Tischtennis-Star Ovtcharov Die Nummer eins am Tisch

Dimitrij Ovtcharov
Foto: Tibor Illyes/ dpaWenn am Wochenende in Baden-Baden die Sportler des Jahres gekürt werden, müsste er eigentlich dabei sein. Vermutlich gibt es keinen deutschen Sportler, der in diesem Jahr so viel gewonnen hat wie er. Aber weil Tischtennis nun mal nur Tischtennis ist, werden aller Wahrscheinlichkeit nach Andere als Dimitrij Ovtcharov im Scheinwerferlicht stehen.
Stattdessen macht Ovtcharov weit hinterm Ural in Kasachstan beim Finale der World Tour das, was er ohnehin besser kann, als über den roten Teppich zu laufen: Er schlägt Bälle über den Tisch, und zwar meistens so, dass der Gegner sie am Ende nicht mehr erreicht. Er kann das sogar am besten von allen, wenn man die Weltrangliste zum Maßstab nimmt. Im Januar wird Ovtcharov als zweiter Deutscher nach Timo Boll auf Platz eins vorrücken.
Am Freitag hat er im Achtelfinale bei seinem hart erkämpften 4:3-Erfolg über den Japaner Koki Niwa den Grundstein gelegt. Ovtcharov, von allen "Dima" gerufen, hat mit diesem Sieg so viele Punkte gesammelt, dass er die bisherige Nummer eins der Welt, den Chinesen Ma Long, zum Jahreswechsel von der Spitze verdrängen wird. Für den Deutschen ist es die Krönung eines Jahres, in dem ihm alles gelungen ist. Fast alles.
Ovtcharov kann vom Tischtennis gut leben
Ovtcharov hat die China Open in der Höhle des Löwen gewonnen, im Endspiel standen mit Boll und ihm zwei Deutsche, bei den German Open setzte er sich im Endspiel ebenfalls gegen Boll durch, er siegte beim hochklassig dotierten Turnier von Lüttich. Nebenbei hat er damit weit mehr als 100.000 Dollar Preisgeld eingestrichen, er gehört zu den Wenigen, die gut vom Tischtennis leben können.
2017 wäre das Ovtcharov-Jahr schlechthin, wenn da nicht dieses eine Spiel gewesen wäre. Die WM im eigenen Land, alles schien vorbereitet für die großen Boll- und Ovtcharov-Festspiele, aber im Achtelfinale war Koki Niwa der cleverere Spieler. Dima fand keine Mittel gegen das Konterspiel des Japaners, der Traum von der Einzelmedaille geht dahin. Es gehört zu den Fußnoten des Sports, dass sich Ovtcharov die Spitzenposition der Welt nun ausgerechnet mit einem Sieg über seinen damaligen Besieger Koki Niwa gesichert hat.
The moment Dimitrij Ovtcharov beats Koki Niwa at the Seamaster 2017 #ITTFWorldTour Grand Finals to become the new world number ONE come Jan pic.twitter.com/17ckYZVDNg
— World Table Tennis (@WTTGlobal) December 15, 2017
Es war ein langer Weg bis nach ganz oben, passend für einen Arbeiter wie ihn. Ovtcharov gilt als einer, der härter und länger trainiert als die meisten Anderen in Europa. Ein Perfektionist, kein Spieler, dem alles zufliegt. Begabt war er freilich immer schon, das Tischtennis ist ihm in die Wiege gelegt. Vater Michail war russischer Nationalspieler, Olympia- und WM-Teilnehmer für sein Land. Der Vater war es auch, der Dima im Heimatverein TSV Schwalbe Tündern in Hameln über Jahre trainiert hat. Ovtcharov wird schon als junger Kerl Nationalspieler, 2008 Olympiazweiter mit der Mannschaft in Peking, dort, wo sie den Tischtennissport so heiß und innig lieben.
Der Makel mit dem Clenbuterol
Mittlerweile ist Ovtcharov zweifacher Europameister, Olympia-Dritter im Einzel in London, ein Star seines Sports, und doch hat es gedauert, dass die Leute bei der Nennung seines Namens nicht als erstes an chinesisches Fleisch gedacht haben. Es ist die alte Geschichte von 2010, als Ovtcharov plötzlich als Dopingsünder dastand, weil er einen zu hohen Clenbuterol-Wert aufwies. Clenbuterol, dieser anabole Wirkstoff, der auch bei der Kälbermast angewendet wird und der Sportler schneller, kräftiger und ausdauernder macht, als es erlaubt ist.
Die Karriere des aufstrebenden Ovtcharov stand damals auf der Kippe. Es war sein Glück, dass ihm seine Version, er müsse den Wirkstoff beim Fleischessen in China gegen sein Wissen aufgenommen haben, geglaubt wurde. Experten wurden angehört, Haarproben analysiert. Der Berg kreißte und gebar einen Freispruch. Ovtcharovs vorläufige Suspendierung wurde aufgehoben, eine Sperre blieb ihm erspart, die Karriere konnte weitergehen. Und sie kannte von da an nur eine Richtung.
Ovtcharov ist jetzt 29, ein Ende der Erfolgsserie ist nicht in Sicht. Tischtennisspieler haben ein langes Sportlerleben, Boll erlebt mit 36 seine x-te Hochphase, Schwedens Superstar Jan-Ove Waldner stand mit 38 Jahren noch im olympischen Halbfinale.
Deutschland dominiert, China schwächelt
Ovtcharov als Nummer eins der Welt, Boll wurde zum Welt-Spieler des Jahres gewählt - nie stand der deutsche Tischtennissport international so gut da wie in diesem Jahr. Das liegt auch daran, dass die Chinesen schwächeln. Ma Long hatte mit Verletzungen zu kämpfen, Fan Zhendong hat bei den German Open gegen Ovtcharov verloren, Lin Gaouyan zweimal gegen Boll.
China war über Jahrzehnte die unangefochtene Großmacht des Tischtennis, bis auf Boll standen seit 15 Jahren nur Chinesen an der Spitze der Weltrangliste. Aber plötzlich gefallen ihnen die neu eingeführten Bälle nicht, das Material macht ihnen Probleme, der Nationaltrainer wurde ausgewechselt.
Es ist voreilig, vom Ende einer Ära zu sprechen. Aber die Ära macht zumindest eine Pause. Vielleicht beginnt jetzt die Ära Ovtcharov. Und 2018 gibt es auch noch eine Sportler-des-Jahres-Wahl.