Djokovic in der Krise Fremd im eigenen Körper

Vor weniger als zwei Jahren dominierte Novak Djokovic die Tennis-Szene wie kaum ein Spieler zuvor. Nun durchlebt er die schwierigste Phase seiner Karriere. Eine Antwort auf die Probleme scheint ihm zu fehlen.
Novak Djokovic

Novak Djokovic

Foto: Lynne Sladky/ dpa

Novak Djokovic verlor die Balance und setzte eine leichte Vorhand ins Netz. Er schritt mit gesenktem Haupt in Richtung Sitzbank. Erneut herrschte Fassungslosigkeit beim 30-Jährigen. Gerade hatte er sein Aufschlagspiel in der zweiten Runde des ATP-Turniers in Miami gegen Benoît Paire verloren.

Der Fehler war bezeichnend für die schwache Partie des Serben. Nach nur 67 Minuten musste sich Djokovic dem Franzosen am Freitag 3:6, 4:6 geschlagen geben. Und so war das Match auch bezeichnend für die derzeitige Form der ehemaligen Nummer eins der Welt. Djokovic befindet sich in der größten Krise seiner Karriere.

Paire, der in der Weltrangliste den 47. Rang belegt, wusste den wohl größten Erfolg seiner Karriere dann auch rational einzuschätzen: "Novak spielt momentan nicht so, wie er früher gespielt hat. Er scheint physisch nicht mehr so stark zu sein und auch sein Service ist nicht bei 100 Prozent", sagte der 28-Jährige im Anschluss an die Partie.

Tatsächlich erscheint Djokovic momentan wie ein Fremder im eigenen Körper. Die Bewegungen wirken unausgeglichen, die Bälle trifft er häufig zu spät oder zu früh. Die Beinarbeit hat wenig mit der gemein, die ihn noch vor zwei Jahren zum besten Spieler der Welt gemacht hatte. Damals, im Juni 2016, komplettierte Djokovic mit dem historischen Erfolg bei den French Open seinen Karriere-Grand-Slam. Nun hatte er alle vier Major-Turniere mindestens einmal gewonnen. Das war in der Tennis-Geschichte nur sieben weiteren Spielern gelungen.

Ein ungeheurer Absturz

Djokovic war auf dem Gipfel angekommen. Experten hielten sogar den Golden Slam für möglich. Das ist ein Kunststück, das zuvor nur Steffi Graf 1988 gelungen war: der Gewinn aller Majors und der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen innerhalb eines Jahres. Doch Djokovic wirkte plötzlich gehemmt. Es folgte ein ungeheurer Absturz.

Seitdem ist viel passiert. Djokovic hat nahezu sein komplettes Trainerteam ausgetauscht, Andre Agassi und Radek Stepanek ersetzten das Erfolgsduo Boris Becker und Marián Vajda, lediglich an Pepe Imaz, einem umstrittenen Tennis-Guru aus Spanien, hielt der Serbe fest. Ein Schritt, den er heute womöglich bereut. Die Trainingsmethoden rufen bei Beobachtern eher Belustigung als Bewunderung hervor. Unter anderem soll Imaz an seiner Akademie in Marbella Teilnehmer mit Plüschbären schmusen lassen und Kontakt zu Geistern aufnehmen.

Novak Djokovic beim Turnier in Miami

Novak Djokovic beim Turnier in Miami

Foto: CLIVE BRUNSKILL/ AFP

Doch auch der Körper bereitet Djokovic immer größere Probleme. In den Glanzzeiten des zwölffachen Grand-Slam-Siegers ermöglichte ihm sein intensives Grundlinienspiel, nahezu jeden Ball zurückzubringen. Dieser Aufwand droht sich nun zu rächen: Vor allem der Ellbogen und das Handgelenk scheinen gelitten zu haben.

Um seinen angeschlagenen rechten Arm zu entlasten, änderte Djokovic sogar seinen Bewegungsablauf beim eigenen Aufschlag. Geholfen hat das bislang nicht. Das Service, ohnehin nicht der Paradeschlag des Serben, wirkt harmlos und lädt seine Gegner häufig zum Angriff ein.

"Ich versuche alles, aber nichts funktioniert"

Viel schlimmer als der eigene Aufschlag, ist allerdings die Zahl vermeidbarer Fehler, die sich in Djokovics Spiel eingeschlichen haben. Beim wichtigen Hartplatz-Turnier in Indian Wells eine Woche vor Miami unterliefen ihm gegen Taro Daniel 61 unerzwungene Fehler. Noch vor zwei Jahren galt der 30-Jährige als schier unüberwindbare Ballwand, ein Punkt gegen Djokovic musste vom ersten bis zum letzten Schlag perfekt durchdacht sein. Auf der Suche nach einer Erklärung wirkt Djokovic mehr und mehr orientierungslos.

"Ich versuche alles, aber nichts funktioniert. Mehr kann ich im Moment gar nicht sagen. Ich fühle mich einfach nicht gut genug, um mein bestes Tennis spielen zu können", sagte Djokovic: "Ich würde ja gerne besser spielen, aber das geht momentan einfach nicht." Es sind Aussagen, die nach purer Verzweiflung klingen.

Djokovic gibt nach der Niederlage in Miami Autogramme

Djokovic gibt nach der Niederlage in Miami Autogramme

Foto: CLIVE BRUNSKILL/ AFP

Doch was verspricht sich Djokovic von der Teilnahme an den Turnieren in Indian Wells und Miami, wo er doch ganz offensichtlich nicht im Vollbesitz seiner Kräfte ist? Dass sich lange und konsequente Auszeiten lohnen können, zeigte die sechsmonatige Pause von Roger Federer. Der Schweizer gewann nach einer schweren Knieverletzung auf Anhieb die Australian Open und wenig später Wimbledon. Auch in diesem Jahr setzt Federer nach dem erneuten Erfolg in Melbourne während der Sandplatzsaison wieder aus.

Das Turnier in Florida, das Djokovic zwischen 2007 und 2016 insgesamt sechsmal gewonnen hatte, endet am Sonntag. Dann folgt der Wechsel auf die europäischen Sandplätze. Eine Teilnahme an den Masters-Events in Rom, Madrid und Monte Carlo dürfte für Djokovic momentan keine Option sein. Auf keinem anderen Untergrund sind Fitness, Beinarbeit und ein Vertrauen in die eigenen Schläge wichtiger als auf Sand. Die Ballwechsel dauern länger, nirgendwo sonst wird das anfällige Handgelenk des Serben mehr beansprucht.

Sollte er doch antreten, drohen ihm nicht nur weitere frühe Niederlagen, sondern auch der Absturz in der Weltrangliste. Djokovic könnte schneller als gedacht in der sportlichen Bedeutungslosigkeit verschwinden. Ein Szenario, das vor zwei Jahren noch unmöglich schien.

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