Studie "Doping in Deutschland" Viel Ärger, wenig Erkenntnis

Die Studie "Doping in Deutschland" verkommt zur Farce. Eine beteiligte Forschergruppe behauptet, ausgebremst worden zu sein, der DOSB bestreitet dies vehement. Wer Recht hat, ist letztlich egal, denn Eines steht fest: Von Aufklärung kann keine Rede sein.
DOSB-Funktionäre Vesper (l.), Fischer (2.v.l.):

DOSB-Funktionäre Vesper (l.), Fischer (2.v.l.):

Foto: Robert Schlesinger/ dpa

Über das Forschungsprojekt "Doping in Deutschland" wird seit vier Jahren erbittert debattiert. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nimmt für sich in Anspruch, die Forschungsarbeit initiiert zu haben. Schon die Ausschreibung durch das federführende Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Bisp) in Bonn war reichlich diffus. Bewerbungen für das Mammutprojekt legten nur zwei Teams von der Universität Münster und der Humboldt-Universität Berlin vor. Man vereinte beide Ansätze in einem Auftrag.

Doch nach vier Jahren muss statt eines transparenten und überzeugenden Abschlussberichts konstatiert werden: Das Projekt ist gescheitert.

Am Dienstag hielten vier Wissenschaftler aus Münster im Bundespresseamt in Berlin Kurzvorträge über ihre Arbeit, die für den Zeitraum ab 1990 im Grunde aus einer Analyse der Presseberichterstattung über Doping bestand. Insofern wurde nichts mitgeteilt, was nicht schon in Qualitätsmedien des Landes seit langen Jahren verhandelt worden wäre.

Jürgen Fischer, Direktor des Bisp, behauptete dennoch, das Projekt habe die Sportgeschichtsschreibung verändert und verteidigte den wissenschaftlichen Anspruch dieser Zeitungsschau.

Die Forschergruppe von der Humboldt-Uni, die vom Historiker Giselher Spitzer geführt wird und sich inzwischen längst aufgelöst hat, fehlte bei der Präsentation. Sie hat für Donnerstag an die Viadrina in Frankfurt an der Oder zu einem eigenen Symposium geladen und wird wohl brisantere Sachverhalte berichten als die Münsteraner, die so Bahnbrechendes erforscht haben wie den Umstand, dass die Dopingberichterstattung in deutschen Medien seit den Fünfziger Jahren zugenommen hat.

Wurde das Berliner Team ausgebremst?

Eine der heftig debattierten Kernfragen lautet: Wurde das Berliner Team ausgebremst, spätestens seit vor einem Jahr in einem Zwischenbericht systematisches Doping und die Verstrickung westdeutscher Funktionäre mit einigen neuen Fakten beschrieben worden war?

Damals wurde etwa dem langjährigen NOK-Präsidenten und IOC-Mitglied Willi Daume eine "billigende Mitwisserschaft" an organisierten Dopingpraktiken unterstellt.

Brisant auch die Beschreibung der Strukturen der Dopingforschung rund um das Bundesinstitut Bisp und die Universität Freiburg. Seither ist viel von Datenschutz, Persönlichkeitsrechten und mangelndem wissenschaftlichen Anspruch die Rede, wenn es um die Leistungen der Berliner Projektteilnehmer geht. Diese behaupten im Grunde, sie seien ausgebremst worden - was die andere Seite vehement bestreitet.

"Keiner will hier irgendwelche Namen verbergen", sagte Bisp-Direktor Fischer. Er sprach von "Anfeindungen" und versprach, das Projekt zu beenden. Es habe keinerlei politische Einflussnahme gegeben. Er habe "alles getan", um dieses Projekt "vernünftig umzusetzen" und könne sich "an kein anderes Projekt erinnern, wo so sorgfältig gearbeitet worden ist".

DOSB-Generaldirektor Michael Vesper erklärte: "Wer uns unterstellt, wir wären froh über den Abbruch der Berliner Forschungsarbeit, der ist schief gewickelt." Vesper verlangte von den Berlinern "einen belastbaren Bericht und keine Kriminalromane". Inzwischen prüft das Bundesverwaltungsamt (BVA) ob von der Humboldt-Uni rund 200.000 Euro Förderung für dieses Projekt zurückgefordert werden kann. Ein Abschlussbericht soll vorgelegt werden, die Berliner behaupten, 800 Seiten lägen bereits vor.

Es bleiben Fragen über Fragen

Wie Vesper und Fischer verteidigte auch Dorothee Alfermann, Vorsitzende des Projektbeirates und Präsidentin der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, die vermeintlichen Forschungsergebnisse und die Veranstaltung, die Viola von Cramon (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Sportausschusses im Bundestag, als "Farce" bezeichnet hatte. Die Professorin Alfermann indes beschied skeptischen Fragestellern, die sich nach der Wissenschaftlichkeit von Zeitungsauswertungen erkundigten, selbstbewusst: "Das Gefühl, das wissen wir schon alles, das sehe ich ihnen nach. Das ist ein ganz typisches Ergebnis der menschlichen Informationsverarbeitung."

Obgleich die fünfstündige Präsentation unweit der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte stattfand, war kein Vertreter der Humboldt-Uni zugegen. Unter die Zuhörer hatte sich, gewissermaßen als Privatperson, einzig der Wissenschaftler und Journalist Erik Eggers gemischt, der auch für SPIEGEL ONLINE schreibt. Er hatte in Interviews zuvor schon behauptet, das Bisp sei nicht an wirklichen Forschungsergebnissen interessiert gewesen und unterstellte dem Bisp-Direktor Fischer nun, er habe Forschungsergebnisse und Quellen betroffenen Dritten vorab zur Verfügung gestellt - was dieser vehement verneinte.

Im lang währenden verbalen Schlagabtausch rund um dieses umstrittene Forschungsprojekt fehlt es vor allem an Transparenz - und zwar auf beiden Seiten. Bislang hat die Berliner Gruppe ihre Behauptungen der Einflussnahme und überzogener Forderungen nach Daten- und Persönlichkeitsschutz nicht belegt.

Seit Monaten schweigt man dazu und ließ Anfragen unbeantwortet. Konkretes wird es vielleicht beim eigenen Termin am Donnerstag in Frankfurt an der Oder geben. Bisp-Direktor Fischer zeichnete durchaus überzeugend ein Bild des totalen Chaos beim Projektpartner Humboldt-Universität.

Zu den vielen merkwürdigen Sachverhalten zählte auch, dass erst jetzt bekannt wurde, dass Giselher Spitzer, den man eigentlich als Kopf des Projekts verortete, nur ehrenamtlich mitgearbeitet hat und über ein anderes Projekt ("Translating Doping") finanziert worden war.

Was bleibt: Fragen über Fragen. Widersprüche über Widersprüche, die ein desaströses Bild zeichnen. Diese Widersprüche müssen schleunigst aufgelöst werden, was nur geht, wenn alle Schriftwechsel, Abmachungen und Verträge auf den Tisch kommen.

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