mai 2007 soll der OSP Franke sogar die Verbrauchsmaterialien bezahlt haben. Franke habe dem OSP "glaubhaft versichert", dass seine Methode "nicht dem gültigen Nada-Code widerspricht", heißt es in dem Statement.

Klärungsbedarf wirft vor allem der Abrechnungsmodus des Olympiastützpunkts auf. Frankes Blutbestrahlungen seien bis November 2008 "anhand seiner Honorarabrechnungen nachvollziehbar", schreibt Neudert an den Sportausschuss. "Bei wem und wie häufig er diese Methode zwischen November 2008 und April 2011 eingesetzt hat, ist uns nicht bekannt."

Die Grünen fordern Überprüfung aller deutscher Olympiastützpunkte

Franke sei zwar bis 2011 dafür bezahlt worden, will Details und Namen aber nicht preisgeben, er beruft sich auf die ärztliche Schweigepflicht und das laufende Verfahren der Staatsanwaltschaft. Im April 2011, nach den Hausdurchsuchungen der Staatsanwaltschaft, habe Neudert "alle Physiotherapeuten und Ärzte des OSP darüber informiert, dass die UVB-Behandlung des Blutes durch die Nada dem Blutdoping zugeordnet wird und somit verboten ist".

Das BMI reichte am Montag eine zehnseitige Stellungnahme ein, die SPIEGEL ONLINE vorliegt. Darin heißt es entgegen der Feststellung zahlreicher Experten, dass die UV-Bestrahlung erst ab 1. Januar 2011 gemäß Wada-Liste "eindeutig verboten" gewesen sein soll. Das Ministerium argumentiert, da "eine abschließende sportrechtliche Würdigung der Blutbehandlung durch den behandelnden Arzt" noch nicht vorliege, ergeben sich derzeit "keine zuwendungsrechtlichen Handlungsnotwendigkeiten". Für die UV-Behandlungen hat der OSP von 2005 bis 2008 insgesamt 7000 Euro gezahlt. Von 2009 bis 2011, als die UV-Behandlungen nicht mehr spezifisch abgerechnet wurden, wurden Franke etwas mehr als 15.000 Euro als Gesamthonorar überwiesen.

Die SPD-Bundestagsfraktion forderte vor zwei Wochen in einem Antrag, "alle Strukturelemente" des deutschen Stützpunktsystems vor den Sommerspielen in London "im Hinblick auf Blutmanipulationen zu überprüfen" und sicherzustellen, dass in London nur Athleten teilnehmen, die "zweifelsfrei keine verbotenen Blutmanipulationen vorgenommen haben".

Ein Antrag der Grünen, der bisher nur als Entwurf vorliegt, geht deutlich weiter. Sie fordern die "zuwendungsrechtliche Überprüfung" sämtlicher medizinischer Behandlungsleistungen an allen deutschen Olympiastützpunkten. Diese Tiefenprüfung soll bis 30. Juni 2012 - also noch rechtzeitig zur Nominierung der Athleten für die Olympischen Spiele in London durch den Deutschen Olympischen Sportbund - unter Beteiligung des Bundesrechnungshofs erfolgen.

Illegal verwendete Fördergelder sollen demnach zurückgefordert werden. Die Nada soll Sondermittel vom BMI erhalten und die Anti-Doping-Forschung ausgeweitet werden. Außerdem soll der Straftatbestand Sportbetrug eingeführt werden, damit "zukünftig auch wirksam gegen Sportlerinnen und Sportler" ermittelt werden kann, fordern die Grünen.

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